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Schutzlos ausgeliefert

Nach Auslaufen der Sozialbindung drohen sprunghafte Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen

  • Yannic Walther
  • Lesedauer: 6 Min.
Andere Häuser in Prenzlauer Berg wurden in den 2000ern modernisiert.
Andere Häuser in Prenzlauer Berg wurden in den 2000ern modernisiert.

»Der Countdown läuft«, sagt Monika. Ende Januar kommenden Jahres ist auch ihre Wohnung an der Reihe: Die Sozialbindung läuft aus. Die Miete für die alleinerziehende Mutter erhöht sich dann schlagartig von 500 auf 800 Euro. Was Monika aber noch mehr Sorgen bereitet, ist die Eigenbedarfskündigung, die ihr dann ins Haus steht. Der Makler kam bereits, um sich ihre Wohnung anzuschauen.

»Die eigenen vier Wände werden für viele auf einmal durchsichtig«, sagt Monika, die eigentlich anders heißt, aber ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Sie ist nicht die einzige, der eine sprunghafte Mieterhöhung und eine Eigenbedarfskündigung droht. Ihre Wohnung ist eine der fast 18 000, deren Modernisierung im Rahmen des Programms »Soziale Stadterneuerung« gefördert wurde. Für die Instandsetzung maroder Häuser gab es in der Zeit von 1990 bis 2003 ein umfangreiches Förderprogramm. Im Gegenzug verpflichteten sich die Eigentümer auf 20 bis 30 Jahre geltende Mieterschutzregelungen beispielsweise zum Schutz vor Eigenbedarfskündigungen oder zur Kappung der Modernisierungsumlage.

Nun laufen die Bindungen aus. Wie eine »nd« vorliegende, noch unveröffentlichte Antwort auf eine Anfrage von Niklas Schenker, dem wohnungspolitischen Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, zeigt, betrifft das bis 2035 fast 6400 Wohnungen. Allein im kommenden Jahr fallen in Berlin fast 2000 Wohnungen aus der Sozialbindung des Programms der sozialen Stadterneuerung. »Eine riesige Verdrängungswelle rollt auf die Stadt zu«, sagt Monika.

Denn zahlreiche Wohnungen sind bereits aufgeteilt und in Wohneigentum umgewandelt worden. Bei dem überwiegenden Teil sei die Umwandlung in Wohneigentum und der Verkauf als Eigentumswohnung bereits während der Baumaßnahmen geschehen, teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Schenkers Anfrage mit.

Allen voran in Prenzlauer Berg, wo nach der Wiedervereinigung großflächig marode Häuser instand gesetzt wurden, betrifft das ganze Straßenzüge. Die Mieter haben sich vernetzt. Auf einer Karte der Initiative Kieztreffen Pankow kann man sehen, wie die auslaufenden Bindungen in den nächsten Jahren ganze Nachbarschaften verändern werden. Der politische Wille, ihnen zu helfen, fehle, sagt Monika. Aber sie sagt auch, dass die Handlungsoptionen begrenzt seien.

Die betroffenen Mieter helfen sich deshalb gegenseitig. Als Gruppe begleiten sie beispielsweise Maklerbesichtigungen. »Das war ein Gefühl der Selbstermächtigung«, sagt Monika mit dem Blick auf den Tag, als sie gemeinsam dem Makler die Besichtigung ihrer Wohnung vermiest haben. »Widerstand lohnt sich von der ersten Sekunde an«, ist Monika sich sicher. Denn wenn der Makler beispielsweise keine Fotos von der Wohnung machen kann und der Eigentümer die Wohnung somit nicht kennt, sei es in manchen Fällen für ihn vor Gericht schwerer, einen Eigenbedarf zu begründen.

Das Programm »Soziale Stadterneuerung« zeige beispielhaft, »wie wenig nachhaltig die Förderung privater Eigentümer ist, wenn sie nur mit kurzen Bindungszeiten einhergeht«, sagt Linke-Wohnungspolitiker Niklas Schenker zu »nd«. Es brauche dringend Schutz vor den exorbitanten Mietsteigerungen und es müssten Wege gesucht werden, wie man die Mieter bei Eigenbedarfskündigungen unterstützen könne. Aus dem Programm »Soziale Stadterneuerung« müssten aber auch Lehren für zukünftige Modernisierungsförderungen gezogen werden, ist Schenker überzeugt.

Denn in Berlin muss aufgrund der klimapolitischen Ziele in den kommenden Jahren erheblich in den Wohnungsbestand investiert werden. »Die energetische Ertüchtigung des Wohnungsbestandes ist nicht nur klimapolitisch dringend geboten, sondern hat angesichts der Energiepreissteigerungen eine hohe Dringlichkeit. Sie darf aber nicht dazu führen, dass sich Mieterinnen und Mieter ihre Wohnungen nach einer Modernisierung nicht mehr leisten können«, sagt Schenker.

