- Politik
- Katastrophenschutz
Klappt es diesmal mit dem Warnen?
In Deutschland sind Zivil- und Katastrophenschutz in größter Not
»Ein einziger Schrei – die Stadt ist versunken, und Hunderttausende sind ertrunken. Wo gestern noch Lärm und lustiger Tisch, schwamm andern Tags der stumme Fisch …« heißt es in einer Ballade, die der Dichter Detlev von Liliencron 1882 verfasste. Er beschreibt die »Erste Grote Mandränke«, die sich fünf Jahrhunderte zuvor an der nordfriesischen Küste ereignet hatte. Das Unheil braute sich am 16. Januar 1362 zusammen und verschlang in nur einer Nacht weite Landesteile, darunter die zwischen den Inseln Pellworm und Nordstrand gelegene, reiche Kaufmannsstadt Runghold. Mit Mensch und Maus.
Der Untergang weiter Landstriche ist auch aus ganz rationalen Gründen im Bewusstsein der Küstenbewohner. Ähnliches Sturmflut-Ungemach kann – trotz umfangreicher Maßnahmen für den Küstenschutz – wieder auftreten. In den nächsten einhundert Jahren, so liest man im UN-Weltklimabericht, muss mit einem Anstieg des normalen Meeresspiegels um rund einen Meter gerechnet werden. Schon jetzt, so berechneten Experten, könnten bei einer Nordsee-Sturmflut ein Viertel von Schleswig-Holstein überflutet und über 300 000 Einwohner betroffen sein. Dagegen wäre die Tragödie, die sich im Juli 2021 im Ahrtal ereignete und 260 Menschen in Rheinland-Pfalz und im benachbarten Belgien das Leben kostete, ein vergleichsweise »harmloses« Ereignis gewesen sein.
Wenn jeweils am Samstagmittag die zumeist auf den Dächern der Freiwilligen Feuerwehrgebäude installierten Sirenen ihr Signal übers flache Land schicken, sind viele Einwohner in Schleswig-Holstein beruhigt, denn sie wissen: Egal ob ein Hof in Flammen steht, ein Orkan Bäume entwurzelt, Autos ineinander krachen oder das Meer über den Deich kommt – das Warnsystem ist intakt, gegenseitige Hilfe also organisierbar. Stimmt das?
Nein. Nach Ende des Kalten Krieges hatte der Bund seine Sirenen aufgegeben. Nur teilweise wurden sie von Kommunen übernommen. Im Land zwischen Nord- und Ostsee gibt es, so rechnete Landesinnenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) jüngst vor, etwa 2600 derartige Anlagen. Die meisten sind veraltet, müssten aufgerüstet oder ausgetauscht werden. Überdies sind es ohnehin viel zu wenige, sagen Katastrophenschützer. Die Landesregierung in Kiel legte ein Programm zum Aufbau weiterer Sirenen auf. Zwischen 2023 bis 2030 plant man dafür 23,3 Millionen Euro ein. Zugleich jedoch verlangt man in Kiel mehr Engagement vom Bund beim Wiederaufbau des flächendeckenden Netzes von Alarmsirenen. Allein für Schleswig-Holstein würden 55 Millionen Euro benötigt. Nur so käme man auf den alten Stand von 5000 einsatzfähigen Sirenen, sagen Experten. Auch andere Bundesländer halten die Hand auf, doch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sieht sich nicht in der Pflicht, mehr zu geben. Dabei geht es nicht nur ums Geld, auch dass der Bedarf nach neuen Sirenen in allen deutschen Landesteilen die Produzenten solcher Warnanlagen überfordert, ist nicht das alleinige Problem. Es geht um Zuständigkeiten. Katastrophenschutz ist Ländersache, Zivilschutz aber eine Aufgabe des Bundes.
Der Krieg in der Ukraine hat deutlich gemacht, wie extrem gefährdet Infrastruktursysteme sind und wie eng staatliche Vorsorgeverpflichtungen folglich ineinandergreifen müssen, um ein geordnetes Zusammenleben der Menschen in kritischen Situationen zu ermöglichen. Wer hält welche Mittel vor, wer koordiniert die sogenannten Blaulichtorganisationen, die sich zum Gutteil auf ehrenamtliche Kräfte stützen müssen? Wie arbeiten Katastrophenstäbe zusammen, wenn nicht einmal die Feuerwehren benachbarter Kreise per Funk miteinander kommunizieren können?
Für den Donnerstag haben sich Bund, Länder und Kommunen nun zum bundesweiten Warntag verabredet. Probehalber werden verfügbare Warnsysteme getestet – etwa Radio- und TV-Durchsagen, Nachrichtenbanner auf Medienseiten im Internet, digitale Anzeigetafeln an Straßen und auf Bahnhöfen, Lautsprecherfahrzeuge kommen zum Einsatz.
Beim ersten Bundeswarntag im Jahr 2020 lief schief, was schieflaufen konnte. Die Testwarnung des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe verzögerte sich um 30 Minuten. Der damalige Behördenchef Christoph Unger musste seinen Posten räumen, man versprach Amt und Abläufe zu reorganisieren. Ein ursprünglich für September 2021 geplanter Warntag war dennoch abgesagt worden. Grund: das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe müsse erst noch eine »umfassende Testlandschaft« aufbauen. Ob die nun gut ein Jahr später steht?
Sowohl das Sirenensignal für den Probealarm um 11 Uhr als auch für die Entwarnung um 11.45 Uhr sollen jeweils eine Minute andauern. Falls Signale ertönen. Da gibt es bereits im Vorfeld des Tests etwa zwischen den Nordländern gravierende Unterschiede. In Ostholstein bleiben die vorhandenen Sirenen stumm. Im ganzen Land Mecklenburg-Vorpommern kann nur rund jeder sechste Bürger über eine Sirene gewarnt werden. In Schwerin wird es am 8. Dezember kein Geheul geben. In der knapp 100 000 Einwohner zählenden Landeshauptstadt gebe es nur an zwei Standorten Sirenen, diese würden nur zur Alarmierung der Freiwilligen Feuerwehr eingesetzt, teilte die Stadtverwaltung mit. Auch in Greifswald soll es ruhig bleiben. Im niedersächsischen Osnabrück wird nichts zu hören sein, denn noch sind nicht alle geplanten 27 Sirenen montiert. Termin dafür war im März 2021.
Erprobt wird bundesweit erstmals ein Cell Broadcast System. Dabei müssen die Nutzerinnen und Nutzer im Gegensatz zu anderen Warnsystemen wie Nina oder Katwarn keine extra App installiert haben. Ein Warnton und eine Text-Nachricht werden an alle Geräte übertragen, die in einer Mobilfunk-Zelle angemeldet sind, für die eine Warnung herausgegeben ist. Viele Handy-Besitzerinnen und -Besitzer haben in den vergangenen Tagen bereits eine SMS erhalten, die auf den Test hinweist. Allerdings gehen die Experten des Innenministeriums in Kiel davon aus, dass man nur etwa die Hälfte aller Handy-Nutzer erreichen kann, weil viele Geräte zu alt oder die Updates nicht auf dem erforderlichen Stand sind.
Am Montag appellierte deshalb Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) an alle Handynutzer, die für den Empfang der Warnnachrichten notwendigen Updates durchzuführen. Erreicht werden könnten Handys auch nur, ergänzte er, wenn sie eingeschaltet seien und sich nicht im Flugmodus befänden. Auf der BBK-Website könne darüber hinaus nachgeschaut werden, welche Mobiltelefone zum Empfang geeignet sind.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.