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Das Atomproblem setzt sich 2023 fort

In Frankreich stehen noch immer viele AKW still. Deutsche Stromexporteure können sich freuen

  • Joachim Wille
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch das Atomkraftwerk Bugey liefert derzeit nur rund die Hälfte der üblichen Strommenge.
Auch das Atomkraftwerk Bugey liefert derzeit nur rund die Hälfte der üblichen Strommenge.

Frankreichs Atomkraftwerke kommen aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. In der letzten Woche des Jahres 2022 lag die Verfügbarkeit der Reaktoren noch immer weit unter den Erwartungen. Die Reparatur mehrerer stillgelegter Anlagen verzögert sich erneut.

Das Nachbarland betreibt insgesamt 56 AKW-Blöcke, von denen eine ganze Reihe seit geraumer Zeit nicht am Netz ist, weil Wartungsarbeiten nötig sind und weil Korrosionsschäden beseitigt werden müssen. Vorige Woche betrug die Verfügbarkeit des Kernkraftwerk-Parks nur 31,4 Gigawatt oder 51 Prozent der installierten Gesamtleistung. Dabei spielte auch eine Rolle, dass der staatliche Stromkonzern Électricité de France (EDF) mehrere eigentlich betriebsbereite Reaktoren nicht laufen ließ, um Uran-Brennstoff zu sparen und damit für kältere Tage gerüstet zu sein. Möglich war das, weil dank der milden Temperaturen weniger Strom verbraucht wurde. In Frankreich heizt rund ein Drittel der Haushalte mit Elektrizität.

Laut EDF soll die verfügbare AKW-Kapazität spätestens im Februar wieder bei gut zwei Dritteln liegen. Der Anstieg verläuft allerdings langsamer als erhofft, da der Stromkonzern die Wiederinbetriebnahme mehrerer Reaktoren verschieben musste. Dazu zählen ausgerechnet die beiden Reaktoren in Penly in der Normandie, wo der seit November amtierende Konzernchef Luc Rémont und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire bei dessen Besuch im Dezember Hoffnungen auf eine zügige Beendigung der Arbeiten gemacht hatten. Dort gibt es Hinweise auf zusätzliche Korrosionsschäden an den Schweißnähten eines weiteren Rohrleitungsabschnitts. Penly-1 soll nun statt Mitte Februar erst in der zweiten Märzhälfte wieder als Netz, Penly-2 sogar statt Ende Januar erst Mitte Juni.

Ob die aktuelle nukleare Erzeugungskapazität von gut 45 Gigawatt ausreicht, um die kontrollierten stundenweisen Stromabschaltungen abzuwenden, die mit dem Ende der französischen Winterferien drohen, ist noch offen. Hier kommt es vor allem auf die Wetterentwicklung an. In der jüngsten Kältewelle Anfang und Mitte Dezember stieg der Elektrizitätsverbrauch in der Spitze auf ein Niveau von bis zu 80 Gigawatt Leistung. Gas-, Wasserkraft- sowie die beiden letzten Kohlekraftwerke des Landes liefen zu dieser Zeit mit voller Leistung, außerdem führte Frankreich große Mengen Elektrizität aus den Nachbarländern ein, unter anderem aus Deutschland, wo deswegen zusätzlich Erdgas verstromt wurde. Noch schlimmer wäre die Lage gewesen, wenn die Stromspar-Appelle der Regierung nicht gefruchtet hätten. In der Adventszeit lag der Verbrauch um rund neun Prozent unter dem Schnitt der Vorjahre.

Fachleute befürchten indes, dass die Schwierigkeiten bei Frankreichs Stromversorgung auch bis zum nächsten Winter nicht behoben werden können. Es sei fraglich, ob die Probleme in der AKW-Flotte dann beseitigt seien und genügend Erdgas für die Gaskraftwerke verfügbar sei, sagte Nicolas Goldberg vom Energieberatungsunternehmen Colombus Consulting in Paris. »Das Risiko von Stromausfällen im Winter 2023/​24 könnte höher sein als in diesem Winter.«

Mit Strom aus dem einzigen neuen Reaktor Flamanville-3 in der Normandie kann Frankreich im nächsten Winter ebenfalls nicht rechnen. Statt wie zuletzt angekündigt Ende 2023 soll das AKW der neuen Generation EPR (European Pressurized Reactor) erst im Laufe des ersten Quartals 2024 in Betrieb gehen und erneut 500 Millionen Euro teurer werden, wie EDF unlängst bekannt gab. Begründet wird die Verzögerung mit Schwierigkeiten bei der von der Atomaufsichtsbehörde in Paris angeordneten Reparatur von Schweißnähten am Sekundärkreislauf des Reaktors. Dieser hatte ursprünglich bereits 2012 fertig sein sollen, was sich jedoch immer wieder verzögerte. Auch die Baukosten explodierten, statt anfangs kalkulierter 3,4 Milliarden Euro werden nun 13,2 Milliarden erwartet.

Zumindest deutsche Stromverkäufer profitieren von dem anhaltenden AKW-Desaster. Im Stromhandel mit Frankreich erzielten sie 2022 einen Überschuss von rund 15 Terawattstunden, wie die Energy-Charts-Jahresbilanz des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme in Freiburg ergab. Demnach wurden 20,5 Terawattstunden nach Frankreich verkauft, aber von dort nur 5,2 Terawattstunden eingekauft. Zum Vergleich: Große Atom- oder Braunkohlekraftwerke können 11 bis 12 Terawattstunden jährlich erzeugen.

Deutschland betrieb so gesehen ständig ein bis zwei große Kraftwerke allein für den Export nach Frankreich. Der Überschuss bescherte den Stromexporteuren bereits bis Ende Oktober einen Rekordsaldo von rund 3,8 Milliarden Euro. Im ganzen Jahr 2021 waren es 2,2 Milliarden gewesen; zuvor hatte dieser Saldo nur einmal, nämlich 2015, die Zwei-Milliarden-Schwelle übertroffen.

Trotz der vielen negativen Erfahrungen setzt Paris vorerst weiter auf die Atomkraft zur Lösung der Energieversorgungs- und Klimaprobleme. Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, Frankreich werde sechs neue Reaktoren bauen. Darüber hinaus solle die Errichtung von acht weiteren Kraftwerken bis 2050 geprüft werden.

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