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Israel driftet nach ultrarechts
Mit der neuen Regierung stehen die Zeichen auf Eskalation mit Palästinensern und LSBTIQ-Personen
Noch vor ein paar Tagen gab sich die palästinensische Führung in Ramallah gelassen. »Israelische Regierungen kommen und gehen«, sagte Premierminister Mohammed Schtajjeh am vergangenen Freitag, »und das im Moment ziemlich zahlreich. Ich glaube nicht, dass es zu maßgeblichen Veränderungen kommen wird.« Doch sein Personal wirkte alles andere als zuversichtlich. Man habe Sorge, dass die Dinge nun richtig ernst werden. Man müsse vorbereitet sein, hieß es.
Am Donnerstag wurde in Israel die neue Regierung vereidigt: Benjamin Netanjahu, der das Land bis Juni 2021 mehr als zehn Jahre lang regiert hatte, wird erneut Regierungschef. Gestützt wird er von seinem rechtskonservativen Likud, den drei rechtsradikalen Parteien, die bei der Wahl als Bündnis »Religiöser Zionismus« angetreten waren, und den beiden ultraorthodoxen Parteien in der Knesset. Der Koalitionsvertrag wurde am Tag zuvor veröffentlicht und gab jenen recht, die zuvor befürchtet hatten, dass der Preis für Netanjahus Rückkehr an die Macht hoch sein werde.
Die Palästinenser*innen und die arabischen Nachbarn müssen sich auf einen radikalen Wandel vorbereiten: Man werde den Siedlungsbau auf den Golanhöhen und im Westjordanland fördern, das von den Rechten als Judäa und Samaria bezeichnet wird, erklärten Politiker*innen der beteiligten Parteien. Itamar Ben Gvir, einer der Spitzenkandidaten der »Religiösen Zionisten«, sprach gar offen davon, dass Israel die Souveränität über den bislang von Jordanien verwalteten Tempelberg beanspruchen könnte.
Der Koalitionsvertrag schreibt fest: »Die israelische Nation hat ein natürliches Recht auf das Land Israel. Im Lichte des Glaubens an das vorgenannte Recht wird der Regierungschef politische Richtlinien formulieren und durchsetzen, in deren Rahmen die Hoheit auf Judäa und Samaria ausgeweitet werden wird.«
Die Passage bereitete nicht nur bei der palästinensischen Regierung der Gelassenheit und Zurückhaltung ein jähes Ende: »Wir haben rote Linien«, sagte der jordanische König Abdullah II. dem Nachrichtensender CNN. Über die Jahre hinweg hatte er trotz aller Widerstände im eigenen Land am 1994 mit Israel geschlossenen Friedensabkommen festgehalten. Doch sollte es sich bei der Klausel nicht nur um ein Lippenbekenntnis handeln, könnte nun eine Welle der Eskalation auf die Region zurollen. Schon seit Monaten gärt es im Westjordanland; die Zahl der Terror-Anschläge auf Israelis ist stark gestiegen.
Neben der Passage im Koalitionsvertrag kommt auf die Palästinenser*innen weiteres Ungemach zu: Polizeiminister wird Ben Gvir, der 2007 wegen Aufstachlung zum Hass verurteilt wurde, mehr als 50-mal unter Anklage stand und sich als Anwalt einen Namen als überzeugter Verteidiger von israelischen Extremisten machte, die einige der schwersten Gewaltverbrechen gegen Palästinenser*innen begangen hatten. Dafür wurde eigens das Gesetz geändert, das verurteilten Straftäter*innen den Dienst im Ministeramt verbietet. Außerdem wurden die Befugnisse des Polizeiministers massiv ausgeweitet.
Doch es sind nicht nur Palästinenser*innen, die nun mit Repressalien rechnen. Auch Lesben, Schwule, bisexuelle, trans, intergeschlechtliche und queere Personen (LSBTIQ) befürchten einen massiven Rechteabbau. So wurde den »Religiösen Zionisten« Einfluss auf die Schulbildung zugestanden. Zudem will man künftig Unternehmen erlauben, aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung bei der Einstellung zu bevorzugen.
Auch Ärzt*innen sollen Behandlungen verweigern dürfen. Das hat zu einer scharfen Zurückweisung der Ärztekammer geführt: »Jeder, der glaubt, dass er nur wegen eines Gesetzes sicher ist, muss sich bewusst sein, dass wir die Approbation entziehen können und werden. In den vergangenen Jahrzehnten haben jüdische und arabische Ärzte Täter und Opfer gemeinsam behandelt, ohne zu fragen, wer wer ist«, heißt es in einer Stellungnahme.
In den vergangenen Tagen haben zudem Hunderte Unternehmen bekannt gegeben, dass sie keinesfalls diskriminieren und allen Beschäftigten, die das tun, die Kündigung aussprechen werden. Und gut 100 Kommunalverwaltungen erklärten, dass sie nicht mit dem Bildungsministerium kooperieren werden.
Die »Religiösen Zionisten« reagieren darauf mit markigen Worten, werfen den Gegner*innen selbst »antidemokratische Umtriebe« vor: Die Mehrheit der Wähler habe dafür gestimmt, so Bezal Smotrich, ein weiterer Spitzenpolitiker der »Religiösen Zionisten«. Tatsächlich haben nur 10,83 Prozent der Wähler*innen und 7,6 Prozent der Gesamt-Wählerschaft für das Bündnis gestimmt. Auch Likud-Wähler*innen hatten zum Zeitpunkt der Wahl keine Ahnung, dass es so weit kommen würde.
Regierungschef Benjamin Netanjahu versucht derweil zu beschwichtigen. Bei einem Treffen mit LSBTIQ-Gruppen versicherte er, es werde keinen Rechteabbau geben. Den arabischen Staaten, die mit Israel diplomatische Beziehungen unterhalten, versicherte er, der Friedensprozess werde weitergehen. Er werde den Konflikt beenden. Worte, die bei den Palästinenser*innen aus Erfahrung auf viel Skepsis stoßen.
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