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Solide Immunitätslage
Nach Pandemie und Infektionswelle droht 2023 eine Insolvenzwelle der Kliniken
Die Pandemie ist zu Ende – das erklären selbst eher vorsichtige Experten wie der Berliner Virologe Christian Drosten und der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, der auch Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung ist. Laut letzterem ist die Immunitätslage der Bevölkerung »solide«, auf den Intensivstationen finden sich deutlich weniger Covid-19-Patienten.
Karagiannidis hält es für eher unwahrscheinlich, dass sich in Deutschland noch einmal eine gefährliche Corona-Variante ausbreiten wird. Und Drosten kommt zur Einschätzung, dass in diesem Winter bereits die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2 laufe. »Nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei«, sagte der Virologe dem »Tagesspiegel«.
Endemie wird der Zustand genannt, in dem Infektionswellen auf Basis einer vorhandenen Immunität (erreicht durch Impfungen und Infektionen) abflachen. Dann gibt es weniger Ansteckungen und mildere Verläufe. Es gibt keine neuartigen Erreger, das Immunsystem reagiert schneller und besser auf die vorhandenen. Endemie bedeutet andererseits aber nicht, dass das Virus verschwindet. Es wird dauerhaft Infektionen bewirken. Aber auch die Wahrscheinlichkeit neuer, gefährlicher Mutationen wird von den Experten nur noch als gering eingeschätzt.
Die Frage ist, wie auch gesundheitspolitisch und gesetzestechnisch der Weg heraus aus der Pandemie aussehen kann. Die unterschiedlichen aktuellen Auflagen der Bundesländer gleichen einem Flickenteppich. Die letzten Auflagen für den Alltag, wie die löchrige Maskenpflicht in etlichen Verkehrsmitteln, vielleicht auch in einem Teil der Gesundheitseinrichtungen, werden fallen. Für den Nahverkehr bereits erledigt haben das Bayern und Sachsen-Anhalt, in Schleswig-Holstein gilt die Pflicht nicht mehr ab dem 1. Januar.
Eine Isolationspflicht nach einem positiven Test gibt es in Bayern, Hessen, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz bereits nicht mehr. Für Infizierte gilt dort aber eine verschärfte Maskenpflicht. Andere Bundesländer haben ihre Entscheidungen ins neue Jahr verschoben oder wollen erst das Winterende abwarten. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) jedenfalls plädierte bereits für das Auslaufen aller Schutzmechanismen.
Verhaltensempfehlungen wird es vermutlich weiterhin geben. So appellieren erneut Ärztevertreter an die Bevölkerung, sich bei Infekten aller Art zu isolieren und sich umsichtig zu verhalten. Entsprechende Aussagen kamen etwa vom Präsidenten der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, am Dienstag. Aber selbst aus seiner Sicht sind rechtliche Maßnahmen im Sinne des Infektionsschutzgesetzes nicht mehr nötig. Frank Ulrich Montgomery, Vorstandsvorsitzender des Weltärztebundes, hält etwa das Tragen von Masken in bestimmten Situationen durchaus für sinnvoll, so in schlecht belüfteten und engen Innenräumen wie in U- und S-Bahnen im Berufsverkehr.
Mediziner sind über die Zahl der Covid-I9-Patienten auf Intensivstationen nicht mehr beunruhigt, aber den Krankenhäusern allgemein droht neues Ungemach. Zwar könnte die Infektionswelle bei den Atemwegserkrankungen gerade ihre Spitzenwerte überschritten haben, aber die Kliniken sind weiter auch durch Krankschreibungen des eigenen Personals eingeschränkt, bei ohnehin vorhandenem Personalmangel. Angesichts der angespannten Lage dort rief Karagiannidis dazu auf, sich mit dem Böllern an Silvester zurückzuhalten oder ganz darauf zu verzichten.
Noch etwas drückt auf die allgemeinen Aussichten für das nächste, pandemiefreie Jahr: Nur noch sechs Prozent der Krankenhäuser in Deutschland beurteilen ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als gut. Lediglich 20 Prozent erwarten für das Jahr 2022 ein positives Jahresergebnis. Mehr als jedes zweite Krankenhaus sieht für 2023 auch noch eine weitere Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Erhoben wurden die Daten im Rahmen des aktuellen Krankenhaus-Barometers des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI). Die Repräsentativbefragung der Allgemeinkrankenhäuser in Deutschland wird jährlich durchgeführt.
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