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Aluhüte unter zehn Prozent
Die Zustimmungswerte für Wissenschaft und Forschung in Deutschland sind wieder gestiegen
Die mithilfe der Wissenschaft entwickelten Impfstoffe gegen das Coronavirus haben zweifellos viele Menschenleben gerettet. Aber umgekehrt hat Corona auch die Wissenschaft gerettet – jedenfalls in ihrer Akzeptanz durch die deutsche Bevölkerung. Das ergibt sich aus den Zahlen des neuen »Wissenschaftsbarometers«, das alljährlich in einer großen Umfrage ermittelt, wie die Bürger auf das Treiben der Forscher und Professoren blicken. Auftraggeber der Umfrage sind, was nicht wundert, die großen Wissenschaftsorganisationen des Landes in Gestalt ihrer Kommunikationstochter »Wissenschaft im Dialog« (WID).
»Anhaltend hohes Vertrauen in Wissenschaft und Forschung«, so lautete die erste Fanfare der WID-Wissenschaftsvermittler, als sie Anfang Dezember die neuen repräsentativen Ergebnisse vorstellten. Danach gaben 62 Prozent der Deutschen an, dass sie Wissenschaft und Forschung »eher oder voll und ganz« vertrauen. Der Zustimmungswert liegt leicht über dem des Vorjahres (61 Prozent), ist aber von den 73 Prozent des April 2020 weit entfernt, als sich das Land im Lockdown befand und gebannt den Ratschlägen und Verhaltensmaßregeln der Virologen lauschte. Die Vertrauenswerte für die Aussagen von Wissenschaftlern liegen auch deutlich über jenen für Vertreter von Unternehmen und Industrie (22 Prozent), Verwandten, Bekannten und Freunden (19 Prozent), Vertretern von Behörden und Ämtern (19 Prozent), Journalisten (18 Prozent) und Politikern (13 Prozent).
Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger wertete die Vertrauenszahl als »eine gute Nachricht«. Besonders freue es sie, dass das Vertrauen »unter den jüngeren Menschen, den 14- bis 39-jährigen, mit knapp 80 Prozent noch deutlich höher liegt«, so die FDP-Politikerin in einer ersten Stellungnahme, »Mit diesem großen Vertrauen im Rücken können Wissenschaft und Forschung gestärkt die Herausforderungen angehen, vor denen unser Land steht«, ist die Ministerin überzeugt.
Wenig Skepsis aber auch viel Indifferenz
Die »umgekehrte Rettung« der Wissenschaft durch die Pandemie wird beim Blick auf die Vorjahre deutlich, in denen die Wissenschaftszustimmung nur um die 50 Prozent pendelte und 2019 sogar auf besorgniserregende 46 Prozent abgesackt war. Grund dafür war das Anwachsen der »Indifferenten«, die nicht so richtig wissen, was sie von der Wissenschaft halten sollen (2019: 46 Prozent, 2022: 29 Prozent). Keine Ausschläge dagegen gab es auf der entgegengesetzten Seite des Spektrums bei den Misstrauischen und erklärten Wissenschaftsgegnern. Die Fraktion der »Aluhüte« und Verschwörungstheoretiker blieb in Deutschland in den letzten fünf Jahren immer unter der Zehn-Prozent Marke und erhöhte sich 2022 leicht um zwei Punkte auf acht Prozent.
Weniger stabil als das »gefühlte« Vertrauen ist hingegen das aktive Interesse, mit dem sich die Bevölkerung der Wissenschaft öffnet oder an sie herantritt. Dies kommt nach den Ergebnissen des Barometers seit Jahren – allen Bemühungen der Wissenschaftskommunikation zum Trotz – nicht voran und bleibt unterhalb von 60 Prozent. 2022 war sogar ein Rückgang des Interesses auf 54 Prozent des Bevölkerungsdurchschnitts zu konstatieren. Bei diesem Thema spielt aber auch die soziale Schichtung eine besondere Rolle. Von den Personen mit einem »hohen formalen Bildungsniveau« interessieren sich 70 Prozent für Ergebnisse und Abläufe der Wissenschaft, deren akademische Bildungsinstanzen sie teilweise selbst durchlaufen haben. In den Bevölkerungsteilen mit geringem Einkommen und einem »niedrigen formalen Bildungsniveau« können sich nur 42 Prozent für die Wissenschaft erwärmen – Tendenz abnehmend (2019: 53 Prozent). Für ein Land, dessen Zukunft nicht von Rohstoffen, sondern den Köpfen der Menschen abhängt, keine gute Perspektive.
