»Ein Lieblingsprojekt von Law-and-Order-Politikern«

Neuköllner Ordnungsstadträtin Sarah Nagel (Linke): Bei Kriminalitätsbekämpfung per Gewerbekontrollen dürfen Behördeninteressen nicht vermischt werden

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 7 Min.

Frau Nagel, bei sogenannten Verbundeinsätzen arbeiten verschiedene Behörden wie Ordnungsamt und Polizei zusammen, um Gewerbe zu kontrollieren. Sie haben diese Einsätze als teilweise problematisch kritisiert. Vor diesem Hintergrund haben Sie zuletzt angewiesen, dass Beschäftigte des Ordnungsamts in Neukölln nur mit Ihrer Zustimmung an diesen Einsätzen teilnehmen dürfen.

Da kommen zwei Dinge zusammen: Ich bin seit gut einem Jahr zuständig für das Ordnungsamt in Neukölln als Stadträtin und Leiterin des Geschäftsbereichs Ordnung. Gleichzeitig gibt es die Koordinierungsstelle für öffentliche Sicherheit und Ordnung, die aber beim Bezirksbürgermeister (Anmerkung der Red.: Martin Hikel, SPD) angesiedelt ist. Dort werden die Verbundeinsätze, die in Neukölln organisiert werden, koordiniert. Das heißt, es wird auf Mitarbeiter des Ordnungsamts zugegriffen, koordiniert werden sie aber im Geschäftsbereich des Bezirksbürgermeisters. In der Regel, ohne dass ich irgendeine Form von Information habe oder eingebunden werde. Das ist natürlich auf die Dauer kein Zustand und auch ungewöhnlich, weil die Stadträte ihre Geschäftsbereiche in eigener Verantwortung führen. Hier ging es mir also erst einmal darum, diese Situation zu beenden, indem ich mitentscheide. Zweitens geht es mir darum, die Gewerbeüberwachung von anderen Zielen wie dem polizeilichen Informationsgewinn stärker zu trennen.

Interview

Sarah Nagel (Linke) ist seit November 2021 Ordnungsstadträtin im Bezirk Neukölln. Die Ostasienwissenschaftlerin, Jahrgang 1985, hat dieses Amt derzeit als einzige Linke-Politikerin innerhalb der Berliner Bezirksämter inne. Mit Claudia Krieg sprach sie für »nd« über rassistische Konnotationen bisheriger Kontrollpraxen und über ihr Ziel, nicht nur einzelne Branchen, sondern alle Gewerbe effektiv überwachen zu lassen.

Kürzlich wurde bekannt, dass die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe eine Organisationsuntersuchung zu Struktur und Praxis der Gewerbeüberwachung in Berlin in Auftrag gegeben hatte, deren Ergebnisse schon seit Oktober 2021 vorliegen. Bestätigt die Studie Ihre Position?

Der Fokus der Untersuchung ist ein anderer, aber Verbundeinsätze werden dort angesprochen. Die Ergebnisse wurden uns im Oktober in der Ordnungsstadträterunde kurz vorgestellt. Sie besagen unter anderem: Einsätze von Ordnungsämtern und Polizei werden als teilweise rechtsstaatlich problematisch eingeschätzt. Ich habe daher direkt gefragt, wie mit diesen Einsätzen umgegangen werden soll, bis es eine grundsätzliche Neustrukturierung gibt. Ich habe darauf keine adäquate Antwort bekommen.

Sie haben aber Ihre Schlüsse für das Vorgehen in Ihrem Bezirk gezogen?

Die Lektüre der Untersuchung hat mich bestärkt, ja. Es gibt auch andere kritische Stimmen in Bezug auf die Verbundeinsätze, auch von Juristen wie zum Beispiel Thomas Feltes. Der Kern der Kritik betrifft die Vermischung von strafprozessuellen und verwaltungsrechtlichen Maßnahmen. Die sogenannte Strategie der tausend Nadelstiche, zu der auch Gewerbekontrollen gehören, wird seit Jahren kontrovers diskutiert, unter anderem in Bezug auf ihre Effektivität und auf strukturelle Diskriminierung. Insofern geht es bei meiner Entscheidung nicht nur um die vorliegende Untersuchung. Was ich möchte, ist in erster Linie eine gute Gewerbeüberwachung, die alle Gewerbe gleichermaßen in den Blick nimmt. Dazu kommt: Die Linke hat seit Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Einsätze Fragen zur Verhältnismäßigkeit und zu strukturellem Rassismus aufwerfen. Diese Haltung war bereits im Vorfeld meiner Wahl bekannt.

Es fällt auch auf, dass nicht in allen Bezirken öffentlichkeitswirksame Verbundeinsätze durchgeführt werden.

Ja, da gibt es Unterschiede. Es gibt übrigens auch ganz unterschiedliche Formen von Verbundeinsätzen. Es gibt immer eine federführende Behörde, die einen Einsatz koordiniert. Das muss nicht die Polizei sein. Das kann zum Beispiel auch das Bezirksamt sein. Das kann auch eine Senatsverwaltung sein oder eine andere Behörde. Die Polizei kann auch im Rahmen der Amtshilfe teilnehmen. Aufschluss über die Zusammensetzung geben zum Beispiel die Antworten auf die Kleinen Anfragen der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, weil man dort die Auflistung der beteiligten Behörden sieht. Dort sieht man eben auch, dass teilweise Einheiten der Polizei beteiligt sind, die mit der Gewerbeüberwachung eigentlich nichts zu tun haben.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass es Ihnen auch um effektive Kriminalitätsbekämpfung geht.

