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Abgrenzung und Einladung
Wie die Linke versucht, mit den Spaltungsgerüchten um Sahra Wagenknecht umzugehen
Für Sahra Wagenknecht kursiert seit geraumer Zeit ein Kosename: »Lady Voldemort«. In Anlehnung an die Figur Lord Voldemort, den Antagonisten aus der Harry-Potter-Reihe, erfüllt die umstrittene Bundestagsabgeordnete der Linken längst selbst die Rolle derjenigen, deren Name auch dann allgegenwärtig ist, wenn er offenbar nicht genannt werden darf. So war es auch beim Krisentreffen der Partei in Leipzig am vergangenen Wochenende der Fall: Die Partei- und Fraktionsspitzen auf Bundes- und Landesebene waren zusammengekommen, um die Linke trotz der schwierigen Lage fit zu machen für die Landtagswahlen im kommenden Jahr. 2023 wird in Berlin, Bremen, Bayern und Hessen gewählt – für die krisengeplagte Partei steht eine Fortsetzung ihres andauernden Existenzkampfes an.
Am Ende des Treffens stand eine Erklärung, in der Wagenknecht nicht ein einziges Mal namentlich auftaucht, aber dennoch eindeutig auf sie Bezug genommen wird. »Die Linke als plurale sozialistische Partei war und ist eine historische Errungenschaft. Heute aber ist sie in Gefahr«, heißt es zu Beginn des Dokuments. Es folgen zunächst recht allgemeine Ausführungen darüber, dass sich »relevante Gruppen in der Gesellschaft« nicht mehr von der Linken angesprochen fühlten, sie in der Öffentlichkeit ein Bild der Zerstrittenheit darbiete sowie schlechte Wahlergebnisse und Verluste von Mitgliedern als »deutliche Alarmzeichen« zu beklagen habe.
So weit, so bekannt: Die Linke verliert eine Wahl nach der anderen, sie taucht in Kompetenzbemessungen kaum noch auf und hat Abgänge von Wähler*innen nach allen möglichen Seiten zu verzeichnen: an die rechte AfD genauso wie an SPD und Grüne. Bei der Bundestagswahl schaffte sie nur aufgrund dreier Direktmandate in Berlin und Leipzig den Wiedereinzug, eine Fortsetzung dieses Engagements über die derzeitige Legislaturperiode hinaus steht noch in den Sternen.
Erschwerend kommt hinzu, dass völlig offen ist, ob die Linke in ihrer derzeitigen Zusammensetzung überhaupt bestehen bleibt, wie auch die Erklärung feststellt: »In der Öffentlichkeit wird sogar über die Bildung eines alternativen Parteiprojekts spekuliert.« Da ist sie plötzlich wieder, Sahra Wagenknecht, »Lady Voldemort«, der »Elefant im Raum«: Seit dem Austritt des ehemaligen Parteivorsitzenden Oskar Lafontaine, der die Linke im Frühjahr kurz vor der Landtagswahl im Saarland unter großem Knall verlassen hatte, wird auch über einen Abgang seiner Ehefrau spekuliert. Nachdem das Wagenknecht-Lager, zu dem beispielsweise die Abgeordneten Sevim Dağdelen und Klaus Ernst gerechnet werden, auf dem Erfurter Parteitag im Juni mehrere Niederlagen erlitten hatte, erhielten die Gerüchte über eine Abspaltung dieses Lagers neue Nahrung. Einerseits hat sich die Linke inhaltlich von Wagenknecht wegbewegt: Sie verurteilt den russischen Angriffskrieg in der Ukraine eindeutig, während Wagenknecht den Fokus ihrer Kritik auf den Westen legt und diesem in einer Bundestagsrede vorwarf, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland vom Zaun gebrochen zu haben. Und sie räumt der Ökologie einen größeren Platz ein, während Wagenknecht in ihrem Buch »Die Selbstgerechten« über »Lifestyle-Linke« herzieht und damit auch Klimaaktivist*innen meint. Und andererseits ist das Wagenknecht-Lager auch personell geschwächt und beispielsweise im Parteivorstand nicht mehr vertreten.
