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In den 50ern hängengeblieben
Arbeiten in der Pflege macht krank und arm
»Wenn man sich heute die Situation in der Pflege anschaut, dann erinnert sie mich an das Familienbild der 50er Jahre«, sagt Bernadette Klapper, Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe am Mittwoch zur Vorstellung des Gesundheitsreports des Dachverbands der Betriebskrankenkassen (BKK). »Der Vater als Haushaltungsvorstand – in dem Fall der Mediziner – sagt an, was richtig ist in Sachen Gesundheit. Die Mutter, also die Pflege, kümmert sich um die Kinder, hat vermeintlich diffuse Aufgaben, aber sorgt dafür, dass der Laden läuft«, erläutert Klapper. »Und sie muss ihren Mann fragen, ob sie arbeiten gehen und ein eigenes Konto eröffnen darf, sprich, sie wird in jedem Schritt gesteuert und darf nicht eigenständig agieren. Und die Kinder, also die Patienten, sie haben auch kaum Mitspracherecht.«
Beschäftigte in der Altenpflege sind so häufig krank wie keine andere Berufsgruppe. Im Jahr 2021 waren sie im Schnitt 33,2 Tage arbeitsunfähig. Auch Beschäftigte in der Krankenpflege waren mit 25,7 Tagen überdurchschnittlich lange krank geschrieben. Der Durchschnitt aller Beschäftigten war lediglich 18,2 Tage arbeitsunfähig. Dieser Unterschied ist laut dem BKK-Gesundheitsreport in den letzten beiden Jahren der Corona-Pandemie sogar noch größer geworden. Pflegekräfte sind demnach vor allem häufiger wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychischen Störungen krank geschrieben.
»Der große Block ist die körperlich schwere Arbeit, die zu Problemen wie Rückenbeschwerden führen kann. Dann haben wir unregelmäßige Arbeitszeiten, Nacht- und Schichtarbeit«, erläutert Holger Pfaff, Direktor des Instituts für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft der Universität Köln die Ergebnisse der BKK-Beschäftigtenumfrage. »Kritisch für die Beschäftigungssituation und auch den Pflegekräftemangel ist, dass viele Pflegekräfte sagen – das sind ungefähr zwei Drittel –, so wie sie jetzt arbeiten müssten, könnten sie nicht bis zum normalen Renteneintrittsalter arbeiten.«
Laut der repräsentativen Umfrage im Rahmen des BKK-Gesundheitsreports breitet sich in der Pflege Unzufriedenheit und ein erhöhter Krankenstand aus. Oft sind die Arbeitsbedingungen schwierig, immer häufiger fallen Überstunden an, Dienstpläne ändern sich kurzfristig. Und das alles bei einem niedrigen Gehalt. Wenn immer häufiger die Kolleginnen und Kollegen ausfallen, nimmt die Arbeitsverdichtung für den Einzelnen zu. Etwa 45 Prozent der Altenpflegekräfte und rund 40 Prozent der Gesundheits- und Krankenpflegekräfte gaben an, dass sie sich aktuell den Anforderungen ihrer Arbeit nur teilweise oder gar nicht gewachsen sehen. Dieser Anteil ist fast doppelt so hoch wie bei den sonstigen Berufen mit 24,6 Prozent. Jeder vierte Beschäftigte in der Gesundheits- und Krankenpflege denkt darüber nach, in den nächsten zwei Jahren den Arbeitgeber zu wechseln.
Mehr als jeder Fünfte denkt sogar darüber nach, den Beruf komplett aufzugeben. Der Grund dafür liegt vor allem an den schlechten Arbeitsbedingungen. Die große Mehrheit aller Befragten gab demnach zwar an, eine anspruchsvolle Tätigkeit und einen zukunftssicheren Beruf zu haben. Andererseits sind über 66 Prozent auch der Meinung, dass die Bezahlung in der Pflege nicht angemessen ist. Über die Hälfte der Beschäftigten gab zudem an, dass auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in diesem Berufsfeld nicht oder nur schlecht gegeben ist.
Eine wesentliche Maßnahme, die Verhältnisse in der Pflege zu verbessern, sei, das Berufsbild von professionell Pflegenden aufzuwerten, fordert Klapper und stellt fest: »Der Pflegeberuf in Deutschland läuft Gefahr, im internationalen Vergleich wirklich auf Pflegehelferniveau abzufallen, wenn wir nicht massiv umsteuern.«
Bei allen Menschen ohne Abschluss werde immer an die Pflege gedacht, das sei etwa bei den Ein-Euro-Jobbern der Fall gewesen, erläutert Klapper. Und auch bei den Frauen, die nach der Schlecker-Insolvenz erwerbslos geworden seien und denen gesagt worden sei, sie könnten doch in die Pflege gehen. Doch eine Deprofessionalisierung sorge für einen Mangel an Fachkräften. Aktuell sind in der Pflege rund 36.000 Stellen nicht besetzt, der Bedarf wird sowohl in der Akut- wie auch in der Langzeitpflege auf je etwa 100.000 geschätzt.
Dem stimmte auch Franz Knieps, Vorstand des BKK-Dachverbands zu. In vielen Nachbarländern gebe es bereits eine Professionalisierung der Pflege. Für eine solche brauche es neben politischer Wertschätzung auch eine angemessene Bezahlung und gute Arbeitsbedingungen. »Die Fahnenstange gesetzlicher Möglichkeiten ist noch lange nicht ausgeschöpft«, erläutert Knieps.
»Noch mehr als die Gesundheitsversorgung ist die Pflege eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe der Daseinsfürsorge, die sich nicht eignet für wettbewerbliche Strukturen und für die Maximierung von Gewinninteressen«, so Knieps. Aber auch die Institutionen selbst müssten daran arbeiten, ihre Kultur zu ändern. Das Management müsse »nicht nur die große heilende Kraft des Chefarztes« sehen, »sondern die mühsame Arbeit im täglichen Pflegebild«.
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