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- Fußball-WM in Katar
Die Fifa ist tot, lang lebe die Fifa
Im korrupten System des Weltverbandes von Joseph Blatter wurde die WM an Katar vergeben, unter Präsident Gianni Infantino funktioniert es immer noch
Zwölf Jahre brauchte Joseph Blatter, um auszusprechen, was in vielen Teilen der Welt ebenso lang schon zum Meinungsbild gehört. »Es war ein Irrtum, die WM nach Katar zu vergeben«, sagte er Anfang November. Ein Gegner des Turniers in diesem Emirat sei er jeher gewesen, sagte der Schweizer auch. Schließlich habe er damals dagegen gestimmt. »QATAR« – das Bild, wie Blatter am 2. Dezember 2010 als damaliger Präsident des Fußball-Weltverbandes Fifa das Papier mit der Aufschrift des Siegers präsentierte, ist es aber nicht allein, was ihn auf ewig mit der bislang umstrittensten Weltmeisterschaft verbinden wird.
Es gibt verschiedene Gründe, die an diesem Sonntag startende WM zu kritisieren. Aus sportlicher Sicht waren es erst Fußballspiele bei mehr als 40 Grad Celsius, dann die Verlegung des Turniers in die Monate November und Dezember. Politisch stehen die Menschenrechtslage und die Situation der Arbeitsmigranten im Fokus. Blatter verwies in seiner Argumentation auf einen anderen Aspekt: die Korruption rund um die Vergabe der WM. »Die Katarer haben keine Geschenke an Wahlmänner gemacht, sondern an deren Heimatländer. Dann sprach man immer von Geld – doch vom Geld weiß ich nichts.«
Mit einem klaren Votum setzte sich am 2. Dezember 2010 die nachweislich schlechteste von insgesamt fünf Bewerbungen durch. Australien, Japan und Südkorea waren vorher ausgeschieden, die abschließende vierte Wahlrunde gewann Katar mit 14:8 Stimmen aus dem Fifa-Exekutivkomitee gegen die USA. Auch die erstmalige Doppelvergabe an diesem Tag sorgte für Kritik. Blatter blickt zurück: »Wir waren uns damals im Exekutivkomitee eigentlich einig, dass Russland die WM von 2018 erhalten soll, die USA die von 2022.«
Mit diesem Satz beschreibt Blatter sein Wirken in bester Form selbst. In 18 Jahren an der Spitze der Fifa hatte er ein korruptes System installiert. Als Präsident führte er das Exekutivkomitee als mächtigstes Organ an. Zwei der damaligen 24 Mitglieder fehlten schon bei der Abstimmung über die Vergabe der Turniere 2018 und 2022. Sie mussten suspendiert werden, weil Journalisten der britischen Zeitung »Sunday Times« sie dabei gefilmt hatten, wie sie bei einem fingierten Angebot ihre Stimmen für viel Geld verkaufen wollten. Von den 22 verbliebenen Stimmberechtigen wurden später acht gesperrt, teilweise lebenslang – im direkten Zusammenhang mit der Vergabe an Katar und aufgrund anderer Vergehen. Sechs weitere Mitglieder des Exekutivkomitees wurden ebenfalls wegen schwerer Rechtsbrüche verbannt. Korruptionsvorwürfe bestanden gegen fünf Funktionäre, blieben aber ohne Strafe, nur zwei konnten ihre Weste weiß halten.
In dieser Rechnung fehlt noch eine Person: Joseph Blatter. Am 21. Dezember 2015 erwischte es auch ihn, sein eigener Verband warf ihn raus. Der Fall des Präsidenten zeigt, dass es ohne die Justiz mit staatsanwaltlichen Ermittlungen hauptsächlich in den USA und der Schweiz nie so weit gekommen wäre. Die Sportgerichtsbarkeit präsentiert meist nur Bauernopfer. Ein Teil davon ist die Ethikkommission. Gegründet wurde sie 2006 – als Antwort auf Skandale früherer Jahre. Deren Arbeit aber bestimmte Blatter.
