Vom Termin in die Abschiebehaft

NGOs konnten kurzfristig die Abschiebung eines nigerianischen Ukraine-Flüchtlings verhindern

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Für nigerianische Studierende, die vor dem Ukraine-Krieg geflohen sind, ist es schwer, eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bekommen.
Für nigerianische Studierende, die vor dem Ukraine-Krieg geflohen sind, ist es schwer, eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu bekommen.

Ein Eilantrag konnte Uchenna U. am vergangenen Freitag aus der Abschiebehaft befreien. Das zuständige Gericht urteilte, die Inhaftierung sei rechtswidrig gewesen. Der nigerianische Student hatte für Montag selbst einen Termin bei der Ausländerbehörde vereinbart, um eine Aufenthaltserlaubnis für die Weiterführung seines Studiums in Deutschland zu beantragen. Sein Studium in der Ukraine war durch den russischen Angriffskrieg jäh unterbrochen worden. Nun hatte er endlich die Zusage für ein vorbereitendes Studienkolleg an der Hochschule Augsburg. Doch statt sein Anliegen in der Behörde darlegen zu können, wurde er von der Polizei abgeführt und in Abschiebehaft am Münchner Flughafen gebracht. Am 20. Dezember sollte er nach dem Willen der Behörden von dort nach Nigeria abgeschoben werden.

»Es hat sich gezeigt, dass die Zivilgesellschaft immer wieder fehlerhafte Entscheidungen von Behörden korrigieren muss«, sagt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl im Gespräch mit »nd«. Für U. könnte die drohende Abschiebung nun zunächst abgewendet werden. Am Freitag haben die Anwält*innen von U. einen Asylantrag gestellt. Und in einem laufenden Asylverfahren darf niemand abgeschoben werden. Allerdings hat es in der Vergangenheit auch in solchen Fällen Abschiebungen gegeben. »Im Einzelfall waren wir erfolgreich. Aber das war nur möglich, weil wir davon gewusst haben. Es braucht ein Umdenken der Behörden, um solche Fehlentscheidungen künftig zu verhindern«, sagt Alaows. Er befürchtet, dass dieser Fall nur der Anfang sein könnte für weitere mögliche Abschiebungen von Drittstaatsangehörigen, die aus der Ukraine geflohen sind.

Uchenna U. kam im März nach Deutschland. In seinem Herkunftsland befürchtet er Verfolgung durch die Regierung, auch seine Familie ist aus Nigeria geflohen. Doch sein Antrag auf einen Aufenthalt nach der Massenzustromrichtlinie der Europäischen Union, die ukrainischen Geflüchteten unbürokratisches Bleiberecht gewährt, wurde abgelehnt, auch eine Klage war nicht erfolgreich. Wie ihm geht es schätzungsweise mehreren Tausend Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen sind, aber keine ukrainische Staatsbürgerschaft haben. Es handelt sich dabei um Menschen aus afrikanischen und asiatischen Ländern, die in der Ukraine studierten, arbeiteten und lebten. Diese sogenannten Drittstaatsangehörigen fallen nur unter bestimmten Bedingungen unter Paragraf 24.

Alaows kritisiert, dass es für diese »überschaubare Zahl« an Menschen keine bundeseinheitliche Regelung gebe. »Es ist ein Glücksspiel, ob ich in Berlin ankomme und eine Fiktionsbescheinigung bekomme oder in Bayern und eine Aufforderung zur Ausreise«, sagt er. Uchenna U. ist nach Kenntnisstand von Pro Asyl der erste aus der Ukraine geflüchtete Drittstaatsangehörige, der aus Deutschland abgeschoben werden sollte. »Wir fürchten, dass dieser Fall ein Türöffner werden könnte«, so Alaows. Schon jetzt würden viele Drittstaatler*innen von den Behörden unter Druck gesetzt, »freiwillig« Deutschland zu verlassen, weiß er aus seiner Beratungspraxis zu berichten. »Dass diese Politik nun in einer Abschiebungshaft gipfelte, ist ein politischer Skandal. Diese Diskriminierung wiegt besonders schwer, weil es sich bei den Drittstaatsangehörigen zumeist um Schwarze oder BIPoC handelt«, sagt Alaows. Uchenna U. habe nun große Angst, sich für sein Asylverfahren wieder bei den Ausländerbehörden zu melden. Pro Asyl fordert Innenministerin Nancy Faeser (SPD) auf, Drittstaatsangehörige aus der Ukraine mit den Kriegsflüchtlingen, die einen ukrainischen Pass haben, gleichzustellen. »Das ist rechtlich machbar und hängt vom politischen Willen ab«, sagt Alaows.

Bislang bleibt die Ausgestaltung den Bundesländern überlassen. Einige bemühten sich zwar um weiterreichende Regelungen für Drittstaatler*innen. So hatte etwa Berlin Anfang September eine Ausnahmeregelung für Studierende geschaffen. Ihnen bliebe aber kein Spielraum für eine Aufenthaltsverfestigung. Andere handeln so restriktiv wie Bayern. Für Uchenna U. kam die Inhaftierung überraschend. Pro Asyl zufolge hatte die Ausländerbehörde bereits die Abschiebehaft beantragt, bevor U. und sein Anwalt von der ablehnenden Gerichtsentscheidung erfahren hatten. »Die verantwortliche Ausländerbehörde Donau-Ries, bereits seit vielen Jahren als besonders repressiv bekannt, handelt in diesem Fall ohne jede Not besonders menschenverachtend«, sagt Christian Oppl vom Münchner Flüchtlingsrat. Und – wie das Gericht urteilte – rechtswidrig. Dass diese Abschiebung kurz vor Weihnachten angesetzt war, wenn normalerweise in den Behörden nicht mehr viel gemacht wird, sage auch etwas über die politischen Prioritäten des Freistaats aus.

Ende August war die dreimonatige Visabefreiung für aus der Ukraine geflüchtete Drittstaatler*innen ausgelaufen. Seitdem leben viele von ihnen in großer Unsicherheit.

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