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Unterwegs bis zuletzt
Zum Tod des Holocaust-Überlebenden und preisgekrönten Journalisten Karl Pfeifer
Seine letzten Grüße von unterwegs kamen kurz vor Weihnachten »vom Dresdner Striezelmarkt, wo auch auf Chanukka aufmerksam gemacht wird und ich einen Bratfisch verzehre«. Wer mit Karl Pfeifer auf Facebook befreundet war, sah ihn oft im Zug, im Speisewagen, in den Cafés europäischer Städte, bei Kaffee oder Wein – oder beim Zeitunglesen. Er war viel unterwegs, meist in Begleitung seiner Ehefrau Dagmar.
Noch zwei Tage vor seinem Tod am 6. Januar postete er in dem sozialen Netzwerk einen 75 Jahre alten Artikel aus der österreichischen »Volksstimme«, der eine Wiener Aufführung des Oratoriums »Elias« von Felix Mendelssohn Bartholdy zu dessen 100. Todestag lobte. Der Artikel war verfasst von Marcel Rubin, selbst Komponist, der als Jude vor den Nazis geflohen war und damals noch kein Jahr wieder in Österreich lebte.
Unermüdlich dokumentierte Pfeifer Zeitungstexte von vor 75, 80, 90 oder 100 Jahren oder auch zu krummen Jahrestagen, gern aus der »Volksstimme« oder der »Arbeiter-Zeitung« (»AZ«), aber auch aus dem NSDAP-Parteiorgan »Völkischer Beobachter«. Für ihn gab es unendlich viel aus der Vergangenheit für die Gegenwart zu lernen. Wachsender Antisemitismus, Verharmlosung der Nazis, der NS und seine Folgen waren bestimmende Themen, ebenso alles um Palästina und die Staatsgründung Israels. Einmal fragte er in die Runde, ob er es sein lassen solle, seine Archivfunde zu veröffentlichen, aber offenbar gab es dagegen Protest.
Wer ihn live erlebte, erinnert sich an einen intelligenten und humorvollen politischen Menschen, der fesselnd erzählen konnte. Und zu erzählen hatte er viel. Karl Pfeifer wurde am 22. August 1928 geboren und wuchs behütet in einer jüdischen, aber nicht streng religiösen Familie in Baden bei Wien auf. Als Kind erlebte er, wie sich die Stimmung in der »gemütlichen Kurstadt« mit dem sogenannten Anschluss Österreichs schlagartig veränderte. Juden wurden gedemütigt und geschlagen, der Neunjährige wurde von uniformierten Hitlerjungen in die Mangel genommen. Nur kurze Zeit später flohen die Eltern mit ihm auf Umwegen nach Ungarn. Auch in Budapest erlebte er Antisemitismus, wurde beschimpft auf dem Weg zum jüdischen Gymnasium und musste darauf hoffen, beim Besuch des deutschen Kinos keinen Ärger zu bekommen, weil dort Juden der Eintritt verboten war.
In seinen Erinnerungen mit dem Titel »Einmal Palästina und zurück. Ein jüdischer Lebensweg« erzählt er, wie 1942 die ersten Nachrichten über Massenmorde an Juden mit Gas verdrängt wurden, auch weil sie das Vorstellungsvermögen schlicht überstiegen. Und wie er selbst, der über seine Jugendgruppe, der sozialistisch-zionistischen Haschomer Hazair, davon gehört hatte, bereits mit 14 Jahren entschlossen gewesen sei, Ungarn zu verlassen. Das gelang ihm, mit viel Glück, fast auf den Tag genau 80 Jahre vor seinem Tod. Am 5. Januar 1943 begann die Reise von 50 Kindern und Jugendlichen über viele Stationen nach Palästina, wo sein 15 Jahre älterer Bruder bereits lebte. »Wir gehörten zu den wenigen, denen es ermöglicht wurde, während des Krieges legal ins Land zu kommen«, schreibt er. Zu dem Zeitpunkt war seine Mutter bereits verstorben, seinen Vater sollte er nie wiedersehen.
Angekommen in einem Kibbuz zwischen Haifa und Tel Aviv, verblassten Abenteuerlust und Euphorie ein wenig. Die Arbeit in der Landwirtschaft war hart und er vermisste seine Familie. Treffen mit dem Bruder waren schwierig, der Kontakt mit dem Vater war nur sporadisch über das Rote Kreuz möglich und riss schließlich ab. Doch die Zeit prägte Pfeifer. »Ziel der Erziehung im Kibbuz war es, uns ein säkulares Judentum nahezubringen, verwurzelt in der Tradition des jüdischen Volkes, dem Zugehörigkeitsgefühl zu Erez Israel«, schreibt er. Land in Palästina zu beanspruchen, ist für ihn ebenso selbstverständlich wie der feste Entschluss, es notfalls mit der Waffe in der Hand zu verteidigen. Zunächst jedoch habe die Hoffnung bestanden, dass »die Nachbarn uns akzeptieren werden«.
