- Wirtschaft und Umwelt
- Strukturwandel
Europa soll beim Motorwechsel helfen
Automobilregionen drängen auf finanzielle Hilfe aus Brüssel beim Umstieg auf Elektromobilität
Das Aus für die Braunkohle kommt spätestens 2038. In dem Jahr soll in Deutschland das letzte Kohlekraftwerk vom Netz gehen. Damit die Beschäftigten und die von der Kohleförderung geprägten Regionen nicht auf der Strecke bleiben, gibt es viel Geld für einen Strukturwandel – auch aus Brüssel. Dort wurde ein »Just Transition Fund« (JTF) aufgelegt, der dafür sorgen soll, dass neue Jobs in neuen Branchen entstehen.
Das Aus für den Verbrennungsmotor kommt schon 2035. Ab dem Jahr sollen, so hat es die EU beschlossen, in Europa zwar noch Autos gebaut werden, aber keine mehr mit Otto- oder Dieselmotoren. Damit steht auch die Automobilbranche vor einem gravierenden Umbruch – und drängt auf finanzielle Hilfen aus Brüssel: »Es sollte einen JTF 2.0 für den Autobereich geben«, sagt Thomas Schmidt (CDU), für Regionalentwicklung zuständiger Minister in Sachsen.
Der Freistaat ist ein klassisches Autoland. Die Marke Audi hat hier ihren Ursprung, Trabant und Barkas sorgten in der DDR für Mobilität, und heute betreiben VW, BMW und Porsche fünf große Werke, um die sich ein Netz von 780 Zulieferern, Ausrüstern und Dienstleistern etabliert hat. Es handelt sich um die umsatzstärkste Branche im Land, die nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ein Viertel zum Industrieumsatz beiträgt und in der 95.000 Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen.
Ähnliche Regionen gibt es viele in Europa. Sie haben sich jetzt zusammengeschlossen, um den Strukturwandel mit vereinten Kräften anzugehen. Im Juni gründeten sie die »Automotive Regions Alliance«, der bislang Mitglieder aus sieben EU-Ländern von Spanien bis Slowakei angehören und als deren 29. Mitglied jetzt beim ersten Arbeitstreffen in Leipzig Sachsen-Anhalt aufgenommen wurde. Ziel sei nicht zuletzt, »gemeinsam die Politik zu beeinflussen«, sagte Schmidt. In der Produktion von Autos lägen »Potenziale, die wir erhalten wollen«. Die Branche sichere den Wohlstand vieler Regionen und sorgt in Europa insgesamt für zwölf Millionen Arbeitsplätze.
Wie viele von diesen beim Übergang zu emissionsfreien Antriebstechnologien erhalten werden können, ist noch nicht sicher. Manchen Szenarien zufolge sind 600.000 Arbeitsplätze bedroht, etwa im Motorenbau oder bei der Herstellung von Getrieben, die in Elektroautos nicht mehr benötigt werden. Das sorgt für erhebliche Befürchtungen bei Beschäftigten, räumt Nicolas Schmit ein, der für Beschäftigung zuständige EU-Kommissar: »Viele Arbeitnehmer haben Angst, nicht mitgenommen zu werden.«
Schmit suchte derlei Befürchtungen zu zerstreuen. Zwar gebe es »Technologien, die auslaufen«. Gleichzeitig träten aber »neue Aktivitäten« an ihre Stelle. Wenn die Batterien für die künftig in den EU-Ländern produzierten E-Autos nicht aus Asien importiert, sondern ebenfalls in Europa hergestellt würden, wofür sich Schmit dringend aussprach, könnten 800.000 Jobs entstehen. Zudem böten auch andere Branchen Beschäftigungschancen, etwa die Herstellung von Chips, an denen mit zunehmender Elektrifizierung der Fahrzeuge ein wachsender Bedarf besteht. Damit die Chancen genutzt werden könnten, müssten die Mitarbeiter umfangreich weitergebildet werden. Diesbezüglich werde »Europa Zeichen setzen«.
Auch Sachsens Regionalminister Schmidt sagt, zwar sei »eine Eins-zu-eins-Jobgarantie eine Illusion«. Es entstehe aber Wertschöpfung und Beschäftigung in verwandten Branchen. Sein für Wirtschaft zuständiger Kabinettskollege Martin Dulig (SPD) erklärte, der Umbau der Branche führe zwar zu »Beschäftigungsrisiken«, die er ernst nehme. Bisher sei es aber gelungen, Verluste an anderer Stelle zu kompensieren. Dabei ist der Abschied vom Verbrenner im Freistaat weit fortgeschritten. Bei VW in Zwickau etwa laufen nur noch Elektroautos vom Band. Sachsen, so formulierte Dulig, sei »E-Autoland Nummer 1 in Europa«.
Die Zuversicht der Politik wird bei vielen Unternehmen geteilt. Laut dem Branchenmonitor des sächsischen Netzwerks der Automobilzulieferer (AMZ) von 2021 befänden sich die Unternehmen »mitten im Strukturwandel«. Viele lieferten inzwischen auch Komponenten für E-Autos, wobei der Anteil bei rund drei Viertel der Firmen bislang noch unter 25 Prozent des Umsatzes ausmacht. Als größte Herausforderung sehen die Unternehmen nicht den Übergang zur E-Mobilität, sondern die Verfügbarkeit von Personal.
Dass solche Einschätzungen allerdings die Beschäftigten beruhigen können, glauben nicht alle. Die sächsische Linke warnte kürzlich im Leitantrag eines Parteitags, die Entwicklung der Branche »bedrohe« die sächsischen Zulieferer, weil deren Aktivitäten in die Hauptwerke zurückgeholt würden. Dem Optimismus der Landesregierung stehe »die harte Realität gegenüber, dass die Belegschaften vor allem der Zuliefererindustrie vor einer ungewissen Zukunft stehen«.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.