Übernatürliche Unglücksboten

Kometen beschäftigen die Wissenschaft seit Jahrtausenden, lange galten sie auch als Unheilsbringer

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 8 Min.
Der mittelalterliche Teppich von Bayeux enthält eine der frühesten Darstellungen des Halleyschen Kometen.
Der mittelalterliche Teppich von Bayeux enthält eine der frühesten Darstellungen des Halleyschen Kometen.

Nur mit der Bezeichnung »Stern« ist es bei den leuchtenden Gästen am Himmel nicht getan. Ob als Schweif- oder Haarstern, Gast-, Besen- oder Irrstern: Kometen mit ihrem leuchtenden Kopf und dem auffälligen Schweif haben seit jeher Himmelsbeobachter in ihren Bann gezogen. Nur ob die temporären Gestirne Glück oder Unglück mitbrachten oder einfach nur ein schönes Schauspiel darstellten, darüber war man sich lange Zeit nicht einig.

Aberglaube-Serie

Mit Silvester endet die Zeit zwischen den Jahren, es ist die Zeit der Wunder und des Aberglaubens. Da schlechte Zeiten Aberglauben nähren und die Zeiten vorerst wohl nicht besser werden, werfen wir in unserer Silvesterausgabe einen Blick auf den boomenden Markt für Esoterik und Heilkristalle, untersuchen die Verbindung von Aberglauben zu rechtem Gedankengut und lassen Theodor W. Adorno den Kapitalismus aus Horoskopen erklären.

Alle Texte unter: dasnd.de/aberglaube.

Wenn ganz überraschend der 13. Gast zur Silvesterfeier an die Tür klopft und mit dem linken Fuß zuerst den Korridor betritt – dann sind wir richtig froh, dass wir mit Aberglauben so gar nichts am Hut (liegt der etwa auf dem Bett?) haben. Während die schwarze Katze weiter unter der Leiter schlummert, verteilen wir erst einmal die Marzipanschweinchen und blicken in den Nachthimmel, ob nicht vielleicht eine schöne Sternschnuppe vorbeikommt …

Apropos Himmel: Wer richtig im Dunkeln tappt, könnte mit bloßem Auge am nächtlichen Firmament theoretisch einige Tausend Sterne funkeln sehen. Luftunruhe sowie moderne Straßen- und Stadtbeleuchtung reduzieren diese Anzahl jedoch erheblich. In den meisten Ballungsräumen sind heute noch rund 50 Himmelskörper zu beobachten, und in den größten, neonhellen Städten würde das Wiegenlied »Weißt du, wie viel Sternlein stehen« kaum noch zum Einschlafen taugen, hätte man doch nach rund einem Dutzend Sterne fertig gezählt.

Fixsterne, Wandelsterne, Haarsterne

Wenn manche auch mit ihrer Leuchtkraft nicht gegen die Lichter unserer Zivilisation ankommen, zumindest was ihre Stellung angeht, so sind die »Fixsterne« doch ausgesprochen verlässlich. Ihre gegenseitigen Positionen bilden die bekannten Sternbilder und Asterismen – das sind andere auffällige Sternkonstellationen, die nicht als Sternbild definiert sind. Deren Nacht- und Jahreslauf von Osten nach Westen, bedingt durch die Rotation der Erde und ihren Umlauf um die Sonne, ist seit alters her bekannt.

Etwas trickreicher war die Bestimmung des Laufes der »Wandelsterne«, so eine alte und nicht korrekte Bezeichnung für Planeten, deren tägliche Himmelspositionen (Ephemeriden) in umfangreichen Tabellenwerken veröffentlicht werden. Doch auch hier fand der aufmerksame Beobachter Regelmäßigkeiten, die zusammen mit dem Auf- und Untergang von Sonne und Mond das Himmelszelt mit vorhersagbaren Mustern ausstatteten.

