- Wirtschaft und Umwelt
- Proteste gegen Amazon
Von Berlin bis Tokio
Weltweit steht Amazon wegen seiner Arbeitsbedingungen in Kritik
Beim diesjährigen Black Friday wurde bei Amazon nicht nur geshoppt, gegen den umstrittenen Onlineriesen wurde auch gestreikt und protestiert. »Amazon ist kein guter Nachbar«, war am vergangenen Freitagabend in riesigen Buchstaben am Amazon-Tower in Berlin-Friedrichshain zu lesen, der derzeit an der Warschauer Straße gebaut wird. »Make Amazon Pay«, »Der Tower muss weg« und »Solidarität mit Amazon-Streikenden weltweit« hießen weitere Slogans, die über 100 Aktivist*innen in der Dunkelheit an das höchste Gebäude Berlins projizierten. Sie wollten so ihre Unterstützung der kämpfenden Amazon-Beschäftigten zum Ausdruck bringen.
Die Aktion war Teil eines globalen Aktionstages unter dem Namen »Make Amazon Pay« gegen den Onlineriesen, der vor allem für seine gewerkschaftsfeindlichen Praktiken bekannt ist. In mehr als 30 Ländern fanden an diesem Tag Aktionen statt. Organisiert wurde der Aktionstag von UNI Global Union, dem weltweiten Zusammenschluss von Gewerkschaften aus dem Dienstleistungsbereich und Progressive International, einem Zusammenschluss mit dem Ziel, fortschrittliche Kräfte auf der ganzen Welt zu vereinen. Die Progressive Internationale wird von einem Beirat unterstützt, dem unter anderem der US-Intellektuelle Noam Chomsky, die indische Aktivistin Aruna Roy und der griechische Politiker Yanis Varoufakis angehören.
»Wir haben den Black Friday aus gutem Grund in ›Make Amazon Pay-Day‹ umbenannt«, erklärte UNI-Generalsekretärin Christy Hoffman. »An diesem Tag wollen wir die vielen Angriffe von Amazon auf Beschäftigte und ihre gewerkschaftliche Organisierung anprangern«. Die Kampagne »Make Amazon Pay« startete im November 2020 und wird heute von über 80 Gewerkschaften, Organisationen der Zivilgesellschaft und Umweltschützer*innen unterstützt, darunter auch den Amazon Workers International, Oxfam und Greenpeace.
Allein in Deutschland und Frankreich haben in einer Kooperation der deutschen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der französischen Gewerkschaft CGT die Beschäftigten in 18 Lagerhäusern gestreikt. Laut Monika Di Silvestre, zuständig bei Verdi für die Gewerkschaftsarbeit bei Amazon, sei es sehr wichtig gewesen, »den diesjährigen Aktionstag gemeinsam zu begehen, denn einem weltweit agierenden Großkonzern wie Amazon könne man nicht allein lokal, regional oder national begegnen«.
So besuchten Streikende aus dem Standort in Koblenz am Aktionstag ihre Kolleg*innen in Frankreich; umgekehrt waren Beschäftigte aus dem bestreikten Standort Metz in Koblenz. Die Amazon-Beschäftigten in Deutschland wollen tarifliche Sicherheit und gute Arbeitsplätze. Sie streiten schon seit 2014 – mit ersten wichtigen Erfolgen. Die Stundenlöhne haben sich erhöht und der Gesundheitsschutz hat sich teils verbessert. Aber keiner dieser Erfolge ist bisher mit einem Tarifvertrag abgesichert.
Bei der Kundgebung in Berlin sprach Boris Bojilov vom Verdi-Bezirk Berlin-Brandenburg über die aktuellen Organisierungsversuche. Bisher habe die Gewerkschaft nur in den großen Lagerhäusern wie in Bad Herzfeld einen höheren Organisierungsgrad erreicht. In der letzten Zeit gebe es aber auch Versuche, die Beschäftigten der kleinen Verteilzentren zu organisieren, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund auf Basis von Leiharbeitsverträgen arbeiten.
Das führte bereits zu ersten Erfolgen. Im Juni gelang Verdi zum Beispiel im niedersächsischen Wunstorf die Gründung des ersten Betriebsrats bei einem Verteilzentrum. Nun finden auch in Berlin-Mariendorf Betriebsratswahlen statt. Gewerkschafter Bojilov hofft, »dass nächstes Jahr bei der Black-Friday-Kundgebung in Berlin auch Streikende mit dabei sein werden«.
In den letzten Tagen wurden weitere pikante Details über das Arbeitsregime bei Amazon bekannt. An einem Leipziger Standort kam es im August dieses Jahres zu einem Todesfall. Der Mitarbeiter starb an gesundheitlichen Problemen, ein Arbeitsunfall lag nicht vor. Laut der Recherche-Plattform Correctiv wurde die Schicht fortgesetzt, während Rettungskräfte und Polizei stundenlang im Einsatz waren. Um die Leiche des Arbeiters seien lediglich Pappen als Sichtschutz aufgebaut worden. »Wäre ich an ihrer Stelle gewesen«, so wird ein Mitarbeiter zitiert, »hätte ich den Schichtbetrieb sofort eingestellt«. Correctiv veröffentlichte zudem eine Recherche, in der die gefährlichen Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer in Amazons Lieferkette beschrieben werden, die unter unregelmäßigen Schichten, zu langen Lenkzeiten und nicht geeigneten Schlafplätzen leiden.
Aktionen gegen den Konzern fanden auch in den USA statt, unter anderem beim Amazon-Hauptquartier in Seattle und am Wohnsitz von Amazon-Gründer Jeff Bezos in New York. In Indien haben laut der Kampagne Tausende Arbeiter*innen und Straßenverkäufer*innen in über 20 Städten demonstriert, unter anderem vor dem Parlament in Neu-Delhi. In Japan protestierten die Beschäftigten der kürzlich gegründeten Gewerkschaft Amazon Workers Union vor dem Hauptsitz von Amazon Japan in Tokio.
In Bangladesch forderten Tausende Textil-Arbeiter*innen in der Lieferkette von Amazon die Anerkennung ihrer Gewerkschaften und die Unterzeichnung des Bangladesch-Abkommens für mehr Sicherheit am Arbeitsplatz durch den Konzern. »Bekleidungsarbeiterinnen und -arbeiter, wie die, die ich vertrete, schuften, um die Kassen von Amazon zu füllen, oft ohne dass wir überhaupt als Amazon-Beschäftigte anerkannt werden«, erklärte Nazma Akhter, Präsidentin der Sommilito Garments Sramik Federation. »Bei der Arbeit werden wir von der Geschäftsführung sexuell belästigt und schikaniert, wenn wir versuchen, uns gewerkschaftlich gegen diese Gewalt und für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen zu organisieren.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.