- Berlin
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Keine Freude, aber Entschlossenheit
Damiano Valgolio (Linke) sieht in der Berliner Wahlwiederholung eine Chance für die Linke im Bund
Damiano Valgolio ist arbeitspolitischer Sprecher der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Dort sitzt der 41-Jährige seit Oktober 2021, nachdem er den Wahlkreis 4 in Friedrichshain-Kreuzberg gewann. In der Partei ist er seit 2008 stellvertretender Bezirksvorsitzender in Friedrichshain-Kreuzberg. Der studierte Jurist arbeitet seit 2014 als Fachanwalt für Arbeitsrecht und ist Gründungspartner einer Berliner Kanzlei.
Herr Valgolio, das neue Jahr steht in Berlin unter dem Zeichen der Neuwahlen, die die damalige Koalition aus SPD, Linken und Grünen selbst verschuldet hat. Wie schwer wiegt der Vertrauensverlust im Senat?
Auch wenn das vor einem Jahr kolossal in die Hose gegangen ist, würde ich nicht von Vertrauensverlust sprechen. Klar kommt es bei den Menschen in der Stadt nicht gut an, dass sie noch einmal wählen müssen. Für den größten Schaden sorgt aber, dass Andreas Geisel als SPD-Bausenator nicht zurücktritt. Als damaliger Innensenator trägt er die politische und rechtliche Verantwortung. Wenn jemand Mist baut, ohne die Konsequenzen zu ziehen, ist das ein Problem. Generell gilt: Wir müssen mit der Gerichtsentscheidung leben, auch wenn sie in der Form vielleicht den einen oder anderen überrascht hat.
Welche Entscheidung vom Verfassungsgericht hätten Sie denn erwartet? Sie sind ja selbst Jurist, wenn auch mit Fokus auf Arbeitsrecht.
Ich selbst als Politiker habe überhaupt nichts zu erwarten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wäre eine komplette Neuwahl nicht zwangsläufig anzuordnen gewesen. Einige Abgeordnete haben deshalb ja auch das Bundesverfassungsgericht angerufen. Warten wir ab, was da rauskommt. Ich will mich an solchen Diskussionen aber nicht öffentlich beteiligen. Wenn irgendwelche taktischen Spielchen abgezogen und Urteile danach bewertet werden, ob sie der eigenen Partei in den Kram passen, dann schadet das der Demokratie.
Für Ihre Partei steht mit den Neuwahlen vieles auf dem Spiel. Die Linke gilt, nicht zuletzt mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, als zerstritten.
Die Linke hat Probleme auf bundespolitischer Ebene, aber nicht in Berlin. Wir müssen die Neuwahlen als Chance sehen. Die Berliner Linke kann jetzt zeigen, wie stark sie in Wirklichkeit ist und dass sie die Leute hinter sich hat. In den Gesprächen, die ich mit den Menschen in Friedrichshain führe, höre ich immer wieder: »Gott sei Dank, dass ihr das in Berlin anders macht als auf Bundesebene und alle auch bei unterschiedlichen Auffassungen an einem Strang ziehen.« Das ist genau das, was uns in Berlin stark macht und vielleicht können wir mit dieser Wahl auch zu einer bundesweiten Trendwende beitragen.
Auch Sie werden in Ihrem Wahlkreis im Westen von Friedrichshain erneut antreten. Demotiviert es, nach so kurzer Zeit wieder in den Wahlkampf ziehen zu müssen?
Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich mich freue. Gerade haben meine Frau und ich ein zweites Kind bekommen, das ist nur ein paar Wochen alt. Natürlich ist das dann keine optimale Konstellation. Trotzdem ist der Wahlkampf eine Möglichkeit, den Menschen noch einmal deutlich zu machen, wofür wir einstehen. Wir wollen nicht, dass grüne Innenhöfe der Nachverdichtung zum Opfer fallen und komplett zugebaut werden. Auch Mietsteigerungen und Verdrängung bleiben ein großes Thema. An der Weberwiese gibt es Eigentümer ganzer Wohnblöcke, die versuchen, langjährige Mieter gegen Kleckerbeträge aus ihren Verträgen herauszukaufen. Immerhin ist es uns gelungen, ein Beratungsnetzwerk mit Rechtsanwälten aufzubauen, die den Menschen helfen, wenn sie Heizkosten nicht mehr bezahlen können oder Probleme mit der Miete haben.
Sie selbst haben nur noch wenig Zeit dafür, als Anwalt zu arbeiten. Daran wird sich erst recht nichts ändern, wenn Sie den Platz im Abgeordnetenhaus verteidigen. Vermissen Sie den Job?
Stimmt, ich bin zwar immer noch anwaltlicher Leiter des Rechtsschutzes der IG Metall hier in Berlin, aber ansonsten fast gar nicht mehr tätig. Ich gebe zu, dass mir das manchmal ein bisschen fehlt. Als Anwalt kannst du relativ kurzfristig Ergebnisse für deine Leute erreichen, die man sofort spürt. Als Politiker dauert das manchmal Monate oder Jahre. Trotzdem kann ich dort weitermachen, wo ich als Anwalt aufgehört habe. Ich trete noch immer für die Rechte der Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften ein, nur die Art der Arbeit hat sich verändert.
