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Nicht Brot allein

Vorschlag zur Güte: Einmal im Jahr wird man auch mit einem Kartoffelsalat fertig

Das Verhältnis des Autors dieser Zeilen zum Phänomen Kartoffelsalat ist, auf den Punkt gebracht, ein schwieriges. Auch ich habe meinen Richard Leising gelesen und kenne die vorletzte Strophe seines Gedichts »Homo sapiens«: »Zu einem richtigen Arbeiterstaat / Gehört ein richtiger Kartoffelsalat.« Nun bin ich aber ein regelrechter Genussmensch. Ich möchte nicht nur sinnlich berührt werden, sondern das sollte – bitte! – auch sanft geschehen. Ich möchte Glenn Goulds freundliche Übernahme von Bach hören – nicht die grelle Scheiße aus dem Radio. Ich möchte mich in Werner Stötzers Annäherungen an den menschlichen Körper auf dem Papier verlieren und nicht zeitgenössische Kunst sehen, bei der ich nicht weiß, ob ich nicht wieder nur das Opfer einer invasiven Werbeanstalt geworden bin. Ich möchte Verse lesen in Zeiten der prosaischen Weltaneignung.

Anders ticke ich auch nicht in Fragen der Kulinarik. Ich würde sehr viel geben für einen gut zubereiteten Risotto. Die Aubergine ist für mich das erotischste Gemüse schlechthin. Und ich bin offen für wirklich jegliche mit Liebe hervorgebrachte Darreichungsform von Artischocken. Kurzum: Kartoffelsalat gehört nicht, erst recht nicht nach deutscher Zubereitungsart, zu meiner täglichen Speisekarte.

Eine klare Haltung, was jedwede Sinnenfreuden angeht, ist nicht zu verachten. Und doch kann und soll nicht jede Tradition einfach so über den Haufen geworfen werden. So viel hat auch Mao, wenn auch spät, begriffen. Zum Weihnachtsfest sollte also weiterhin Kartoffelsalat gereicht werden – die ideale Grundlage für den nd-Weihnachtswein.

Weil der Kartoffelsalat nicht viel mit einem herkömmlichen Salat gemein hat, die Feinheit in dieses rustikale Gericht regelrecht hineinerfunden werden muss und die Fallstricke bei der Zubereitung zahllos sind, esse ich diese Speise nur, wenn sie von zwei Chefs de Cuisine gefertigt worden ist. Entweder von meiner eigenen Hand mit meinem eigenen Küchenmesser – oder aber von meiner Mutter. Von ihr habe ich gelernt, wie dieses vermeintlich einfach zuzubereitende Gericht auch wirklich passabel schmeckt.

Zunächst bedarf es der richtigen Kartoffeln. Zu erklären, welche Sorte für welches Gericht wie zubereitet gehört, fehlt es auf diesen Seiten an Platz. Aber bitte greifen Sie zu kleinen Kartoffeln – Sie kochen etwas für das Weihnachtsfest und nicht für den nächsten Kumpirstand. Gekocht und geschnitten, dürfen die Kartoffeln ruhen. Die Zwiebeln sollten klein (!) gewürfelt werden. Auch die Gewürzgurken – ich empfehle solche, die mit Dill eingelegt waren – schneiden Sie in Würfelform. Die hart gekochten Eier, die Sie nicht bis zur Austrocknung auf dem Herd lassen sollten, schneiden Sie natürlich nicht in Würfel (wo gibt’s denn so was?), sondern in Scheiben. Meine Mutter, eine kluge Frau, verzichtet auf Mayonnaise, weil das, was Deutsche so bezeichnen, nicht so genannt werden dürfte, lebten wir in einer gerechten Welt. Und das, was die Franzosen so nennen, passt zu diesem Gericht eigentlich nicht. Sie greift also zu einem Joghurtdressing. Ihr Kartoffelsalat kann auch Salz und Pfeffer vertragen – aber wie sagte schon Konni Adenauer: Keine Gewürzexperimente! Dann ziehen lassen und genießen.

In meiner Variation dieses Rezepts gebe ich vor der Untermengung des Joghurtdressings ein paar Milliliter Gemüsebrühe, die ich mit Senf und gutem Essig anreichere, zu den Kartoffeln. Das hilft dem Geschmack ziemlich auf die Sprünge. Probieren Sie’s mal.

Wie endet noch Richard Leisings Gedicht? »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein / Es müßte ganz schnell Kommunismus sein.« Oder zumindest Weihnachten. Guten Appetit!

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