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Das Engagement ist zurück

Klima, Energiepreise, Löhne: Bundesweit gibt es Hörsaalbesetzungen und Proteste von Studierenden

  • Anjana Shrivastava
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Corona-Pandemie versetzte das studentische Leben in einen Dornröschenschlaf, auch den Uni-Protest. Damit scheint aber Schluss zu sein: Die Hörsaal-Besetzung ist zurück, von Aachen bis Jena, von München bis Erfurt. Vielfach geht es dabei um Aktionen für das Klima der Gruppe »End Fossil: Occupy!« (Schluss mit Fossil: Besetzen). Aber auch steigende Energiekosten, prekäre Finanzierung der Lehre und schlechte Bezahlung von Mitarbeitern treiben die Proteste voran. Experten zeigen sich überrascht: »Die Mobilisierung zur Zeit könnte ein Zeichen sein, dass sich etwas in eine neue Richtung entwickelt. Studierende engagieren sich wieder für gesellschaftspolitische Themen«, sagt der Bildungsforscher Roland Bloch im Gespräch mit »nd«.

Als die Universität Erfurt Anfang Dezember ankündigte, die Bibliothek bis zum Jahresende an Wochenenden nicht mehr zu öffnen, hatte die Verwaltung wohl gehofft, dass sich die Geduld der Studierenden, die jahrelang den Wegfall des Präsenz-Unterrichts während der Pandemie ertrugen, auch bei diesem Einschnitt fortsetzen würde. Schließlich müssen Energiekosten gespart werden. Doch stattdessen wurde die Bibliothek von 100 Studierenden besetzt. Was die Uni an Heizkosten gespart hätte, hätten die Studierenden zu Hause ersetzen müssen. Und auch die Kameradschaft in der wiedereröffneten Bibliothek wäre dahin. Zunächst rückte die Polizei an, doch die Uni lenkte am Abend mit Gesprächsangeboten ein.

Die Gewerkschaft Verdi begrüßt mit Blick auf die hohen Preise zudem eine vorläufige Lösung, die der Bundesregierung abegrungen wurde. Im dritten Entlastungspaket werden »Studierende endlich berücksichtigt«, sagt Verdi-Vorstandsmitglied Sylvia Bühler gegenüber »nd«, auch wenn der Zeitpunkt der Auszahlung der Hilfgelder noch ungewiss sei. »Die Proteste an den Hochschulen sind nicht flächendeckend, aber es gibt vor allem wegen der Preisexplosion eine weit verbreitete Unruhe aus Sorge darüber, wie es weitergeht«, so Bühler. »Die Länder sind aufgefordert, zusätzliche Mittel bereitzustellen, sonst sind Kürzungen programmiert. Erste Auswirkungen gibt es bereits, an mehreren Hochschulen in NRW wurden Einstellungs-Stopps verhängt. Und die Hochschule Koblenz hat die Lehre auf einen reinen Online-Betrieb umgestellt, um Heizkosten zu sparen.«

Die Kosten in diesem Winter treiben Dauerkonflikte auf die Spitze. Proteste gegen bestimmte Missstände erweitern sich schnell. Im November protestierten 1500 Studierende und Beschäftigte an der Technischen Universität Darmstadt. Dort fehlen plötzlich 20 Millionen Euro: Wieder müssen Stellen im wissenschaftlichen Mittelbau gestrichen oder gestutzt werden, obwohl 90 Prozent dort bereits vor der Krise nur befristete Verträge hatten. Das Aktionsbündnis »TUtalausfall verhindern« verlangt einen Ausgleich von der hessischen Regierung: »Ihr macht uns die Uni kalt? Wir machen Euch die Hölle heiß!« heißt es auf einem Transparent.

In Jena ging eine Hörsaal-Besetzung gerade zu Ende: Zwei Wochen lang blockierten bis zu 500 Studierende den Uni-Betrieb für den Erhalt eines Lehrstuhls für Geschlechtergeschichte. Nun versprach die Uni »belastbare Wege« für den Erhalt des Fachs. Die Personalrätin der Uni Jena und Mitglied des Betriebsverbandes der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Katrin Glaser, sagt gegenüber »nd«, sie sei überrascht gewesen, als die Protestierenden am Ende der Hörsaalbesetzung das Bündnis »Mehr Bildung wagen!« gründeten und bessere Arbeitsbedingungen für Angestellte und Tarifverträge für studentische Mitarbeiter forderten. Damit greifen sie Forderungen von Initiativen wie »Uni Kassel unbefristet« und »IchbinHanna« auf, die aus dem akademischen Mittelbau heraus agieren. »Es ist ein wild zusammengewürfelter Haufen, aber sie haben gerade in ihrem Kampf um den Lehrstuhl für Geschlechtergeschichte einiges riskiert«, so Glaser.

Solche Entwicklungen kommen für Forscher wie Roland Bloch eher unerwartet, denn im Zuge der Bologna-Reformen nähmen Studierende ihr Studium stärker unter dem Gesichtspunkt der ökonomischen Verwertbarkeit wahr, so Bloch. Es komme nicht oft vor, dass sich unorganisierte Studierende zusammenfinden und eine größere Mobilisierung erreichen können. »Zum Ukraine-Krieg gab es kaum Proteste, obwohl Krieg beziehungsweise Frieden ein klassisches studentisches Thema wäre«, sagt Bloch. Der Bildungsforscher sieht die Klima-Aktivisten als einen wichtigen Motor der Uni-Proteste.

Ähnliche Entwicklungen gibt es weltweit: In Nigeria streikten Uni-Dozenten in diesem Jahr acht Monate lang, bis die Regierung eine Milliarde Dollar Zusatzfinanzierung versprach. Der Sozialdemokrat Chinedu Bosh sagte Al Jazeera in Lagos, dass die Regierung bis jetzt »das Leben von Generationen verschwendete«. In Großbritannien streikten im November 70 000 Uni-Angestellte drei Tage lang für höhere Löhne und sichere Verträge. Und in Kalifornien haben die staatlichen Unis nach einem Monat des Streiks am Freitag eingelenkt: Studentische Mitarbeiter sollen über die nächsten Jahre mehr als 55 Prozent Lohnerhöhung bekommen. Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom gibt sich erleichtert. Anderseits befürchtet er, dass dies nur der Anfang für seinen Bundesstaat sein könnte.

Die Studierenden in Deutschland jedenfalls scheinen zu merken: Wenn sie nicht für ihre eigenen Belange aktiv werden, fallen ihre Interessen unter den Tisch.

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