Doch dann kommt Unruhe in den so vertrauten Anblick: Ein himmlischer Besucher taucht ohne Vorwarnung auf, strahlt manchmal sogar noch heller als so mancher Stern, bleibt ein Weilchen und verschwindet dann wieder spurlos. Und als wäre es noch nicht genug, tritt der Gast nicht als normaler Glanzpunkt in Erscheinung, sondern als helles Köpfchen mit wallender Mähne. Kein Wunder, dass Kometen (von Altgriechisch Kometes, »Haarstern«) manches Mal bange Blicke auf sich zogen. Aristoteles beschrieb in seiner Schrift »Meteorologica« aus dem Jahr 350 v. Chr. mehrere Erklärungsansätze, die Kometen als besondere Planetenkonstellationen und -verschmelzungen ansahen oder als Planeten, die Feuchtigkeit an- und als Schweif hinter sich herziehen. Er verwarf diese Ideen jedoch und beschrieb die »fallenden Sterne« als Phänomen eines feurig entzündeten Bestandteils der Erdatmosphäre, was auch dazu zu passen schien, dass Kometen »häufig Wind und Dürre ankündigen«.

Das blieb für das mittelalterliche Europa dann lange Zeit die vorherrschende Lehrmeinung – wobei man allerdings durchaus auch das Lukas-Evangelium im Hinterkopf behielt. Da sandte ein zorniger Gott dann schon einmal ein Lichtsignal an die armen Sünderlein: »Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Hungersnöte geben, und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen.«

Kometen als böses Omen

Der eine oder die andere kam also nicht umhin, Zusammenhänge zwischen himmlischen Erscheinungen und irdischen Entscheidungen zu sehen. So ist etwa auf dem Teppich von Bayeux, einem knapp 70 Meter langen Tuchstreifen, in aufwändiger Stickerei die Eroberung Englands durch den Normannenherzog Wilhelm der Eroberer dargestellt, mit dabei ein auffälliger Schweifstern. Die Szene der Niederlage der Angelsachsen in der Schlacht von Hastings im Jahr 1066 enthält eine der ältestesten Darstellungen des berühmten Halleyschen Kometen, der hier als böses Omen herhalten musste. Auch ein im Jahr 1618 mit bloßem Auge sichtbarer Komet wurde von manchen Zeitgenossen mit Krieg und Elend in Verbindung gebracht, insbesondere mit dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, der Hungersnöte und Zerstörung über weite Teile des europäischen Kontinents brachte.

Doch auch in anderen Gegenden der Welt sah man den langen Arm der himmlischen Besucher. In Seidenbüchern, die in der chinesischen Ausgrabungsstätte Mawangdui gefunden wurden und etwa auf das Jahr 200 v. Chr. datiert werden, finden sich auch astronomische Aufzeichnungen – darunter detaillierte, wissenschaftlich akkurate Zeichnungen von 29 Kometen mit Beschreibungen zu deren Bedeutung. Die meisten »Besensterne« schienen dabei nichts Gutes im Schilde – oder besser: Schweif – zu führen: Bestimmte Kometen wurden mit Aufständen im Staat, Todesfällen unter den Generälen oder gleich Krankheiten in der ganzen Welt verknüpft.

Manche Kometen treten durchaus zweideutiger auf: So bringt einer sowohl Kriege als auch eine gute Ernte, ein anderer hat zur Ankunft je nach Jahreszeit ein unterschiedliches Schicksal für die Menschen parat, von guter Ernte als Frühjahrskomet bis hin zu Überschwemmungen als Herbstbesucher.

Mit dem Aufkommen von Teleskopen und deren Nutzung zur Beobachtung von Himmelsphänomenen vollzog sich langsam ein Umdenken – wenn zunächst eher in wissenschaftlichen Kreisen. Im »Ulmer Kometenstreit« von 1618, gerade zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges, diskutierten Mathematiker, Philosophen und Vertreter der Kirche, ob der kurz zuvor erschienene Komet tatsächlich ein Unglücksbote oder einfach nur ein natürliches Phänomen ohne Einfluss auf das irdische Elend war. So richtig einig wurde man sich zwar nicht, die Diskussion soll jedoch »durchaus versöhnlich« ausgegangen sein, was bei astronomisch-kirchlichen Streitfragen jener Zeit schon ein beachtliches Ergebnis ist.

Neue Erkenntnisse wecken neue Ängste

Knapp 300 Jahre später, im Jahr 1910, hätten wir – ganz modern und naturwissenschaftlich aufgeklärt – vielleicht ein wenig über die damalige Kometenfurcht geschmunzelt, aber Moment … Anfang des 20. Jahrhunderts war es mal wieder so weit: Komet Halley (mit einer mittleren Periode von 75 Jahren ein regelmäßiger »Gaststern«) erreichte am 20. April sein Perihel, also seinen sonnennächsten Punkt, und wurde auf der Erde mit glänzenden Augen von Wissenschaftlern und fragwürdigen Geschäftsleuten erwartet, wobei Letztere das Fünkchen Aberglaubens ihrer Mitmenschen nur zu gern auszunutzen suchten.

