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Mehr als nur Hilfskräfte
Der Pflegenotstand hängt mit fehlender Selbstbestimmung im Beruf zusammen
Es ist ein Dilemma. Wenn über Pflege geredet wird, dann vor allem mit Katastrophen-Vokabular: Fachkräftemangel, Pflegenotstand, gefährliche Pflege. »Wenn das alles ist, was uns zur Pflege einfällt, müssen wir uns nicht wundern, wenn niemand dort arbeiten will«, sagt Jan Basche, Geschäftsführer der Sozialstation Mobil, am Montagmorgen im Gesundheitsausschuss des Abgeordnetenhauses. Trotzdem muss auch in dieser Sitzung darüber geredet werden. Denn Berlin bewegt sich wie ganz Deutschland auf eine katastrophale Versorgungslage zu.
Gabriela Leyh, Landesgeschäftsführerin der Barmer Krankenkasse, stellt den Pflegereport 2021 vor. Die Zahl der Menschen mit Pflegeansprüchen wird demnach stark zunehmen. Durch die Pflegestärkungsgesetze von 2015 und 2016 fallen mehr und mehr Menschen insbesondere in die niedrigen Pflegegrade, 2030 sollen laut der Modellierung durch die Reformen 40 000 Pflegebedürftige zu den ohnehin wachsenden Zahlen hinzukommen.
2030 bräuchte es deshalb rund 10 000 mehr Fachkräfte. »Aktuell sind aber schon 1200 Stellen in der Pflege unbesetzt«, gibt Leyh zu Bedenken. Zusätzlich wird in den kommenden zehn Jahren ein großer Anteil der Pflegenden in Rente gehen, ergänzt Katja Boguth, Professorin für Pflege an der Alice-Salomon-Hochschule. »Wir haben ein sehr, sehr großes Problem.«
Was also tun? Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates, bringt drei Hauptforderungen in den Ausschuss. Erstens verlangt die Vertretung der Pflegenden mehr Handlungskompetenz. »Wenn ich ein Pflegebett oder ein Wundheilmittel verschreiben will, brauche ich aktuell immer den Rückgriff auf den Arzt, obwohl wir diese Fragen selbst beantworten können«, erzählt Vogler. Trotz umfassender Ausbildung als Hilfskraft zu gelten und für den Pflegeprozess relevante Entscheidungen nicht selbstständig treffen zu dürfen, führe zu Frustration und einem Gefühl fehlender Anerkennung.
Das Heilberufegesetz könne von den Ländern so umgesetzt werden, dass Pflegeberufe ähnlich wie medizinisches Fachpersonal mehr Verantwortung erhielten. In anderen Ländern sei das bereits Usus. Um ausländische Pflegefachkräfte nicht nur nach Deutschland anzuwerben, sondern auch im Beruf zu halten – genauso wie deutsche Berufseinsteiger*innen –, müsse sich der Status der Profession dringend ändern.
Voglers zweiter Punkt zielt in eine ähnliche Richtung. Es geht ihr um Selbstverwaltung: In Pflegekammern sollten die Pflegenden zu Arbeitsbedingungen und Strukturfragen mitbestimmen können. Dass es neue Wege braucht, bestätigen alle Gäste im Ausschuss. In eigenen Kammern könnten erweiterte Berufsfelder wie Pflege an Schulen oder Unterstützung von pflegenden Angehörigen entwickelt und Gesundheitsversorgung präventiv aufgestellt werden.
Und drittens: Bildungsoptionen. Die Akademisierung der Pflege sei ein wichtiger Schritt, um der Komplexität des Berufes gerecht zu werden. Die Angst, studierte Pflegekräfte würden nur Schreibtischarbeit machen, hat Vogler nicht: »Unsere Haltung ist: Die Besten ans Bett.«
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