Politischer Mord in Paris

Zur Aufklärung des Anschlags auf drei Kurdinnen konnte der mutmaßliche Täter nichts mehr beitragen: Der Mann starb 2016 in Untersuchungshaft

  • Tim Krüger, Paris
  • Lesedauer: 4 Min.

Am 9. Januar 2013, kurz nach Mittag, erschießt der damals 30-jährige, in Frankreich lebende türkische Staatsbürger Ömer Güney drei kurdische Aktivistinnen. Bei den Getöteten handelt es sich um die Mitbegründerin der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Sakine Cansız, die Pariser Vertreterin des Kurdistan National Kongresses (KNK) Fidan Doğan und die kurdische Jugendaktivistin Leyla Şaylemez. Die drei Frauen, die in der Pariser kurdischen Gemeinschaft unter ihren Beinamen Sara, Rojbîn und Ronahî bekannt waren, hielten sich gerade in den Räumlichkeiten des Kurdistan-Informationszentrums in der Rue La Fayette 147 auf, als sie vom Täter überrascht wurden. Mit vier gezielten Kopfschüssen ermordet Ömer Güney die drei Frauen und verlässt das Gebäude. Der Dreifachmord, welchen der damalige französische Innenminister Manuel Valls am 10. Januar als »Hinrichtung« bezeichnete, war minutiös geplant und kaltblütig durchgeführt. Für die Tat brauchte Ömer Güney nicht mehr als 30 Sekunden.

Am Tag darauf verbreiteten französische und türkische Medien, dass es sich bei dem Mord an den drei Frauen wohl um eine »interne Abrechnung« innerhalb der PKK gehandelt haben könnte. So erklärten die französischen Behörden, dass Güney kurz nach seiner Festnahme selbst angegeben hatte, er sei seit zwei Jahren Mitglied der PKK in Paris und ein oft gesehener Gast in den kurdischen Kulturzentren der französischen Metropole gewesen.

Die Verbände der in Frankreich lebenden Kurden wiesen derartige Behauptungen entschieden zurück und auch das langjährige PKK-Führungsmitglied Murat Karayilan erklärte, dass es sich bei Güney nicht um ein Mitglied der Organisation handele, sondern um einen eingeschleusten Agenten. Für die kurdische Bewegung in Europa stand schnell fest, dass die Tat als politischer Mord klassifiziert werden müsse und die Hintermänner in Ankara zu suchen seien.

Der Täter, der sich selbst immer als Sohn eines kurdischen Vaters und einer türkischen Mutter vorstellte, stammt aus der zentralanatolischen Region Sivas in der Türkei. Familienmitglieder erklärten nach der Tat auf Nachfrage türkischer Medien, sie seien »rein türkisch« und daneben eine »nationalistische Familie«. Die Familie soll der faschistischen »Partei der nationalistischen Aktion«, kurz MHP, nahestehen, dem derzeitigen Koalitionspartner von Erdoğans AKP. Auch auf seinem alten Facebookprofil machte Güney keinen Hehl aus seinen nationalistischen Ansichten und outete sich als großer Fan der türkischen Serie »Tal der Wölfe« (türkisch: Kurtlar Vadisi), in welcher sich Agenten eines fiktiven türkischen Nachrichtendienstes durch eine Welt von mafiösen Verstrickungen, Verschwörungen und mysteriösen Geheimorganisationen schlagen.

Vor seiner Zeit in Paris war Güney gut vernetzt in der süddeutschen türkisch-faschistischen Szene. Nach Deutschland kam Güney im Jahr 2003, als er seine damalige Frau heiratete, und ließ sich zuerst im bayrischen Bad Tölz nieder. Nach der Trennung verließ er Deutschland, zog 2011 nach Paris und begann vor Ort die Strukturen der kurdischen Bewegung zu unterwandern. Es wird angenommen, dass Güney schon während seiner Tätigkeiten für türkisch-nationalistische Vereine in Deutschland vom türkischen Geheimdienst MIT angeworben wurde. So pflegte Güney einen engen Austausch mit türkischen Stellen und reiste allein im Jahr 2012 achtmal in die Türkei. Seinen Pass mit den türkischen Einreisestempeln versuchte er nach dem Attentat hinter dem Radio seines Autos zu verstecken.

Anfang Oktober 2012 soll Güney dann zu detaillierten Anschlagplanungen in die Türkei gereist sein. Ein im Rahmen der Ermittlungen zutage geförderter Geheimbefehl des MIT vom 18. November 2012 bezeichnet Güney als »Legionär« und stellte fest, dass er zur »Unschädlichmachung« von Sakine Cansız eingesetzt werden soll. Auch die französischen Behörden gingen fortan von einer Täterschaft des MIT aus, doch zu einem Prozess kam es nicht mehr. Güney verstarb am 17. Dezember 2016 im Gefängnis – einen Monat vor Prozessbeginn. Von behördlicher Seite wurde als Todesursache der langjährige Gehirntumor Güneys angegeben, doch kurdische Organisationen bezweifeln bis heute die offizielle Darstellung. So sei nicht bekannt, wo Güney begraben liege, und auch die Tatsache, dass die französischen Behörden die Ermittlungen nach Güneys Tod einstellten, gab Anlass zu Misstrauen und Zweifel.

Am 4. August 2017 gelang es einer Spezialeinheit der PKK, die zwei führenden MIT-Offiziere Erhan Pekçetin und Aydın Günel im Nordirak zu verhaften. In ausführlichen Aussagen auf Video erläuterten die beiden Top-Agenten die Hintergründe der Tat und bestätigten die Authentizität der Dokumente und aufgetauchten Tonaufnahmen, welche die Täterschaft des MIT belegten. Die französischen Behörden nahmen daraufhin die Ermittlungen erneut auf. Umso brisanter, dass die laufenden Ermittlungen zur Verschlusssache und zum Staatsgeheimnis erklärt wurden.

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