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- Fnac und das Antifa-Spiel
Mit dem Rückgrat eines Zitteraals
Einer boykottiert die WM, findet aber alle, die nicht boykottieren, auch okay? Sehr nett, aber woher die Angst, eine Position auch mal durchzuhalten?
In Frankreich vertreibt der Großhändler Fnac ein Spiel, das wahrscheinlich stinklangweilig ist, aber einen aufsehenerregenden Titel trägt: »Antifa«. Was auf Deutsch so viel heißt wie »Antifa«. Natürlich regten sich Vertreter der Le-Pen-Partei Rassemblement National pflichtschuldig auf und mutmaßten, es gehe um die Glorifizierung solcher Untaten wie das Verprügeln rechter Aktivisten. Fnac nahm das Spiel darauf aus dem Sortiment und: entschuldigte sich. Daraufhin protestierten Linke. Und zwar dagegen, dass Fnac auf Druck von rechts »Antifa« cancele.
Was tat Fnac? Entschuldigte sich erneut und bot das Spiel wieder an. Man habe »feststellen können, dass es nichts enthält, was es rechtfertigen würde, es nicht zu verkaufen«. Das hatte man vorher offenbar nicht gemerkt, das Geblöke eines rechten Abgeordneten reichte, um ein Spiel aus dem Programm zu nehmen, für das sich die Programmleitung zuvor irgendwann ja mal entschieden haben muss. Das ist so charakterschwach, dass es auf der Ravensburger-Spiele-Skala einen Spitzenplatz belegt.
Leider liegt die Fnac-Geschäftsführung in einer paradoxen Zeit gut im Trend, in der jeder zu allem etwas sagt, dabei aber weitgehend ohne eine Meinung auskommt. Die ist im Duden definiert als »persönliche Ansicht, Überzeugung, Einstellung, die jemand in Bezug auf jemanden/etwas hat und die sein Urteil bestimmt«. Nicht also als etwas, das man in die Tonne kloppt, sobald zwei, drei Trottel im Netz ihr Missfallen bekunden. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist bei derzeit 8,1 Milliarden Menschen übrigens gar nicht so gering.
Woher aber kommt es, dass offenbar so viele Menschen nicht das Rückgrat haben, irgendeine Position auch mal durchzuhalten, die sie zuvor eingenommen haben? Woher die Angst vor Eindeutigkeit? Vor der WM in Katar fiel mir das bei einigen Treffen besonders auf, die von Menschen einberufen worden waren, die dieses Turnier boykottieren wollen. Kein Redebeitrag verging, ohne dass geradezu hektisch betont wurde, es sei »natürlich völlig okay«, wenn jemand alle Spiele anschaue. Das ist ungeheuer nett, empathisch und achtsam – logisch aber ist es nicht. Es kann nicht gleichzeitig »okay« sein, ein Turnier zu boykottieren und es nicht zu boykottieren. Genauso wenig kann ein Veganer es »völlig okay« finden, wenn andere Fleisch essen, oder ein überzeugter Fahrradfahrer es als moralisch gleichwertig empfinden, wenn ein Zeitgenosse von Frankfurt nach München das Flugzeug nimmt.
Nützt alles nichts, man muss sich manchmal im Leben festlegen. Genau das scheint vielen Menschen aber auch bei den banalsten Entscheidungen wahnsinnig schwerzufallen. Gastronomen berichten, dass es Gäste gäbe, die an einem Samstagabend in den vier besten Restaurants der Stadt einen Tisch reservieren – und dann eine halbe Stunde vorher entscheiden, auf welchen edlen Stoffbezug sie ihren Hintern setzen. Eine Reise ohne Rücktrittsversicherung? Viel zu gefährlich.
Mir persönlich könnte das alles egal sein, wenn ich nicht in der alltäglichen Kommunikation auch von einigen (wenigen) Menschen umgeben wäre, die offenbar irgendwelche kindlichen Symbole hinter ihre Nachrichten setzen müssen, um auch ganz sicher auszuschließen, dass der andere irgendetwas falsch verstehen könnte. Dabei begreife ich den tieferen Sinngehalt des Wortes »Danke« wirklich auch ohne zwei gefaltete Hände dahinter. Oft gelingt sogar Ironie ohne Zwinker-Emoji. Und wenn einer meiner Freunde die Spiele dieser WM gucken will, finde ich das zwar nicht »voll okay«, weiß aber auch, dass genau das zu einem richtig netten Abend führen kann, bei dem man zehn Minuten über Katar redet. Und dann fünf Stunden über viel spannendere Themen. Kann übrigens gut sein, dass man dabei völlig unterschiedlicher Meinung ist. So ist das nämlich erstaunlich oft bei Menschen, die sich etwas zu sagen haben.
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