Ja, sicher. Es gibt in Neukölln wie überall sonst auch natürlich Kriminalität, und wenn es einen Verdacht gibt, muss die Polizei dem nachgehen – sie ist zuständig für Straftaten. Mein Fokus sind sorgfältige Kontrollen aller kontrollpflichtigen Gewerbe. Die Mitarbeiter des Ordnungsamtes machen da übrigens einen sehr guten Job. Es ist eine anspruchsvolle Aufgabe, bei der man über umfassende Kenntnisse verfügen und gut kommunizieren können muss, viel draußen unterwegs ist und auch viele Situationen erlebt, die nicht einfach sind.

Sie sprechen sich auch nicht gegen Verbundeinsätze aus?

Nein, Verbundeinsätze an sich sind nicht grundsätzlich ein Problem. Es gibt ja tatsächlich Probleme wie Schwarzarbeit oder illegales Glücksspiel. Insofern ist die Zusammenarbeit verschiedener Behörden in ihrer jeweiligen Zuständigkeit in der Gewerbeüberwachung durchaus sinnvoll. Wenn es nötig ist, kann die Polizei auch zum Schutz der Mitarbeiter hinzugezogen werden. Ich denke, dass es für all dies vernünftige Kriterien braucht. Denn teils gibt es große Einsätze, die sehr öffentlichkeitswirksam sind und bei denen es sofort eine Pressemitteilung gibt, die wiederum oft dankbar von der Boulevardpresse aufgegriffen wird. Das birgt immer die Gefahr der Kriminalisierung von Gewerbebetrieben, selbst wenn es nicht beabsichtigt ist.

Warum gibt es dann diesen Aufschrei um die Verbundeinsätze?

Diese Verbundeinsätze sind so ein Lieblingsprojekt von Law-and-Order-Politikern und sie werden begleitet von einer sensationalistischen Debatte. Es war klar, dass das ein kontroverses Thema wird, wenn ich das Amt übernehme. Und natürlich gibt es Protest und Kritik, wenn an dieser Form der Gewerbekontrollen gerüttelt wird. Die Diskussionen werden immer aufgeregt geführt. Ich möchte aber eigentlich nur eine gelungene Gewerbeüberwachung und eine effektive Kriminalitätsbekämpfung. Im Moment findet die Gewerbeüberwachung selektiv statt, es gibt Branchen, die überhaupt nicht überwacht werden, wie zum Beispiel Immobilienmakler.

In der Studie gibt es weitreichende Handlungsempfehlungen bis hin zu einem Landesamt, das sich um die knapp 500 000 Berliner Betriebe und Gewerbe kümmern soll.

Ja, es werden vier Lösungsoptionen genannt, die Präferenz ist die Übertragung der Aufgaben an ein Landesamt. Die Interviewauszüge, die dort enthalten sind, machen plastisch, wie eigentlich Entscheidungen getroffen werden, was es teilweise auch für eine Verunsicherung gibt und wie unterschiedlich der Umgang in den Bezirken mit dem Thema Gewerbeüberwachung ist. Die Untersuchung veranschaulicht ebenfalls, welche Probleme es gibt, auch bei Verbundeinsätzen. Und trotzdem werden diese Einsätze jetzt stark verteidigt und es wird beteuert, es gebe keine Probleme. Auch in der Studie schätzen die beteiligten Behörden die Einsätze übrigens überwiegend als positiv ein. Das ist aufgrund der Personalknappheit auch naheliegend. Wenn man zu wenig Personal hat, dann ist es gut, wenn man von anderen Behörden Unterstützung bekommt. Nur sollte eben insgesamt vermieden werden, dass Gewerbekontrollen als Türöffner für andere Zwecke genutzt werden oder eine Schwerpunktsetzung nur auf Gewerbezweige erfolgt, die als kriminell eingeschätzt werden.

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Gewerbeüberwachung in Berlin

  • Die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe beauftragte Ende 2020 die Berliner Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) mit einer Studie, die sogenannte Gewerbeüberwachung im Land zu untersuchen. Ein Ausgangspunkt war auch die zunehmend kritisierte Praxis von sogenannten Verbundeinsätzen, bei denen verschiedene Behörden beteiligt sind.
  • Die knapp 200-seitige Studie ist auf der Homepage der Senatsverwaltung unter dem Titel »Struktur und Praxis der Gewerbeüberwachung im Land Berlin« abrufbar, ebenso wie ein Policy-Paper mit Handlungsempfehlungen für eine zukünftige Gewerbeüberwachung. In der Untersuchung äußern Mitarbeiter*innen von Landeskriminalamt, Senatsverwaltung und Ordnungsamt Unsicherheit und Bedenken hinsichtlich der Kontrollpraxis.
  • Sarah Nagel (Linke) kritisiert mit dem Vorhaben einer anderen Gewerbekontrollpraxis auch Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD), der sich in den vergangenen Jahren wiederholt pressewirksam bei Verbundeinsätzen im Namen von Kriminalitätsbekämpfung im sogenannten Neuköllner Clan-Milieu ins Bild setzen ließ. Andersherum war Nagel seit Amtsbeginn immer wieder von konservativen Medien beschimpft worden, den »Clans« in die Hände zu spielen. clk
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