Wie die Antwort auf eine weitere noch unveröffentlichte Anfrage des Linke-Politikers zeigt, erarbeitet der Senat derzeit eine Richtlinie für den Erhalt preisgünstigen Wohnraums im Zuge energetischer Modernisierungen – ergänzend zu der bestehenden Förderlandschaft. Damit sollen auch Mietpreis- und Belegungsbindungen bei Inanspruchnahme der Fördermittel umgesetzt werden können. Der Entwurf sei bereits mit Verbänden erörtert worden. Eine Abstimmung im Senat steht aber noch aus. »Da die Richtlinie noch nicht in Kraft getreten ist, konnten bisher noch keine Mietpreis- und Belegungsbindungen durch eine Modernisierungsförderung geschaffen werden«, teilt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Schenkers parlamentarische Anfrage hin mit. Der Linke-Politiker begrüßt, dass mit dem Förderprogramm auch neue Sozialbindungen geschaffen werden sollen. »Im Rahmen des neuen Förderprogramms streben wir möglichst langfristige Mietpreisbindungen und Belegungsrechte an«, sagt er.

Auch diejenigen, die am Ende den Bestand klimagerecht und sozialverträglich sanieren wollen, hoffen auf neue Fördermöglichkeiten. So sagte Ulf Heitmann, Genossenschaftsvorstand der Bremer Höhe, zuletzt bei einer Veranstaltung zur klimagerechten Sanierung des Berliner Bestandes: »Wenn man aber will, dass trotz Sanierung die Mieten preiswert bleiben, braucht es ein umfassendes Programm.« Die Kritik an den befristeten Sozialbindungen teile er. Heitmann zeigte sich aber überzeugt, dass es ein umfassendes Sanierungsprogramm angelehnt an das aus den 90er Jahren brauche. Die Sanierung des von der Genossenschaft im Jahr 2000 erworbenen Gebäudebestandes an der Schönhauser Allee in Berlin-Pankow sei nur möglich gewesen, weil 40 Prozent der Kosten von Land und Bund bezuschusst worden seien – durch Förderprogramme, die es gegenwärtig nicht mehr gebe. Die bestehenden Sanierungsprogramme sind dabei kein tauglicher Nachfolger des Programms zur sozialen Stadterneuerung.

Die Antwort auf Schenkers Anfrage zeigt auch, dass die aktuell bestehenden Fördermöglichkeiten bisher von den landeseigenen Wohnungsunternehmen nur relativ überschaubar in Anspruch genommen werden. Beispielsweise bei dem Förderprogramm für die altersgerechte Sanierung liegen die Wohnungsbaugesellschaften, trotz ihres größeren Bestands, bei den in Anspruch genommenen Mitteln hinter den Genossenschaften. Bei den Mitteln zur energetischen Gebäudesanierung wurden 2021 für die Wohnungsbaugesellschaften rund 19 Millionen Euro an Mittel bewilligt, während es bei den Genossenschaften über 28 Millionen Euro waren.

Linke-Politiker Schenker sieht deshalb einen dringenden Nachbesserungsbedarf bei der energetischen Ertüchtigung der landeseigenen Wohnungsbestände. »Wir brauchen einen verbindlichen Modernisierungsfahrplan für die 360 000 kommunalen Wohnungen«, sagt er. So ein Fahrplan sei der erste wichtige Schritt, da derzeit noch unklar sei, in welchem Zustand sich die landeseigenen Wohnungen eigentlich befänden. Bei der Ertüchtigung wiederum sei das »oberste Gebot«, dass die Modernisierungen warmmietenneutral gestaltet würden, »sodass Mieterinnen und Mieter keine Mehrkosten tragen müssen«, sagt Schenker.

Stichwort Mehrkosten: Wenn Monika, deren Sozialbindung im Januar ausläuft, daran denke, was dann auf sie zukomme, dann sagt sie, dass sie sich zuletzt auch immer wieder auf Wartelisten von Genossenschaften habe setzen lassen. Das Gefühl, sich seines Zuhauses sicher zu sein, gebe es bei vielen, denen es wie ihr gehe, nicht mehr. Wände neu streichen, das mache niemand, der nicht wisse, ob er künftig noch in seiner Wohnung leben werde. Doch einfach auszuziehen, wenn die Eigenbedarfskündigung im Briefkasten lande, sei auch keine Option. Denn erst vor Gericht könne geprüft werden, ob eine Eigenbedarfskündigung rechtens ist. »Wir können deshalb nicht alle voreilig klein beigeben«, sagt sie. Monika will in ihrer Wohnung bleiben – solange es geht.

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