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Schrille Töne aus Wien

Konservative in Österreich wollen wieder mal mit Rechtspopulismus punkten

  • Stefan Schocher, Wien
  • Lesedauer: 3 Min.

Wenn sich einer wie Harald Vilimsky lobend über Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußert, dann riecht das nach Revierkampf am rechten Rand des politischen Spektrums: Nehammer wäre »durchaus ein passabler Vizekanzler Herbert Kickls«, des Chefs der rechtsnationalen FPÖ, twitterte am Wochenende der EU-Abgeordnete der Partei. Süffisant nannte Vilimsky den Kanzler einen »sehr gelehrigen Schüler«. Auch Nehammer äußerte sich in den sozialen Medien. »Wir müssen den Asyltourismus nach Europa stoppen«, war da zu lesen. Zusammengefasst sind das die innenpolitischen Nachbeben des österreichischen Vetos in der Vorwoche gegen den Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens.

In Wien wird also wieder die Rechtspopulismus-Karte gespielt. Das Wochenende nutzen die politischen Größen des Landes, um solche Positionen zu zementieren: In einem Fernseh-Interview erklärte Karl Nehammer, er wolle erst dann wieder über einen Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien reden, wenn der Grenzschutz dort verbessert worden sei und sich die Lage in Österreich entspannt habe. Nehammer: »Wir entscheiden, wer kommt, nicht die organisierte Kriminalität.« Jetzt liege es an der EU-Kommission, die Vorschläge Österreichs aufzugreifen.

Aber genau da liegt das Problem: Niemand weiß so recht, was Österreich eigentlich will. Da ist Unzufriedenheit mit dem Schengen-System, das Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) als »funktionslos« bezeichnet hat. Da sind aber keine konstruktiven Gegenvorschläge. Und all dem zugrunde liegt ein abenteuerliches Jonglieren mit Zahlen. Dabei erlebt Österreich in der Tat gerade einen deutlichen Anstieg der Aufgriffe an der Grenze und bei den Asylanträgen. Um die 100 000 Menschen werden bis Jahresende in Österreich Asyl beantragt haben. Gemessen an der Einwohnerzahl von knapp neun Millionen ist das ein Spitzenwert in der EU.

Allerdings wird aktuell entlang der Grenze weitaus schärfer kontrolliert und folglich werden dort mehr Menschen aufgegriffen – vor allem an der Grenze zum Schengen-Land Ungarn. Und wie sich aus der Zahl der Asylbewerber, die die Grundversorgung erhalten, ablesen lässt, bleibt nur ein verschwindend kleiner Teil von ihnen auch tatsächlich in Österreich. Die vielfach betonte Belastung für den Staat ist also eher nebensächlich.

Seine Position begründet Innenminister Karner damit, dass die allermeisten Menschen über Rumänien und Bulgarien nach Österreich kämen. Das allerdings ist eine Einzelmeinung in der EU. Das Innenministerium in Wien beruft sich dabei auf eigene Erhebungen, die auf der Auswertung von Handydaten sowie der Befragung von Antragstellern wie Schleppern basieren sollen. In einem Bericht der EU-Grenzschutzagentur Frontex von Mitte November finden Rumänien und Bulgarien jedoch mit keinem Wort Erwähnung. Hauptmigrations- ist laut Frontex nach wie vor die Westbalkanroute. Aus Wien heißt es dazu, Personen, die ohne Wissen der Behörden durch einen Staat reisten, würden nicht behördlich erfasst. Erfasst würden diese erst in Österreich.

Rumänien und Bulgarien haben die Darstellung Österreichs kategorisch zurückgewiesen. Das Veto Wiens hat zu tiefen Verwerfungen im Verhältnis zu den beiden Ländern geführt. Rumänien hat seinen Botschafter aus Wien abgezogen. Vor allem in Rumänien gibt es auch bereits Aufrufe, österreichische Produkte, Firmen sowie Österreich als Urlaubsland zu boykottieren. Das wiegt schwer: In Rumänien ist Österreich mit einem Volumen von zehn Milliarden Euro der zweitgrößte Auslandsinvestor, ebenso in Bulgarien im Umfang von vier Milliarden Euro.

Entsprechend groß ist der Unmut in der Wirtschaft. Gabriel Felbermayr, Direktor des österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (Wifo), schrieb auf Twitter: »Schengen erleichtert Handel in Gütern und Dienstleistungen; die positiven Effekte für Österreich sind messbar und groß (zwei Prozent des BIP). 1000 Euro pro Kopf und Jahr, Effizienzgewinne. Staus an den Binnengrenzen sind teuer und sinnlos.«

Die Boykottdrohungen gegen österreichische Firmen aus Rumänien und Bulgarien kann Österreichs Bundeskanzler jedenfalls nicht nachvollziehen. Es sei »absolut unzulässig, sicherheitspolizeiliche und wirtschaftspolitische Themen zu vermengen«, sagte Karl Nehammer.

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