Mit Schrecken und Schuldgefühlen nahm er die Nachrichten von der Besetzung Ungarns durch die Nationalsozialisten im März 1944 auf, auch weil die Nachrichten vom Massenmord an den europäischen Juden zur Gewissheit geworden waren. Er begeisterte sich für den Kommunismus und glaubte an eine Sowjetunion, die angeblich Rassismus und Antisemitismus ausgerottet hatte, während die Wut auf Briten und US-Amerikaner wuchs, die kaum Anstalten machten, den Juden zu helfen. Später hörte er erschütternde Berichte von KZ-Überlebenden. Er selbst verlor in der Shoa 36 nahe Verwandte. Sein Vater starb, von der Zeit im Budapester Ghetto völlig geschwächt, unmittelbar nach der Befreiung Ungarns.
Im Spätsommer 1944 trat Karl Pfeifer der Gadna bei, einer Organisation, die Jugendliche auf den Militärdienst in der Untergrundarmee Hagana vorbereitete, im März 1946 dann dem Palmach, deren Elitetruppe. Er kämpfte für die Staatsgründung Israels und gegen die Ägypter im Unabhängigkeitskrieg. Kaum zu verkraften war für ihn der 13. Dezember 1947, als er wegen starker Kopfschmerzen um Vertretung bei der Tagespatrouille bat. Fünf Soldaten sterben durch Schüsse von Beduinen, unter ihnen der 17-jährige Arie Schwarzmann, der seinen Dienst übernommen hatte.
Zum Jahresbeginn 1950 wurde er aus dem Militär entlassen und schlug sich, quasi ohne Starthilfe ins zivile Leben, zunächst als Verpflegungsoffizier auf Schiffen durch, mit denen Einwanderer nach Israel reisten. Über Paris gelangte er 1951 eher ungeplant zurück nach Österreich, auch um wieder offiziell als Karl Pfeifer leben zu können. Seit seiner Flucht war er staatenlos gewesen und hatte unter einem falschen Namen gelebt. »Bei meiner Ankunft in Österreich vor 71 Jahren wurde ich mit der Erklärung empfangen, Heimkehrer sind diejenigen, die in der Wehrmacht oder bei der Waffen-SS waren«, erzählte Pfeifer, als er im letzten Frühjahr für sein Engagement gegen Antisemitismus und die Aufklärung über den Holocaust mit dem Simon-Wiesenthal-Preis ausgezeichnet wurde, in seiner Dankesrede. Der Judenhass, vor dem ihn schon der österreichische Konsul in Paris gewarnt hatte, war nach dem Krieg weiter lebendig. Der Kampf dagegen, wie auch gegen Rechtsextremismus und Rassismus, beschäftigte ihn sein Leben lang, ob als Journalist oder als Referent in Schulen und anderswo.
Zum Journalismus kam er eher zufällig, Ende der 70er Jahre, nach Aufenthalten in Neuseeland, Großbritannien und Italien, als er in Ungarn in die oppositionellen Kreise geriet und darüber in der »AZ« berichten sollte. Wegen »ideologischer Subversion« (ungarische Staatssicherheit) wurde er in den 80ern viermal aus Ungarn ausgewiesen. Als Redakteur für die Zeitschrift der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien sprach er Konflikte offen an, beschäftigte sich auch mit Antisemitismus in der Linken und klagte die Mitwirkung Österreichs an den Verbrechen des Nationalsozialismus hartnäckig an. Dem Politologen Werner Pfeifenberger bescheinigte er 1995 in einer Rezension seines Textes im Jahrbuch der FPÖ »Nazi-Töne«, was einen dreijährigen Rechtsstreit nach sich zog. Als ihm später von der neurechten Wochenzeitung »Zur Zeit« vorgeworfen wurde, Pfeifenberger in den Selbstmord getrieben zu haben, klagte Pfeifer so lange dagegen, bis ihm 2007 vom Europäischen Menschenrechtsgerichthof Recht zugesprochen wurde. Den FPÖ-Politiker Jörg Haider konfrontierte er öffentlich mit dessen Verbindungen in rechtsextreme Kreise, was man in der Filmdokumentation »Zwischen allen Stühlen – Die Lebenswege des Journalisten Karl Pfeifer« sehen kann. Darin sagt er auch über das Land, in dem er geboren wurde und das er so oft verlassen wollte: »Was Österreich anbelangt, war ich immer pessimistisch und wurde leider, leider fast nie enttäuscht.«
In den letzten Jahren verfolgte er, nach wie vor journalistisch tätig, intensiv den Abbau von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn. Dem Staat Israel blieb er tief verbunden, ohne je offiziell Staatsbürger gewesen zu sein. Umso mehr entsetzte ihn die Formierung der neuen Regierung, deren Mitglieder er als »Betrüger und Kriminelle« bezeichnete, die Straffreiheit für sich erlangen wollten. Am 30. Dezember schrieb er in diesem Zusammenhang, er hoffe, »dass die Mehrheit der Israelis aufwacht«. Und: »Jude und Israeli zu sein, bedeutet etwas ganz anderes als großsprecherisch den Mund aufzureißen und Hass gegen andere zu predigen.«
Am Freitag ist Karl Pfeifer im Alter von 94 Jahren in Wien verstorben. Seine Stimme als Linker, als Antifaschist und beeindruckender Mensch fehlt schon jetzt.
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