Dass es die Ethikkommission war, die ihn für acht Jahre sperrte, gehört zur Ironie der Geschichte. Ebenso die Tatsache, dass der Schweizer von der Kraft seines selbstgeschaffenen Systems erdrückt wurde. Er konnte die Machtkämpfe nicht mehr kontrollieren, das Geld, von dem er nichts gewusst haben will, beschafften andere – mehr Geld. Die Mehrheit der großzügigen Fifa-Partner kommt mittlerweile aus Asien und dem Nahen Osten, Katar ist mit Qatar Airways und QatarEnergy gleich zweimal vertreten. Von der anstehenden WM, die mit dem Finale am 18. Dezember endet, erwartet die Fifa einen Gewinn von mehr als sechs Milliarden Euro.
Angesichts solcher Zahlen sollte man meinen, dass beispielsweise ein Entschädigungsfonds für die Angehörigen der Tausenden Toten auf Katars Baustellen oder die verletzten Arbeitsmigranten finanziert wird. Blatter zeigt sich begeistert: »Diesen Fonds muss man machen, die Katarer und die Fifa haben viel Geld.« Es sei eine Pflicht für den Weltverband. Als Blatter noch dessen Präsident war, hieß es: »Wenn wir objektiv sind, geht es in diesen Fällen gar nicht um die Fifa.«
Was den mittlerweile 86-Jährigen umtreibt, jetzt anders zu urteilen? Vielleicht immer noch verletzter Stolz nach dem tiefen Fall vom hohen Thron. Blatters größte Sorge gilt jedenfalls dem Sport: »Grundsätzlich muss man festhalten, dass sich die Fifa in eine Richtung entwickelt, die dem Fußball schaden kann.« Es ist genau die Richtung, die der Schweizer selbst jahrelang vorgegeben hat – eine Einbahnstraße, ohne Abzweigung. Vielleicht eine Sackgasse, irgendwann – wenn das skrupellos kommerzialisierte Konstrukt implodieren sollte. Er sei kein Unschuldslamm, das sagte Blatter auch noch. Unrechtsbewusstsein klingt anders. Stattdessen scheint eine stark gekränkte Eitelkeit hinter seiner Handlungsempfehlung durch: Abwahl des Präsidenten.
Am 26. Februar 2016 wurde Gianni Infantino, als Reformer angetreten, zum Nachfolger Blatters gewählt, im Juni 2019 per Akklamation im Amt bestätigt. Allein, dass solch ein Abstimmungsverfahren möglich ist, offenbart viel über die Strukturen – und das Wirken Infantinos. Die damals auf öffentlichen Druck versprochenen Verbesserungen sind zumeist nur Veränderungen pro forma. Der Weltverband treibt es bei seinem Machtausbau und Expansionskurs weiterhin wild und anstandslos, der 52-Jährige regiert ihn im Stile seines Vorgängers, teilweise noch schamloser. Die Fifa ist tot, lange lebe die Fifa.
Seit 2016 steht folgendes in den Statuten des Weltverbandes: »Die Fifa bekennt sich zur Einhaltung aller international anerkannten Menschenrechte und setzt sich für den Schutz dieser Rechte ein.« Gegen Forderungen, dieses Thema als verbindliches und überprüfbares Kriterium zur Vergabe von Weltmeisterschaften einzuführen, wehrt sich der Verband beharrlich. Dafür müssten ja auch Leute wie Salman bin Ebrahim Al Khalifa zustimmen. Der Scheich ist Mitglied des autokratisch regierenden Königshauses in Bahrain – und Vizepräsident der Fifa. Während des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 wurden die Proteste in Bahrain brutal niedergeschlagen, Verhaftete gefoltert und Todesstrafen verhängt. Über die zweifelhafte Rolle des Scheichs dabei wurde der Weltverband 2016 vom Bahrain Institute for Rights and Democracy informiert.
In Katar zeigt sich, wie die Fifa tatenlos zusieht, wenn Menschenrechte missachtet werden. Homosexualität steht im Emirat unter Strafe. Human Rights Watch berichtete jüngst wieder über schwerste Misshandlungen von sechs LGBT-Personen in der Hauptstadt Doha und rät von Reisen zur WM ab. Wohl zu Recht. »Wir werden niemanden aufhalten, zu kommen und Fußball zu schauen«, sagte der Emir von Katar Tamim bin Hamad al Thani im Mai und ergänzte unmissverständlich: »Aber wir erwarten, dass unsere Kultur respektiert wird.« Ein anderer offizieller Vertreter des Emirats, Arbeitsminister Ali bin Samikh Al Marri, nannte den schon erwähnten und von vielen Seiten geforderten Entschädigungsfonds für Arbeitsmigranten einen »Werbegag«. Sowohl Katar als auch die Fifa lehnen eine Finanzierung ab.