Und dann hatte man in spektroskopischen Analysen auch noch nachweisen können, dass im Schweif von Kometen (eigentlich sind es ja zwei: ein schmaler Plasmaschweif und ein breiterer, aufgefächerter Staubschweif) neben Wasser, Kohlendioxid und zahlreichen anderen Molekülen auch Cyanwasserstoff zu finden ist. Die auch als Blausäure bekannte Verbindung ist zwar hochgiftig – in der extremen Verdünnung des Kometenschweifs, der sich selbst zum Zeitpunkt seines geringsten Erdabstandes auch noch rund 5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt befand, bestand nun aber selbst für den sensibelsten Sterngucker keine Gefahr. Trotzdem erschienen allerlei »Überlebensmittel« auf dem Markt, von Tabletten »für den vollständigen Schutz vor schädlichen Gasen, die vom Halley-Kometen ausgestoßen werden«, bis hin zum Angebot, ein U-Boot zu mieten, um unter Wasser den Schadstoffen zu entgehen. Wie viel Umsatz die Schwindelei letztendlich einbrachte, ist jedoch nicht bekannt.

Halley erst 2061 wieder in Sichtweite

Der Halleysche Komet befindet sich im Jahr 2023 übrigens in seinem Aphel, dem sonnenfernsten Punkt, in mehr als 5 Milliarden Kilometern Entfernung, und wird Ende Juli 2061 wieder von der Erde aus sichtbar. Nun ist das ja noch ein Weilchen hin – doch ganz auf Halley verzichten müssen wir bis dahin nicht. Statt des »großen Ganzen« ist es immerhin zweimal im Jahr möglich, die »Hänsel-und-Gretel-Krümelspur« des Kometen zu beobachten. So verlieren Kometen auf ihrer Bahn um die Sonne winzige Gesteins- oder Staubteilchen, die die Erdbahn kreuzen und in der Hochatmosphäre verglühen können: eine Sternschnuppe (Meteor) leuchtet auf.

Aus der genauen Position periodisch wiederkehrender Meteorströme lässt sich der Mutterkörper der Schnuppen bestimmen – Halley zeichnet dabei verantwortlich für die Eta-Aquariiden im Mai und die sehr aktiven Orioniden im Oktober. Und wer es gar nicht abwarten kann: Stets zum Jahreswechsel erfreuen uns die Quadrantiden mit ihrem Radianten im Sternbild »Bärenhüter«. Als ihr Ursprungskörper gilt ein Asteroid, von dem man seit einigen Jahren jedoch annimmt, dass er selbst nur ein Bruchstück eines viel größeren Kometenkerns war – der vor gut 500 Jahren von chinesischen Astronomen beschrieben wurde.

In den letzten Jahrzehnten sind Wissenschaftler Kometen dann nicht nur mit Fernrohren näher gekommen, sondern haben sie auf Herz oder Nieren – oder wohl besser: Kern und Schweif – getestet: Die ESA-Sonde »Giotto« war eine der ersten Sonden, die 1985 zum Halleyschen Kometen flog und in nur knapp 600 Kilometern Entfernung zahlreiche Aufnahmen machte und umfangreiche wissenschaftliche Untersuchungen vornahm.

Mit der Nasa-Mission »Deep Impact« ließen die Forscher es dann richtig krachen, indem ein Impaktgeschoss auf dem Kometen Tempel 1 einschlug und so wertvolle Aufschlüsse zum Aufbau des Kometenkerns lieferte. Und dann natürlich die ESA-Mission »Rosetta«, Start war im Jahr 2004, mit dem kleinen Lander »Philae«, der – diesmal ganz sanft – auf den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko aufsetzte und die bis dahin schärfsten Bilder eines Kometen an die Erde übermittelte – die nun nicht mehr mit Aberglaube, aber vielleicht doch mit ungläubigem Staunen betrachtet wurden.

Solcherart erleuchtet, betrachten wir die Sternschnuppen der Quadrantiden natürlich als die Meteore, die sie sind – aber wenn wir nun schon die einzigen sind, die die Schnuppe gesehen haben und unseren Wunsch rein zufällig nicht laut ausgesprochen haben – vielleicht ist ja doch etwas dran, am Sternschnuppenwunsch …

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