Geflüchtete verloren im Niemandsland

Mehr Tote, Kranke und Vermisste an der östlichen EU-Außengrenze

  • Peggy Lohse
  • Lesedauer: 3 Min.
Der polnische Grenzschutz sichtet Gruppen von Geflüchteten oft per Drohne und holt sie teilweise mit Hubschraubern aus den Wäldern, um sie letztlich wieder nach Belarus zu bringen.
Der polnische Grenzschutz sichtet Gruppen von Geflüchteten oft per Drohne und holt sie teilweise mit Hubschraubern aus den Wäldern, um sie letztlich wieder nach Belarus zu bringen.

Es hat sich kaum etwas verändert an der östlichen EU-Außengrenze in Polen und Litauen zu Belarus seit dem Herbst 2021. Nur die Zahlen sind gesunken und der mauerstarke Grenzzaun erschwert die Querung. Für Oktober 2022 meldete der polnische Grenzschutz 2539 Versuche, ohne gültige Aufenthaltspapiere aus Belarus nach Polen zu kommen. Im entsprechenden Vorjahreszeitraum waren es rund siebenmal mehr. Doch die Zahlen steigen wieder, auch die der Vermissten und Toten. Darum haben Aktivist*innen am 5. Dezember zu einem Online-Briefing geladen, wo ihre Expert*innen von humanitären, medizinischen und juristischen Entwicklungen vor Ort berichteten.

Aleksandra Loboda von der polnischen Grupa Granica (Gruppe Grenze) berichtet, ihre Nichtregierungsorganisation habe seit Juli 2021 Hilfeanfragen von insgesamt 13 500 Personen bekommen, die im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen feststeckten. Die meisten Menschen stammten aus Kriegsgebieten in Syrien, Jemen, Irak − hätten also gute Bleibeaussichten in Asylverfahren. 1104 Anfragen erhielten sie allein seit September 2022. 200 Fälle von Pusbacks, gewaltsamen Rückführungen, wurden dokumentiert.

Insgesamt 28 Todesfälle seien bestätigt: Zuletzt wurde der 21-jährige Siddig Musa Hamid Eisa aus dem Jemen tot aus einem Grenzfluss geborgen. Er wurde zur Zeit des Briefings auf dem muslimischen Friedhof in Bohoniki beerdigt. Magdalena Łuczak, Vermissten-Koordinatorin bei Grupa Granica, ergänzt: Bis Ende November 2022 seien insgesamt 246 Personen vermisst gemeldet worden, 61 wurden gefunden.

Der Grenzzaun, so Loboda, habe nichts verbessert. »Die Militarisierung der Lage hier führt zur Entmenschlichung und damit zu mehr Gewalt«, sagt Loboda. Die Menschen würden auf belarussischer Seite weiter geschlagen und gen Polen geschickt. Wenn sie nicht über den Stacheldrahtzaun kletterten, versuchten sie nun die Grenze über Gewässer zu queren − schwimmen durch Flüsse oder waten durch unwegsames Sumpfgebiet. Der polnische Grenzschutz sichtet solche Gruppen oft per Drohne, holt sie teils mit Hubschraubern aus den Wäldern, um sie letztlich doch wieder nach Belarus zu bringen. Erst gestern habe eine Person mit gebrochenem Bein um Hilfe gebeten. »Als wir ankamen, hatten Uniformierte die Person schon per Pushback nach Belarus zurückgebracht.«

Paulina Brownik ist eine Notfallärztin, die die Grupa Granica unterstützt. Sie bestätigt: Neben Erfrierungen, Muskelschmerzen und Infektionen behandele sie immer wieder Wunden von Stacheldraht, Schlägen und Hundebissen. »Diese Behandlungen im Wald sind sehr schwer«, so Brownik. »Die Ausstattung ist schlecht. Wegen drohender Pushbacks müssen wir Acht geben, dass der Grenzschutz nicht aufmerksam wird. Den Notarzt will nie jemand rufen. Psychische Beschwerden können wir nicht lindern, weil wir im Wald keine starken Psychopharmaka geben können.«Die rechtswidrigen Pushbacks haben mittlerweile sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg als auch polnische Gerichte verurteilt. Allerdings ohne Konsequenzen für die Praxis, berichtet Marta Gorczynska von der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte. »Diese Pushbacks finden gruppenweise statt, ohne individuelle Fallprüfung, Asyl-Anträge werden wie Sicherheits- und Gesundheitsrisiken ignoriert«, so Gorczynska. »Pushbacks werden von den polnischen Behörden akzeptiert. Wir können nur Beamte unterstützen, die sich solchen rechtswidrigen Befehlen widersetzen. Das tun wir mit Rechtsbeistand bei Disziplinarverfahren.«

Auch in Litauen sei die Lage nicht besser, berichtet Rita Skriaidaite von der Sienos-Gruppe dort. »Seit September haben wir 70 Hilfeanfragen bekommen, 40-mal konnten wir helfen. Aber zwei junge Männer, 20 und 21 Jahre, aus Sri Lanka wurden sogar trotz amputierter Beine wieder nach Belarus gebracht. Selbst wenn die Menschen wollen, sie bekommen keine Chance, Asyl zu beantragen«, so Skriaidaite. »Der Grenzzaun und die Berichte über Aufnahmezentren sind nur ein Schlaflied für die Bevölkerung, damit sie sich nicht mehr interessieren.«

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