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Auf der Zwangsreise
Imad Al Suliman erzählt in »Das Jasmin-Inferno« die Geschichte von Menschen, die fliehen müssen und ankommen wollen
Eine der großen europäischen Katastrophen der vergangenen Jahrzehnte ist das Leid und das Sterben von Abertausenden geflüchteten Menschen an den Außengrenzen der Europäischen Union. Die gesamte herrschende Politik der EU hat sich an diesen Verbrechen mitschuldig gemacht. Jedes Jahr kommen Tausende Tote dazu, und selbst wenn Menschen die gefährliche Überfahrt geschafft haben, wartet eine entmenschlichende und teils traumatisierende EU-Bürokratie auf die Geflüchteten. Behörden- und Alltagsrassismus sowie ökonomische Ausbeutung sind die Regel, nicht die Ausnahme. Viel öfter sollten wir uns daher mit den Geschichten der Flüchtenden beschäftigen, wie sie Imad Al Suliman in seinem Roman »Das Jasmin-Inferno« erzählt, um aus ihnen die Wut für den Kampf gegen die Festung Europa zu schöpfen.
Imad Al Suliman, geboren 1987 in Damaskus, verarbeitet hier seine eigenen Erfahrungen und fügt sie zu einer Odyssee zusammen, die vom kriegsgebeutelten Syrien über die Türkei, Griechenland und den Balkan bis nach Österreich und Deutschland reicht. Die vielen anonymen Schicksale, die sich irgendwie den Weg nach Europa erkämpft haben, bekommen in seinem Roman ein Gesicht.
Wir begleiten Fouad und seine Mitfliehenden, erleben hautnah die herzzerreißende Trennung von der Familie in Damaskus, folgen ihm in die Türkei, wo wir ohnmächtig die Abhängigkeit von Schleuserbanden ertragen müssen. Die Schilderung der Überfahrt in Richtung der griechischen Insel Samos in einem der berüchtigten, kaum seefesten Schlauchboote ist zum Verzweifeln und bringt uns literarisch in die Nähe des Gefühls, ertrinken zu müssen. Man verspürt Wut gegen die griechischen Behörden, die – obwohl mehrfach kontaktiert – keine Rettung schicken. Man kann erahnen, wie die Flüchtlingscamps zum reinen Hohn verkommen, wenn klar wird, dass es sich faktisch um Gefängnisse handelt und Geflüchtete wie Verbrecher*innen behandelt werden.
Die Müdigkeit steckt einem in den Knochen, wenn Fouad und seine Gefährt*innen sich weiter durchschlagen, nahezu endlos auf die richtigen Momente und Gelegenheiten warten müssen, um sich dann doch wieder Stacheldraht, Militär und Wachhunden stellen zu müssen. Es ist bewundernswert, wie es Al Suliman schafft, diese Leidensgeschichte über Meer und Kontinente in einen größeren und politischen Gesamtkontext einzuordnen, das Leiden kollektiviert und politische Konsequenzen erwartet und einfordert. Es sind keine Einzelschicksale, die Fouad, Nizar und andere erleben, sie stehen stellvertretend für die anonymisierte »Welle« an Geflüchteten, die spätestens seit 2015 in Europa ankommen und auf eine bessere Welt und eine lebenswerte Zukunft hoffen.
Imad Al Suliman bleibt aber nicht bei einem bloßen Bericht stehen, sondern webt immer wieder geschickt, teilweise poetisch seine politische Bewertung der Situation in die Geschichte ein. Etwa wenn er die Insassen eines Lagers über die Nutznießer*innen des syrischen Regimes sprechen lässt, oder wenn die Hauptfigur an der türkisch-syrischen Grenze zwischen die Fronten von bewaffneten Gruppen gerät. Politische Ursachen und Folgen werden in den Dialogen zwischen den Romanfiguren verhandelt, ohne dass diese Gespräche gekünstelt wirken.
Zugegeben, es ist nicht immer einfach, dieses Buch zu lesen. Das von ihnen unverschuldete Schicksal der Fliehenden ist manchmal schwer zu ertragen. Es gibt nur wenige entlastende Momente auf dieser Zwangsreise, nur wenige Augenblicke der Solidarität und der Hoffnung. Dennoch, oder vielleicht gerade deshalb ist das Buch ein Muss. 2015 mag vorbei sein, die Zeit der Flucht noch lange nicht.
Imad Al Suliman: Das Jasmin-Inferno: Eine Fluchtgeschichte vor dem Tod ins Exil. Edition Aurora, 174 S., br., 14 €
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