Den Virenblick weiten

Kurt Stenger über die Rückkehr vergessen geglaubter Infekte

Im Wettlauf der Erreger akuter Atemwegserkrankungen fällt Sars-CoV-2 hierzulande weiter zurück. Gerade mal auf Platz vier liegt das Coronavirus noch bei den im Rahmen der offiziellen Überwachung untersuchten Proben, wie das Robert-Koch-Institut im aktuellen Wochenbericht mitteilt. Es sind die Influenza- und die Respiratorischen Synzytial-Viren (RSV), die mehr als die Hälfte der Fälle ausmachen. Kinderkliniken warnen mit Blick auf rasant zunehmende RSV-Fälle sogar vor Überlastung.

Natürlich ist das nur eine Momentaufnahme – die Corona-Zahlen können auch wieder steigen. Aber sie zeigt doch die neue Realität, die uns jetzt wohl Winter für Winter begleiten wird: Covid-19 ist eine unter vielen Atemwegserkrankungen. Dank Omikron und recht gutem Immunstatus durch Impfung und/oder Infektion ist der Pandemieschrecken für die meisten längst verflogen. Es gibt noch kleinere vulnerable Gruppen, für die Corona weiter eine tödliche Gefahr birgt. Doch ähnlich ist das auch bei anderen Viren.

Seit 2020 haben Politik und Öffentlichkeit in Sachen Sars-CoV-2 wie das Kaninchen auf die Schlange geschaut. Da sich die Schlange als deutlich weniger gefährlich erweist, ist es sicher nicht verkehrt, wenn die Politik über weitere Lockerungen diskutiert. Nur müsste man dann auch den Blick auf andere Erreger weiten. Wer eine Aufhebung der Corona-Isolationspflicht beschließt, sollte das mit der Mahnung an alle verbinden, bei akuten Atemwegserkrankungen zu Hause zu bleiben. Und wenn mit Covid-19 eine weitere Krankheit dazukommt, muss das bei der Beleg- und Personalplanung in Krankenhäusern berücksichtigt werden.

Noch immer aber wird nur darüber spekuliert, wie schlimm die Corona-Winterwelle wird. Die Fallzahlen der akuten Atemwegserkrankungen liegen derzeit höher als in den Jahren vor der Pandemie. Das muss allen bewusst sein im Lernprozess, mit Corona zu leben.

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