Dschihadisten schlagen in Syrien zu

Tauwetter zwischen Ankara und Damaskus löst bei syrischer Opposition Unruhe aus

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 4 Min.

In den Morgenstunden des 2. Januar griff die israelische Armee erneut Ziele in Syrien an. Nach Angaben syrischer Medien waren Raketen aus einem Gebiet nahe des Tiberias-Sees auf den internationalen Flughafen von Damaskus abgeschossen worden. Das russische »Zentrum für Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien« gab an, dass die Raketen von vier F-16 Kampfjets der israelischen Luftwaffe abgeschossen worden seien, die sich im Luftraum über den Golanhöhen befunden hätten. Die zu Syrien gehörenden Golanhöhen wurden von Israel 1967 besetzt und 1981 annektiert, beides verstößt gegen UN-Resolutionen und die UN-Charta. Die Landebahnen des Damaszener Flughafens wurden bei den Angriffen beschädigt, der Flugbetrieb musste vorübergehend eingestellt werden.

Kurz vor dem Jahreswechsel wurden zehn Arbeiter der Ölgesellschaft Al-Furat ermordet, als mutmaßliche IS-Kämpfer mit Waffen ihre Busse angriffen, die sie vom Ölfeld Al-Taim südlich von Deir Ez-Zor in Ostsyrien zu ihrer Unterkunft bringen sollten. Nicht weit davon, in Al-Sukhnah, überfielen IS-Kämpfer Stellungen der syrischen Streitkräfte. Al-Sukhnah ist eine Kleinstadt im Osten der syrischen Wüste. Bis zum Beginn des Krieges 2011 hatte sich dort aufgrund nahegelegener Gasvorkommen und Gaspipelines eine bescheidene Gasindustrie entwickelt. Die Angriffe auf die Arbeiter des Al-Taim-Ölfelds verhindere die Versorgung der Syrer mit Öl, erklärte Bassam Tohme, der zuständige Minister für Öl und Mineralressourcen.

Die Angriffe um den Jahreswechsel richteten sich gegen die ökonomische Infrastruktur Syriens. Sie verschärfen nicht nur die Instabilität, sondern behindern nach fast zwölf Jahren Krieg und Wirtschaftssanktionen von EU und USA eine politische Lösung sowie den Wiederaufbau. Die EU-Sanktionen gegen Syrien sind seit 2011 in Kraft – »als Reaktion auf das gewaltsame Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung«, heißt es in einer Pressemitteilung des Rats der Europäischen Union –, und wurden vergangenen Mai um ein weiteres Jahr bis zum 1. Juni 2023 verlängert.

Der internationale Flughafen von Damaskus ist angesichts der nahezu kompletten Absperrung Syriens entlang der türkisch-syrischen und der irakisch-syrischen Grenze durch türkische und US-amerikanische Besatzungstruppen eines der wenigen Tore, durch die man nach Syrien einreisen oder das Land verlassen kann. Beobachter vermuten, dass Israel mit den Angriffen auf die Flughäfen Damaskus und Aleppo den Handels- und Personenverkehr zwischen Syrien und den arabischen Golfstaaten, insbesondere mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), unterbinden will. Am Mittwoch traf der Außenminister der VAE, Scheich Abdullah Bin Zayed Al-Nahyan, mit dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad in Damaskus zusammen.

In den Gebieten unter Kontrolle der kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDK) im Nordosten des Landes blieben um den Jahreswechsel türkische Angriffe weitgehend aus. Nach einem mutmaßlichen IS-Angriff auf eines ihrer Hauptquartiere in Rakka am ersten Weihnachtstag hatten die SDK allerdings in Zusammenarbeit mit der US-geführten Anti-IS-Allianz und US-Truppen nach eigenen Angaben eine Militäroperation gegen verbliebene IS-Zellen gestartet. 

Die Operation mit dem Namen »Al-Jazeera-Blitzstrahl« wird auch im neuen Jahr fortgesetzt. Al-Jazeera (die Insel) wird das Gebiet im Nordosten Syriens genannt, das zwischen den beiden Strömen Euphrat und Tigris liegt. Ziel der konzertierten Anti-IS-Militäroperation sind Dörfer und Weiler in den ländlichen Gebieten der Region, die meist von arabischen Stämmen und Beduinen bewohnt sind.

Unruhig war und ist es allerdings in den von der Türkei kontrollierten Gebieten Idlib, Afrin, Azaz und Al-Bab. Dort war es zum Jahresende zu wütenden Protesten gegen die Türkei gekommen, angeführt von den dorthin deportierten Regierungsgegnern, die mit Unterstützung der Türkei und anderer Staaten erfolglos gegen die syrische Regierung gekämpft hatten.

Ausgelöst worden waren die Proteste von der Ankündigung der Türkei, im kommenden Jahr ihre Truppen aus Syrien abzuziehen. Der türkische Präsidentensprecher Ibrahim Kalin bestätigte zudem, dass Ankara Damaskus aufgefordert habe, »die Rückkehr von Flüchtlingen und Inlandsvertriebenen zu beschleunigen« und eine »humane Versorgung« dieser Menschen sicherzustellen. Ein Treffen von Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu mit dem Vorsitzenden des oppositionellen Syrischen Nationalrats, Mahmut Al-Maslat, und anderen Oppositionsführern in Ankara konnte die Aufgebrachten nicht beruhigen.

Die Verteidigungsminister Syriens und der Türkei hatten sich mit den jeweiligen Geheimdienstchefs auf Einladung des russischen Verteidigungsministers am 28. Dezember in Moskau auf zahlreiche Schritte geeinigt, um die Beziehungen beider Länder wieder zu normalisieren. Weitere Treffen zwischen Damaskus und Ankara wurden vereinbart. Ende Januar wird der syrische Außenminister Feisal Mekdad in Ankara von seinem türkischen Amtskollegen erwartet.

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