Das klingt ein bisschen so, als ob es in der politischen Arbeit bisher noch an Erfolgserlebnissen fehlt.
Das kann man so nicht sagen. Mir fällt einiges ein, das wir schon bewirkt haben: Es gibt eine Mietenbegrenzung für landeseigene Wohnungsbaugesellschaften, ein Kündigungsmoratorium und die Übernahme von Energie- und Heizkosten bei einkommensschwachen Haushalten. Außerdem haben wir einen Härtefallfonds und massive Hilfen für kleine und mittlere Unternehmen auf den Weg gebracht. Natürlich konnten wir in der kurzen Zeit noch nicht alles realisieren, was wir eigentlich vorhaben, denn vieles ist eben auf längere Zeit angelegt. Als nächstes steht die Ausbildungsplatzumlage an und die Eingliederung von Billigtöchtern. Wir wollen die Berlin Transport wieder zu den Berliner Verkehrsbetrieben holen. Dass bei öffentlichen Aufträgen jetzt nach Tarif bezahlt wird, haben wir übrigens auch gegen heftige Widerstände von SPD und Grünen durchgedrückt. Danach wird dann von manchem Koalitionspartner so getan, als sei die Idee von ihm selbst gekommen.
Fällt es der Berliner Linken denn schwer, sich in der Öffentlichkeit gut zu verkaufen?
Man hat das ja leider nicht immer hundertprozentig in der Hand, wie man in den Medien dargestellt wird. Vielleicht hätten wir manches ein bisschen knalliger verkaufen können, aber uns ist eher wichtig, was am Ende rauskommt für die Menschen. Ich glaube außerdem, dass wir uns gerade mit Blick auf den Volksentscheid zur Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen & Co gut präsentiert haben. Jeder weiß, dass man sich vor allem in der SPD dagegen sträubt und die Linke diejenige ist, die auf die Durchsetzung pocht.
Für Uneinigkeiten wie diese gerät die Koalition immer wieder in die Kritik. Es heißt, man sei zu sehr mit Kämpfen untereinander beschäftigt.
Die Koalition besteht eben aus unterschiedlichen Parteien, die nicht immer die gleichen Interessen vertreten. Die Leute verstehen das, sonst würde diese – vorsichtig formuliert – Linkskoalition nicht seit Jahren immer wieder eine Mehrheit zugesprochen bekommen. Gemeinsame Projekte stehen ja trotzdem im Vordergrund und werden abgearbeitet. Wir als Linke haben Wort gehalten, wo es um Projekte der anderen Parteien ging, zum Beispiel bei der Lehrerverbeamtung. Das war nicht gerade ein Lieblingsprojekt. Jetzt erwarten wir, dass man uns auch bei Projekten wie eben der Ausbildungsplatzumlage entgegenkommt.
CDU-Landes- und Fraktionschef Kai Wegner argumentiert, dass es nach sechs Jahren unter SPD, Grünen und Die Linke die Zeit für einen Neuanfang gekommen ist. Ein einfaches »Weiter so« werde nicht reichen.
Wandel ist immer gut, aber ich glaube, es gibt kaum etwas Rückwärtsgewandteres und Verkrusteteres als die Berliner CDU. Wenn Kai Wegner in diesem piefigen Haufen von Erneuerung spricht, ist das eigentlich ein schlechter Witz. Die Truppe ist ja sogar der Bundes-CDU massiv peinlich, die selbst diskutiert hat, ob sie nicht doch einen fähigeren Spitzenkandidaten in Berlin aufstellen will. Gleichzeitig verhält sich die FDP-Fraktion wie eine Werbeagentur. Im Grunde ist es fast schon traurig, dass die Opposition in Berlin so schwach aufgestellt ist.
Die FDP-Fraktion kritisiert den Senat vor allem für die Trägheit in der Verwaltung. Gleichzeitig will sie auf Bezirksebene Tabula rasa machen und die Bezirksämter abschaffen.
Das ist ein absoluter Show-Vorschlag. Es ist richtig, dass bestimmte Abläufe optimiert werden müssen. Das Hauptproblem in der öffentlichen Verwaltung ist aber, dass sie massiv kaputtgespart wurde in den 90er Jahren. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht und es fehlt an Personal. Es ist Augenwischerei zu denken, dass man so einfach für schneller bearbeitete Anträge sorgen kann. Dieser Wahlkampftrick lässt sich leicht durchschauen.
Für Sie geht es im Wahlkampf wieder gegen Monika Herrmann von den Grünen. Gegen die damalige Bezirksbürgermeisterin haben Sie bei der vergangenen Wahl für eine Überraschung sorgen können, allerdings nur knapp. Wird es auch jetzt wieder gelingen?
Für mich war das keine Überraschung. Das soll jetzt nicht arrogant klingen, aber ich habe da schon einen Medienhype wahrgenommen. Von der »Abendschau« bis zum »Tagesspiegel« haben alle vorab über Monika Herrmann gesprochen. Dabei habe ich sie noch nie gesehen im Wahlkreis und ich wohne hier schon fast 20 Jahre. Ich bin mir sicher, dass der Wahlkreis auch jetzt wieder rot bleiben wird, denn die Linke kümmert sich vor Ort um die Probleme der Menschen.
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