Es könnte also sein, dass Wagenknecht und ihre Getreuen aus Frust über den zunehmenden Bedeutungsverlust die Linke verlassen und zur Europawahl 2024 mit einer eigenen Liste antreten könnten. Fest steht das noch nicht, und auch Wagenknecht weiß selbst, dass bereits ihr erster Versuch eines Alternativprojektes, die Sammlungsbewegung »Aufstehen«, grandios gescheitert ist. Trotzdem glauben etliche Linke nicht mehr an eine gemeinsame Zukunft. Umso stärker fühlen sich die übrigen Genoss*innen – und zwar strömungsübergreifend – dazu veranlasst, Geschlossenheit zu demonstrieren. »Wir sind dagegen bereit, für unsere gemeinsame Partei zu kämpfen, das historische Projekt einer geeinten, pluralen sozialistischen Partei zu verteidigen und weiterzuentwickeln«, heißt es in der »Leipziger Erklärung«, was gleichermaßen als Abgrenzung wie als Einladung zu verstehen ist: Die Partei- und Fraktionschefs distanzieren sich von möglichen Parallelprojekten, sie warnen Wagenknecht vor einer Spaltung der Partei. Zugleich wollen sie aber auch möglichst viele Genoss*innen halten, sollte es tatsächlich zu einer Abspaltung kommen und die Gefahr bestehen, Wagenknecht könnte die ohnehin nur noch dürftige Anhänger*innenschaft der Linken weiter verkleinern. Denn wahr ist: Die frühere Fraktionschefin und exzellente Rednerin ist zwar in ihrer Partei umstritten, aber weiterhin in Teilen der Wähler*innenschaft beliebt.
»Wir sind eine plurale Partei – und bleiben es. Zur Pluralität gehört selbstverständlich der Meinungsstreit«, so die Partei- und Fraktionschefs der Linken, die sogleich einschränken: Pluralität sei »nicht Beliebigkeit. Demokratisch gefasste Beschlüsse sind die verbindliche Richtschnur für das Handeln der Partei, von Fraktionen und öffentlichen Repräsentant*innen der Partei.« Auch hier wird Wagenknecht, der vorgeworfen wird, sich nicht an die Beschlusslage zu halten, nicht namentlich genannt. Es ist aber offensichtlich, dass sie gemeint ist. Zugleich kann dieser Abschnitt aber auch dem Wagenknecht-Lager als Grundlage dienen, ihre Kritik etwa an Befürworter*innen von Waffenlieferungen in die Ukraine wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zu rechtfertigen.
Nun gibt es in der Linken aber auch diejenigen, die Wagenknecht am liebsten selbst vor die Tür setzen wollen, weil sie die Grenzen der Pluralität schon lange überschritten sehen und Wagenknecht dafür verantwortlich machen, dass in der Öffentlichkeit unvereinbare Positionen miteinander konkurrieren und deshalb nicht klar sei, wofür die Linke eigentlich stehe. Dazu gehören die Unterzeichner*innen des von drei Landespolitikerinnen initiierten offenen Briefes für den Ausschluss Wagenknechts aus der Bundestagsfraktion. Auch die »Progressiven Linken«, die sich eine Woche zuvor in Berlin getroffen hatten, schlagen schärfere Töne an: Sie erklären, hinter dem »Linkskonservatismus« – diesen Begriff hat sich Wagenknecht selbst in ihrem Buch zugeschrieben – verberge sich ein »sozialkonservativer Nationalpopulismus für die vermeintliche Mehrheit der ›deutschen Bürger‹, der in Stellung gebracht wird gegen Geflüchtete, queere Menschen, Klimabewegte und andere ›skurrile Minderheiten‹«. Nun zeigt sich der stellvertretende Parteivorsitzende Lorenz Gösta Beutin, einer dieser »Progressiven Linken«, aber auch mit der »Leipziger Erklärung« zufrieden. Er twitterte: Wenn diese der »Auftakt zu strategischer & inhaltlicher Klärung ist«, dann sei das »ein Erfolg«.
In Berlin und Bremen geht es im kommenden Jahr um die Fortsetzung der Regierungsbeteilung, während in Hessen der Verbleib im Landtag auf dem Spiel steht. Unter den westdeutschen Flächenländern ist die Linke nur noch in Hessen im Parlament vertreten.
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