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Kohle gegen Klima
Das nordrhein-westfälische Dorf Lützerath steht kurz vor der Räumung. Trotz massiver Proteste sind auch die Grünen für die Abbagerung des Ortes
Nun steht sie kurz bevor: die Räumung von Lützerath. Das Dorf, in dem einst 100 Leute lebten, soll dem Braunkohletagebau zum Opfer fallen. In Zeiten, in denen die USA die schwersten Winterstürme der letzten zwei Jahrzehnte zu verzeichnen hatten und das Thermometer am Neujahrstag 2023 in Teilen von Deutschland über 20 Grad Celsius anzeigte, ist dies bestenfalls ein ungutes Zeichen. Weil die Polizei schon am Jahresanfang mit den Vorbereitungen für die Räumung begann, riefen die Aktivist*innen vor Ort bereits Mitte der Woche den Tag X aus. Die großen Proteste sollen am kommenden Wochenende beginnen.
Der Ablauf, um ein Dorf abzubaggern, ist immer gleich: Enteignungsantrag, Anhörung, Wertermittlungsgutachten, schriftliche Vorladung, mündliche Verhandlung mit den Beteiligten; dann Eintragung einer Verfügungs- und Veränderungssperre bezüglich des Grundstücks, Verfahren an Verwaltungsgerichten, Urteile über die Rechtmäßigkeit einer individuellen Enteignung. Solche Verfahren dauern lange, meistens sogar über Legislaturperioden hinweg. Meistens akzeptieren die Betroffenen die Summe, die von Firmen wie RWE zur Entschädigung angeboten wird, gering ist sie in der Regel nicht.
In vielen Fällen enden dann nachbarschaftliche Gefüge, Gemeinschaften werden auseinandergerissen, ein Dorf hört auf zu existieren. Ganze Ortschaften sind auf diesem Wege dem Kohletagebau gewichen. Im Rheinland wurde bis einschließlich 2016 eine Landfläche von 32 490 Hektar für die Braunkohlegewinnung in Anspruch genommen. Mehr als 38 000 Menschen wurden seit 1950 umgesiedelt. Auch Lützerath soll einer dieser Orte werden.
Seit Sonntag ist die Polizei mit einem Großaufgebot dort. »Ich kann es nicht fassen, wie hier mehrere Hundertschaften und schwerstes Gerät aufgefahren werden, um uns immer weiter in die Klimahölle zu treiben. Lützerath ist kein Symbol«, sagt die Pressesprecherin von Lützerath lebt, Lakshmi Thevasagayam. »Hier ist so viel Kohle im Boden, dass damit die von der Politik selbst gesteckten Klimaziele nicht erreicht werden. Wie können die Politik und die Polizei für den Profit weniger und gegen das Überleben von so vielen Menschen sein?«
Dass Lützerath nicht zu retten war, war bereits klar, als 2020 ein Großteil der Lützerather*innen ihr Dorf verließen. Es geht den Aktivist*innen und Besetzer*innen auch gar nicht darum, ein Dorf zu retten, sondern um die Frage, wie die Zukunft aussehen soll. Für sie gehört ein konsequenter Ausstieg aus der Kohlenutzung unbedingt dazu. Dafür ziehen sie auch Blockaden in Betracht. »Klimaschutz heißt schon lange nicht mehr nur, das Licht hinter sich auszuschalten, sondern dass Millionen Tonnen Kohle im Boden bleiben, wie im Hambacher Forst. Dafür werden wir kämpfen«, so Dina Hamid, ebenfalls Sprecherin von Lützerath lebt.
Die Braunkohle, die unter Lützerath lagert, würde bei ihrer Verstromung die gleiche Menge CO2 freisetzen wie ganz Griechenland in einem Jahr. Trotz des für 2030 beschlossenen Kohleausstiegs wird der Tagebau Garzweiler II erweitert. Hier liegt die Kohle in einer Tiefe von 40 bis 210 Metern. Wird diese Kohle wegen der aktuellen Energiekrise benötigt oder dient der Tagebau eher zur Befriedigung der Kapitalinteressen von RWE? Aktuell wird wegen der momentan herrschenden Gasknappheit mehr Kohle benötigt, als dies gewöhnlich der Fall wäre. Gesetzgeberische Initiativen wie das Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz (EKBG) erhöhten darum die Auslastung von Braunkohlekraftwerken im Jahr 2022 und in den Folgejahren.
