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Neuköllner Stadträtin soll umstrittene Razzien umsetzen
Grüne und SPD fordern Linke-Stadträtin Sarah Nagel auf, problematische Verbundeinsätze durchzuführen
Der Ordnungsausschuss der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung ist am Mittwoch mit einem Antrag der Stadträtin Sarah Nagel (Linke) in den Rücken gefallen. Wenn es nach den antragstellenden Fraktionen Grüne, SPD und CDU geht, soll die Leiterin des Neuköllner Ordnungsamtes sogenannte Verbundeinsätze unterstützen – egal, ob sie die Einsätze für gerechtfertigt hält oder nicht.
Nagel hatte im Dezember von ihrem Genehmigungsvorbehalt Gebrauch gemacht und die Teilnahme des Ordnungsamtes an einer Razzia im Rahmen eines sogenannten Verbundeinsatzes abgelehnt. Dafür war sie insbesondere von der SPD und von den Oppositionsfraktionen scharf kritisiert worden. Der aktuelle Antrag, über den die BVV in der nächsten Sitzung entscheiden wird, fordert, dass das Ordnungsamt die Polizei bei Bedarf verstärken soll. Nagel soll demnach nicht entscheiden dürfen, an welchen Einsätzen sich ihre Mitarbeiter*innen beteiligen.
Jorinde Schulz kandidiert bei der Abgeordnetenhauswahl für Die Linke im Bezirk Neukölln und nahm als Bürger-Deputierte an der Sitzung teil. Das Ordnungsamt sollte weiterhin an Verbundeinsätzen teilnehmen, »die einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität leisten«, zitiert Schulz aus dem Antrag, der auch »nd« vorliegt. »Die Polizei hat aber nach drei Jahren dieser Einsätze nicht plausibel machen können, dass damit organisierte Kriminalität bekämpft wird. Außerdem ist es ziemlich absurd, das Ordnungsamt mit der Bekämpfung von organisierter Kriminalität zu betrauen«, so Schulz zu »nd«.
Dass die SPD den Antrag stellte, dem die CDU dann beitrat, habe sie nicht überrascht. Die SPD hatte Nagel bereits im Dezember in einer Pressemitteilung vorgeworfen, das »Erfolgsmodell« der Verbundeinsätze für »parteipolitisches Wahlkampfgetöse« zu gefährden. Schockiert ist Schulz darüber, dass auch die Grünen-Ausschussmitglieder an dem Antrag beteiligt waren. »Die haben zurückgewiesen, dass es irgendwelche Probleme mit Stigmatisierung gibt.«
Dabei ist die Kritik an Verbundeinsätzen kein ausschließliches Linken-Thema. Eine Studie der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR) vom Oktober 2021, die von der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe in Auftrag gegeben wurde, attestiert der Gewerbeüberwachung schwerwiegende Probleme. Grundsätzlich ist in Berlin der Gewerbeaußendienst (GAD) des Landeskriminalamtes für die Kontrollen zuständig, was dazu führt, dass im Namen der Gewerbeordnung polizeiliche Informationen gesammelt werden – laut Studie eine rechtlich mehr als fragwürdige Praxis.
Die Ermittlungen, denen die Razzien ganz nebenbei dienen, richten sich oftmals gegen migrantisch geführte Läden: Shisha-Bars, Friseurläden, Restaurants. Organisierte Kriminalität beziehungsweise »Clan-Kriminalität« lautet dann der unspezifische Verdacht. »White-Collar-Business« wie Büros von Immobilienmakler*innen werden laut Studie hingegen kaum kontrolliert. Die Berliner Linke verurteilte deshalb in einem Fraktionsbeschluss von Dezember den »überproportionalen und stigmatisierenden Kontrolldruck für bestimmte (post)migrantische Gewerbe«.
Kritik, die die Grünen eigentlich teilen, zumindest auf Landesebene. Elif Eralp, migrationspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, hatte deshalb auf grüne Unterstützung für Nagel gehofft: »Ich bin sehr darüber erschrocken, dass sie stattdessen Sarah Nagel angegriffen haben und infrage gestellt haben, dass es strukturelle Diskriminierung in diesem Kontext gibt.« Die Neuköllner Grünen-Fraktion reagierte bis Redaktionsschluss nicht auf Anfrage.
Während Bezirke derzeit eigenständig über die Teilnahme an Verbundeinsätzen entscheiden, fordert die Berliner Linke ein eigenes Landesamt für Gewerbeüberwachung, unabhängig von der Polizei. Das würde laut Eralp eine systematische Kontrolle aller Gewerbearten ermöglichen und die Gewerbefreiheit schützen.
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