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Nukleare Wende in Hiroshima?
Während Japans G7-Vorsitz werden Atomenergie und -waffen eine zentrale Rolle spielen
Wer durch den Friedenspark in Hiroshima spaziert, kommt schnell auf diesen Gedanken: Zerstörung ist etwas Brutales, aber auf den Trümmern kann Neues, Besseres gedeihen. Das südwestjapanische Hiroshima, das am 6. August 1945 als erste von zwei Städten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs durch eine Atombombe zerstört wurde, ist heute eine wohlhabende, gut funktionierende Metropole. Sie hat reichlich Grünflächen, viele Unternehmen und eine mächtige Botschaft: Frieden ist besser als Krieg. Denn nur ohne Gewalt gelingt eine langfristige Entwicklung.
Wenn Japan in diesem Jahr die Führungsrolle der G7 zukommt, ist es keineswegs Zufall, dass sich die Regierung in Tokio für Hiroshima als Hauptort der Verhandlungen entschieden hat. Weltweit nimmt die Millionenstadt eine Führungsrolle bei den Bemühungen um nukleare Abrüstung ein. Und hierum wird sich der Gastgeber, der konservative Premierminister Fumio Kishida, im Jahr 2023 wohl noch etwas mehr bemühen, als es sein Heimatland ohnehin immer vorgibt. Eine Absage an Atomwaffen wird in Hiroshima weit oben auf der Agenda stehen.
Auf den ersten Blick stehen die Chancen auf nennenswerte Ergebnisse so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar hat der russische Präsident Wladimir Putin mehrmals angedeutet, auch die Nutzung nuklearer Waffen nicht auszuschließen. Japans Nachbar Nordkorea hat sich im September per Gesetz zur Atommacht erklärt und 2022 so viele Waffentests wie nie zuvor durchgeführt. Und China hat zwar zu verstehen gegeben, von der russischen Nutzung von Atomwaffen wenig zu halten, rüstet selbst aber weiter auf.
Wie auch der liberale Block. Die Nato-Staaten haben sich mit Beginn des Ukraine-Krieges verständigt, mehr Ressourcen für Verteidigung aufzuwenden. Ähnlich macht es das aus Peking immerzu bedrohte Taiwan. Und Japan, das sich in Artikel 9 seiner Verfassung eigentlich zum Pazifismus verpflichtet und die Unterhaltung einer eigenen Armee ablehnt, hat Mitte Dezember eine neue Sicherheitsstrategie beschlossen. Das Verteidigungsbudget wird verdoppelt. China, Nordkorea und auch Russland werden darin als potenzielle Gefahren hervorgehoben.
Dennoch könnte der G7-Gipfel in Hiroshima zumindest minimale Fortschritte bei nuklearen Abrüstungsbemühungen bringen. Schließlich wird es das erste Mal sein, dass Regierungsoberhäupter der drei Atommächte USA, Frankreich und Großbritannien gemeinsam einen Ort besuchen, der von einer Atombombe zerstört wurde. Schon von der enormen Symbolkraft dieser Stadt kann eine Wirkung ausgehen, die zumindest den Protagonisten dieses G7-Gipfels eine Motivation verleiht, die sie inmitten von Aufrüstung und Drohgebärden dieser Tage ansonsten kaum verspürten.
Der Gastgeber wird sich dabei vorwerfen lassen müssen, mit gespaltener Zunge zu sprechen. Nicht nur ist Japan eher verhalten, was die Aufarbeitung der eigenen Kriegsvergangenheit angeht, die letztlich die Atombombenabwürfe durch die USA begünstigte. Auch hat sich Japans nationale Regierung – anders als die Stadt Hiroshima – bei internationalen Verträgen zum Verbot nuklearer Waffen bisher zurückgehalten.
Zudem wirkt die neue Verteidigungsstrategie Japans auf seine Nachbarn China, Nordkorea und auch Russland nicht gerade deeskalierend. Und dies muss sich Japan sogar in Bezug auf Nuklearwaffen vorwerfen lassen. Trotz der Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki 1945 sowie der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011 will die Regierung an der zivilen Nutzung der Atomkraft festhalten. Kritische Beobachter lesen hieraus schon lange eine heimliche atomare Aufrüstung Tokios ab.
Fumio Kishida beteuert, die Atomkraft sei einzig ein energiepolitisches Mittel, in dieser Hinsicht allerdings eines mit größerer Bedeutung als je zuvor. Um die Abhängigkeit von Rohstoffimporten aus Russland zu reduzieren, nimmt Japans Regierung nach der Atomkatastrophe von Fukushima wieder zusehends Reaktoren in Betrieb. In Tokio sieht man die Atomkraft nicht nur als zuverlässige, sondern auch als grüne Versorgungsquelle.
Diskussionen über Energiepolitik, die die G7 auch im Jahr 2023 beschäftigen werden, dürften kaum zu Einigkeit führen. Deutschland beschloss in Reaktion auf die Fukushima-Katastrophe vor gut elf Jahren, sich aus der Atomenergie zurückzuziehen. Mit dem Argument, sie sei nicht nur gefährlich, sondern wegen der ungelösten Frage des Umgangs mit radioaktivem Atommüll auch schmutzig. Japan setzt hingegen auf weitere Forschung, um dieses Problem doch noch zu lösen.
Auch hierbei wird Hiroshima übrigens eine symbolhafte Rolle spielen: In den 50er Jahren wurde hier der erste Atomreaktor auf japanischem Boden gebaut. Vor 70 Jahren fand eine internationale Ausstellung statt, die der Atomkraft und der Menschheit eine gemeinsame Zukunft voller Zuverlässigkeit und Wohlstand versprach. In diversen anderen Städten Japans werden im Jahr 2023 themenbezogene Ministertreffen der G7 stattfinden. Fukushima steht nicht auf der Liste. Das hätte wohl die falsche Symbolwirkung.
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