Vor der Räumung von Lützerath gab es drei Gutachten, die sich teilweise aufeinander bezogen und Zahlen verwendeten, die von RWE selbst kamen. Greenpeace nennt sie »Gefälligkeitsgutachten«. Eine Kurzstudie des DIW kam 2022 zum Ergebnis, dass die Kohle unter Lützerath nicht benötigt werde. Darin heißt es: »Selbst wenn die Kraftwerke noch in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre mit unwahrscheinlich hoher Auslastung betrieben werden, stehen auch ohne Inanspruchnahme von Lützerath mehr Vorräte zur Verfügung als benötigt.«
»Im Vordergrund steht jetzt, die gemeinsame Abkehr von Kohle, Öl und Gas voranzutreiben – durch eine nachhaltige, sozial gerechte, globale Energiewende und die Dekarbonisierung der Industrie«, ließ der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck im November zum Abschluss des Weltklimagipfels in Ägypten verlautbaren. Mona Neubaur, die grüne Wirtschaftsministerin von Nordrhein-Westfalen, und Habeck hatten sich erst im Oktober mit RWE auf den vorgezogenen NRW-Kohleausstieg 2030 verständigt. Greenpeace kritisierte, dass der Beschluss fast kein CO2 einspare und nahezu alle Kraftwerke bis 2030 laufen lasse: »Damit wird Deutschland weder seine Sektorziele einhalten, noch eine mit der 1,5-Grad-Grenze kompatible Politik machen.« Der Klimaexperte Karsten Smid beanstandete den Schulterschluss zwischen den Grünen und RWE in der Braunkohlepolitik: »Das symbolische Vorziehen des Kohleausstiegs auf das Jahr 2030 bringt nichts, solange sich nicht auch die Kohlemengen verringern.«
Zwar werden durch den vorgezogenen Kohleausstieg in NRW die Orte Keyenberg, Berverath, Kuckum sowie Ober- und Unterwestrich vor der Abbaggerung bewahrt, Lützerath wird jedoch geopfert. Neubaur hatte erst kürzlich verkündet, dass der Abriss des Ortes aus energiepolitischer und tagebauplanerischer Sicht unumgänglich sei. Tatsächlich geht es RWE nicht ausschließlich um die Kohle, die unter Lützerath lagert. Der erwartete Abbraum wird gebraucht, um die riesigen Krater der anderen Tagebaue wieder aufzufüllen. Zu dieser Rekultivierung ist RWE gesetzlich verpflichtet. Anderes Material zu verwenden, sei zu teuer, so RWE. Für den »Garzweiler-Restsee« mit einer Tiefe von 180 Metern und einer Fläche von 2300 Hektar sollen zudem zwei Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem 30 Kilometer entfernten Rhein abgepumpt werden.
Sind die Bagger noch zu stoppen? Vermutlich nicht. Völlig unmöglich war es dennoch nicht. Der Fall Pödelwitz in Sachsen zeigte 2021, dass jahrelanger Protest sich auszahlen sowie ein Bewusstsein und politisches Umdenken schaffen kann, auch bei Unternehmen. Was bei Lützerath jedoch fehlt, ist der politische Wille der Verantwortlichen.
Aufgeben will man aber in Lützerath noch nicht. Und auch bundesweit kommt es zu Solidaritätsaktionen wie den Blockaden der Gruppe Letzte Generation im freitäglichen Berliner Berufsverkehr. Ab dem 10. Januar will die Polizei das Dorf mit einem Zaun abriegeln. Dann darf auch geräumt werden. Mit einem Eilantrag gegen diese Verfügung scheiterten die Klimaaktivist*innen am Donnerstag vor dem Aachener Verwaltungsgericht, sie wollen aber weiter klagen.
Ein breites Bündnis aus Umweltverbänden, Klimagruppen und lokalen Initiativen ruft daher für den 14. Januar zu einer Großdemonstration am Dorf auf. An der Demonstration wollen die Aktivist*innen trotz des derzeit bestehenden Aufenthaltsverbots in dem Ort festhalten, auch wenn die Räumung bis dahin erfolgt sein sollte.
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