Klima- und Energieforschung gewünscht
Und wenn doch Interesse, dann wofür? Hier hält das neue Wissenschaftsbarometer eine Überraschung bereit. Bei der Frage, in welchem Bereich zukünftig am intensivsten Forschung betrieben werden sollte, wurde der langjährige Champion »Gesundheit und Ernährung« überraschend deutlich vom »ewigen Zweiten«, dem Forschungsfeld »Klima und Energie« überholt. Bemerkenswert ist dabei die Schere. Dass sich in Zeiten des Energienotstandes 51 Prozent der Befragten mehr Forschungsaktivitäten im Energiebereich wünschen, ist nachvollziehbar. Dass aber nach den eindeutigen Erfolgen der Gesundheitsforschung in den Corona-Jahren nur 28 Prozent für mehr Forschung votieren (2016 waren es noch 42 Prozent), gibt ein Rätsel auf. »Jetzt aber genug mit Gesundheits- und Pharmaforschung« – das kann ja wohl nicht die Konsequenz der leidvollen Jahre sein.
Ein Schattendasein fristen im Bewusstsein der Bevölkerung indessen drei weitere Forschungsbereiche, die gleichwohl für Innovation und Wohlstand von erheblicher Bedeutung sind. Die Themen »Kommunikation und Digitalisierung« sowie »Mobilität und Verkehr« werden nur von sechs Prozent der Bevölkerung für so wichtig erachtet, dass sie auch mehr Geld bekommen sollten. Bei der Forschung zu Sicherheitsfragen sind es sieben Prozent, aber auch das ist fast eine Halbierung der Zustimmung gegenüber 2016 (13 Prozent).
Parallelstudie in Österreich
Einen neuen Aspekt bekommt das Thema »Wissenschaft und Gesellschaft« mit dem Blick ins Nachbarland Österreich. Dort ist, wenige Tage vor Weihnachten, erstmals eine Parallelstudie veröffentlicht worden, die nach dem gleichen Fragenraster wie das deutsche Wissenschaftsbarometer arbeitet. Ergebnis: In Österreich ist das Vertrauen in die Wissenschaft mit 70 Prozent noch höher als in Deutschland und die Ablehnungsfraktion mit sieben Prozent ebenfalls kleiner.
Eigentlich könnte man sagen: »Tu felix Austria«. Und dennoch stand die österreichische Wissenschaftsszene im vorletzten Jahr regelrecht kopf – angeführt von Akademie-Präsident Anton Zeilinger, der gerade im Dezember den Physik-Nobelpreis erhielt –, als eine EU-Befragung erbrachte, dass in der Donau-Republik eine überdurchschnittliche Wissenschaftsskepsis von 30 Prozent anzutreffen sei. Sogar der amtierende Wissenschaftsminister Martin Polaschek schaltete sich ein und gab beim Wiener Institut für Höhere Studien (IHS) eine Ursachenstudie in Auftrag, deren Ergebnis vor wenigen Tagen vorgelegt wurde. Der zentrale Befund: Desinteresse ist nicht Gegnerschaft.
»Unsere ersten Ergebnisse zeigen, dass Desinteresse an Wissenschaft deutlich ausgeprägter ist als systematische Skepsis oder mangelndes Vertrauen«, erklärte IHS-Studienleiter Johannes Starkbaum. »Das Vertrauen in Wissenschaft ist in Österreich in allen von uns analysierten Umfragen im Zeitverlauf hoch und konstant.« Zwar seien in Teilen der Bevölkerung »kritische Einstellungen zu Wissenschaft« anzutreffen. Diese gebe es aber in allen Gesellschaftsbereichen und beschränke sich nicht auf besondere sozioökonomische Gruppen. »Skepsis muss jedoch nicht Ablehnung von wissenschaftlichen Methoden sein«, so der IHS-Wissenschaftler, »sondern kann Kritik an den Verbindungen von Wissenschaft mit anderen Gesellschaftsbereichen, wie Politik oder Wirtschaft, sein«. So ergab die vertiefende Befragung, dass von den Österreichern, die an Wissenschaft nicht besonders interessiert sind, ihr dennoch 80 Prozent ein grundsätzliches Vertrauen entgegenbringen. Frei nach dem Motto: »Kein Interesse an den Labor-Fuzzies, aber die werden schon das Richtige tun«.
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