Sole Mio und Vulcano

Olga Hohmann ringt mit der Kälte

  • Olga Hohmann
  • Lesedauer: 5 Min.
Kein Wohlgeruch, aber zumindest ein paar Grad wärmer: Venedig.
Kein Wohlgeruch, aber zumindest ein paar Grad wärmer: Venedig.

Vor ein paar Jahren machte ich einen Vorweihnachtsbesuch bei meiner Großmutter. Ich war erkältet – was sie dazu bewog, mir einen Kamillentee ans Bett zu bringen. Draußen schneite es, und ich lag unter der Decke, als sie mir den Tee brachte, schlotterte aber immer noch, denn meine Großmutter hatte die Angewohnheit, nur sporadisch zu heizen. Weil sie bemerkte, dass mir offensichtlich kalt war, meinte sie, sie hätte noch eine Überraschung für mich.

Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

»Ich leihe dir für die Nacht meinen Sole Mio«, sagte sie, verließ den Raum und kam mit einem rätselhaften Objekt zurück. Ich kannte den Ausdruck »O sole mio« nur von dem Lied, das die Gondoliere in Venedig singen, während sie Tourist*innen über die stinkenden Kanäle kutschieren. Der Sole Mio sah aus wie eine Handgranate, metallisch und rund und hatte eine Art Anzug aus orangefarbenem Vlies. Meine Großmutter verband das landminenartige Objekt mit einem Kabel, das sie in die Steckdose steckte, woraufhin ein roter Knopf anging. Nach fünf Minuten ging mit einem sanften »Pling« der Knopf wieder aus, und meine Großmutter zog dem Sole Mio seinen Schlafanzug an. Er strahlte nun eine angenehme Wärme aus.

Es ist unnötig zu erwähnen, dass es sich bei Sole Mio um eine Art elektronische Wärmflasche handelte. Und auch, dass ich bereits nach einer Nacht mit ihm süchtig nach seinem warmen Körper war, versteht sich von selbst. Sole Mio verließ mein Bett bis zu meiner Abreise nicht mehr. Als ich zu Hause ankam, schlecht gelaunt aufgrund der Tatsache, unter eine kalte Bettdecke steigen zu müssen, fand ich meinen neuen Freund: Meine Großmutter hatte ihn mir als Geschenk in den Koffer geschmuggelt. Zum Glück war ich mit dem Zug gefahren, denn bei einer Flughafenkontrolle wäre er sicher beschlagnahmt worden.

Von diesem Tag an schlief Sole Mio in meinem Berliner Bett jede Nacht neben mir, sehr zum Unmut meines Boyfriends, der nach einer Woche bemerkte: »Der Sole Mio ist mein größter Feind.« Ich hielt an ihm fest, fast beleidigt über die harschen Worte. Er überlebte auch meine Beziehung – Sole Mio und ich waren uns treu. Ich nahm ihn auch dann noch vor seinen Kritiker*innen in Schutz, als sich herausstellte, dass er nicht so sicher war, wie ich erwartet hatte – regelmäßig wachte ich mit Brandblasen an Armen und Beinen auf. Ich nahm die Verletzungen in Kauf, denn ich wollte mich auf keinen Fall von ihm trennen. Aus Sorge um meine Gesundheit recherchierte meine Mutter, nachdem sie meine Brandblasen registriert hatte, eine andere »elektronische Wärmflasche« und schenkte mir Vulcano. Vulcano ist Sole Mios weniger gefährlicher Bruder, ebenfalls orange, allerdings nicht so hart, sondern mit einer Flüssigkeit gefüllt, was mir intuitiv wesentlich gefährlicher vorkommt. Wenn man ihn in die Steckdose steckt, fängt er leicht an zu vibrieren und macht Geräusche, die an das Schnurren einer Katze erinnern (wie ich, wenn ich schnarche – zumindest hat es ein Liebhaber mal euphemistisch so verpackt).

Ganz konnte ich mich von Sole Mio nicht trennen, und so schlafe ich abwechselnd neben ihm und Vulcano – und manchmal zwischen beiden. Sie nehmen mir meine Promiskuität allerdings nicht übel, jedenfalls beißen sie mich nicht mehr als sonst.

Seit in Berlin Minusgrade sind, hat die Bedeutung von Vulcano und Sole Mio in meinem Leben extrem zugenommen. Dass ich wochenlang, ohne zu heizen, in meiner eiskalten Wohnung verbracht habe, hat nicht nur den Grund, dass ich Strom spare, sondern auch, dass es mir wie eine unlösbare Aufgabe erscheint, die Heizkörper zu entlüften. In meiner Wohnung muss man mit einem Entlüftungsschlüssel (den ich jedes Jahr neu kaufe, weil ich ihn über die Sommermonate in meiner Wohnung verliere) an den Heizkörpern drehen, bis Luft entweicht und dann gräuliches Wasser in hohem Bogen herausspritzt. Es ist eine Tätigkeit, die ich so lange wie möglich verschiebe. In diesem Jahr wartete ich besonders lange.

Auch mein kalifornischer Untermieter, der seinen ersten Winter in Deutschland verbringt, spornte mich in meinem Ehrgeiz an, das Heizen hinauszuzögern: Er erklärte mir, dass er ohnehin ein leidenschaftlicher Camper sei. Es wurde fast zu einem Experiment, spätestens als er mir, schlotternd aus dem Badezimmer kommend und nur ein Handtuch tragend, sagte, dass er nun angefangen hätte, zusätzlich eiskalt zu duschen. Im Kalten zu schlafen und kalt zu duschen führe dazu, so hatte er gelesen, dass der Körper besonders viel Dopamin ausschütte. Irgendwann sahen wir unseren Atemhauch vor dem Mund, der Kalifornier trug 24/7 seine Pelzmütze. Eines Morgens eröffnete er mir, dass er sich, wenn wir nicht anfangen würden zu heizen, ein neues sublet suchen müsse.

Seit einigen Tagen sind wir in unserer heißen, gemütlichen Wohnung. Immer wenn ich nach Hause komme, stöhne ich vor Glück auf, schlafe aber wahnsinnig schlecht – in der letzten Nacht musste ich vier Schlaftabletten nehmen, um mich wenigstens ansatzweise zu erholen: zwei Schlafsterne und zwei Melatonin-Gummies. Außerdem entdeckte ich einige Neurodermitisstellen in meinem Gesicht – wahrscheinlich wegen der trockenen Heizungsluft. Völlig fertig und noch benebelt von den Schlafsternen, fuhr ich morgens zur Arbeit. Am Moritzplatz stieg ein Mann in die U8 und fing an »O sole mio« zu singen. Ich dachte an meine Mutter, die mir von der Kohleheizung in Westberlin erzählte, von den grau angelaufenen Brandmauern und davon, dass man lieber die Nacht in der Kneipe verbrachte, als Kohlen nach oben zu schleppen.

Bei der Arbeit war es noch kälter, als es vor dem Entlüften zu Hause gewesen war, wir saßen acht Stunden in unseren Daunenjacken vor dem Computer. Erst als ich wieder in der U8 war, wärmte ich mich auf. An der Jannowitzbrücke stieg der Sänger von der Hinfahrt wieder ein. Er schien, anders als ich, ebenso motiviert wie acht Stunden vorher – vielleicht weil es an seinem Arbeitsplatz wärmer war als an meinem. Leider hatte ich am Abend vorher in der Eckkneipe mein ganzes Kleingeld verprasst, sonst hätte ich ihm gerne etwas gegeben.

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