Der Weltverband lächelt all das weg und freut sich unterdessen auf einen »Monat voller Jubel und Feiern«, wie Generalsekretärin Fatma Samoura es formulierte. Präsident Infantino forderte noch mal alle auf, sich »auf den Fußball zu konzentrieren«. Auch die Fußballer. »Menschenrechte für alle« sollte auf den Trainingsshirts der dänischen Spieler stehen, der Weltverband verbot es unter Strafandrohung in der vergangenen Woche.
Bernd Neuendorf meint, dass es eine WM-Vergabe wie an Katar nicht mehr geben wird. Was den Präsidenten des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) so sicher macht, bleibt ein Rätsel. Mittlerweile darf zwar der Fifa-Kongress über den Ausrichter entscheiden. Aber dort sitzen die Entsandten der mehr als 200 Mitgliedsverbände. Anders war es im erleseneren Kreis des Exekutivkomitees auch nicht. Über die Finanzflüsse im Verband berichtete 2019 ein Funktionär aus Uganda: »Es ist noch wie früher bei Blatter, nur jetzt muss man viele Formulare ausfüllen, bevor man sein Geld bekommt.«
»Viele Verbände haben ihre Unterstützung für den amtierenden Präsidenten Gianni Infantino bereits signalisiert«, sagte Neuendorf am Mittwoch mit Blick auf die kommende Wahl des Weltverbandes im März. Der Schweizer hat den Laden so fest im Griff wie der Schweizer vor ihm. Weil er mit der gleichen Methode des Gebens und Nehmens arbeitet, also Geld und Gefolgschaft. Mit der Erweiterung der WM von 32 auf 48 Teams samt finanzieller Zuwendungen sicherte sich Infantino die Unterstützung vieler kleiner Nationalverbände. Nur kurz im Gespräch waren Weltmeisterschaften im Zwei-Jahres-Rhythmus. Seine Ideen von einer stark erweiterten Klub-WM und einer globalen Nationenliga gibt es aber noch. Der erste Anlauf scheiterte 2018, weil Infantino den Fußball im Alleingang für mehr als 20 Milliarden Euro verkaufen wollte, die Investoren gab er bis heute nicht bekannt.
Auch die Kämpfe mit Gegnern beherrscht Infantino wie sein Vorgänger. Am Anfang seiner ersten Amtszeit fühlte er sich als »Geisel« der Ethikkommission. Die beiden obersten Richter, Hans-Joachim Eckert und Cornel Borbély, die Blatter zur Strecke gebracht und auch gegen Infantino selbst ermittelt hatten, mussten gehen. Die neu berufene María Rojas aus Kolumbien stellte die Ermittlungen gegen den Präsidenten alsbald ein. Am neuen Ethik-Code schrieb der Präsident gleich selbst mit.
Aussichtslos ist es nicht, dieses gewissenlose Spiel zu beenden. Die Fifa besteht aus ihren Mitgliedsverbänden. Man kann austreten. Machen das viele, ist der Weltverband keiner mehr, weil ihm dann auch die Fußballer fehlen. Diesen Kollaps des Systems aber fürchten alle, sei es noch so korrupt. Beim Geld, das dann auch erst mal fehlen würde, hört die Vernunft auf. Der Schein aber wird gewahrt, wie beim DFB. Der Verband teilte am Mittwoch mit, dass er sich seiner gesellschaftspolitischen Verantwortung stelle, indem er bis zum Fifa-Kongress im März den konstruktiven Dialog zu Themen wie Menschenrechten oder transparenten Entscheidungsprozessen mit dem Weltverband suchen werde. Viel besser hätten es Joseph Blatter und Gianni Infantino auch nicht formulieren können. Bestätigt werden ja irgendwie beide, wenn Infantino in vier Monaten wiedergewählt wird. Wie die Fifa am Donnerstag mitteilte, gibt es keinen Gegenkandidaten. Aber erst mal freut er sich auf »die beste WM aller Zeiten« in Katar – seiner Wahlheimat seit mehr als einem Jahr.
Lesen Sie alle unsere Beiträge zur Fußball-WM in Katar unter: dasnd.de/katar
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