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Gemeinsam einsame Männerherzen
Der Film »Acht Berge« hätte ein sensibles Porträt einer Männerfreundschaft werden können
Fast könnte der Eindruck entstehen, ein längst und zu Recht vergessenes Kinogenre erlebe nun, dank Pandemie und Sehnsuchtssucht, ein Revival: der Bergfilm. Es ist schon auffällig, wie viele Filme im alpinen Setting letztes Jahr erschienen sind. Angefangen mit »Drii Winter«, ein Schweizer Film über eine unglückliche Liebe, über »Märzengrund«, ein Film über das Aufwachsen in einer patriarchalen Dorfeinöde, bis hin zu »Atlas«, in dem es um Freiheit und deren plötzlichen Verlust geht. Sie alle widmen sich den unterschiedlichen Sehnsüchten, Ängsten und Verfluchungen, die sich mit einem Leben in den Alpen verbinden.
Vom verkitschten Heimatfilm haben sie fast nichts übernommen. Sujets sind die unendliche Freiheit am Gipfel versus die bedrückende gesellschaftliche Enge im Tal; da geht es um körperliche Extremsituationen, die Selbstsicherheit geben, wenn man sie meistert; und da ist die eigene Sterblichkeit, die deutlich wird, schafft man es nicht mehr an die eigenen Grenzen.
Das Filmemacher*innenpaar Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch erweitert mit »Acht Berge« das Themenspektrum, indem sie die Freundschaft zweier Männer ins Zentrum ihres Bergfilms stellen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Pietro (Luca Marinelli) ist Sohn gestresster Großstadteltern, die vor dem anstrengenden Leben in Turin regelmäßig in ein kleines Bergdorf im italienischen Aostertal flüchten. Die Menschen sind anders, wenn sie in der Stadt sind, aggressiv, genervt, von außen bestimmt. Pietros Vater schreit im Turiner Berufsverkehr die Autofahrer an – in den Bergen ist er ausgeglichen, und er erklärt seinem Sohn geduldig, wie Gletscher entstehen und wie man Wanderkarten liest. Pietros Stimme aus dem Off beschreibt diese Gegensätzlichkeit sehr schön, wenn er sagt, die Tage in der Stadt ließen schnell die Kratzer und Brennnesselstiche verheilen, die braunen Beine wurden wieder blass, der Wiesengeruch verflog.
Bruno (Alessandro Borghi) wiederum ist das letzte Kind im Bergdorf Grana, in dem Pietros Familie regelmäßig Urlaub macht, und wächst bei seinem Onkel und der Tante auf, weil sein Vater, der als Maurer in Österreich und der Schweiz arbeitet, die meiste Zeit abwesend ist. Sein Alltag ist von der Landwirtschaft geprägt. Melken, ausgebüxte Kühe eintreiben, den Stall ausmisten. Für sinnlose körperliche Anstrengung wie das Bergsteigen ist sein Leben nicht gedacht. Die beiden Jungen freunden sich trotzdem an, und jeder nimmt etwas aus dem Leben des anderen mit. Vorurteile gegen die Welt des anderen haben sie nicht und das ist schon erstaunlich.
»Acht Berge«, das auf dem gleichnamigen italienischen Bestseller von Paolo Cognetti basiert und in Cannes im letzten Jahr den Preis der Jury gewann, ist ein vielschichtiger Film, der es jedoch nicht schafft, das Besondere dieser Freundschaft aus der Kindheit in die Erwachsenenwelt zu retten.
Während Pietro und Bruno zu Beginn des Filmes, da sind beide zwölf Jahre alt, noch vertrauensvoll ihr Innenleben für den anderen öffnen und sich vor dem Einschlafen über das Verhältnis zu ihren Vätern unterhalten, verliert sich die Kommunikation mit zunehmendem Alter. Gut, auch die Stille erzählt viel. So wie Bruno irritiert auf die Hand blickt, die ihm Pietros Mutter ermutigend auf die Schulter legt, während er zum Lesenüben in ihre Ferienwohnung kommt. Noch nie hat ihm wohl irgendwer Mut gemacht. Aber solche subtilen Stilmittel fehlen ab dem Zeitpunkt, da Pietro nach einer langen Abstinenz wieder in das Bergdorf zurückkehrt, nachdem sein Vater gestorben ist und ihm eine marode Berghütte vermacht hat.
Nun wird es in Groeningens und Vandermeerschs Film vorhersehbar – und das auf allen Ebenen. Als wäre mit dem Erwachsenwerden auch die Poesie aus dem Leben verschwunden. Jetzt gilt es, Erwachsenenfragen zu stellen und darauf möglichst erwachsene Antworten zu geben.
Das ungewöhnliche Bildformat 4:3, das die Vertikalität der Berge besonders betont und den Menschen zentriert, hat das Regieduo wohl nur wegen einer einzigen Szene gewählt: Pietro ist mit seinem Vater und Bruno in den Bergen unterwegs, an einer steilen Stelle müssen sie eine Gletscherspalte überwinden. Der Vater und Bruno schaffen es recht mühelos, nur Pietro bleibt am Seilende zurück und scheitert, weshalb die Seilschaft umdrehen muss. So viel könnte danach zur Beziehung zwischen Vater und Sohn, Erwartungshaltung, Druck und Selbstbestimmtheit erzählt werden. Stattdessen reicht den Filmemacher*innen der Hinweis, dass dies der letzte Tag zu dritt in den Bergen war. Diese stoische Art macht es einem schwer, wirklich nachzuvollziehen, womit die Figuren zu kämpfen haben.
Stattdessen wird in etwas hölzernen Metaphern kommuniziert. Als Pietro einen Nadelbaum umsetzen will, sagt Bruno, dass der das nicht vertrage, sondern nur da wächst, wo er ursprünglich gewurzelt hat. An einer anderen Stelle gibt Bruno Pietro den Ratschlag: Denke nicht zu viel nach, das macht dich kaputt. So etwas muss dann wohl zwischen zwei bärtigen Männern in den Bergen gesagt werden.
An Stellen wie diesen wird einmal mehr deutlich, was vielen Filmen fehlt, die aus Buchvorlagen entstanden sind: Zeit und Ideen, Sprache in Bilder zu übersetzen. Wenn Cognetti seitenlang beschreibt, wie empfindsam und grüblerisch Pietros Vater war, gefangen in der Idee vom arbeitsamen Funktionieren, aber doch ein besorgter, engagierter Vater, dann muss dafür im Film stellvertretend ein Dialog zwischen Pietro und Bruno herhalten. Da will Pietro wissen, ob in der Zeit, in der er nicht mehr mit seinen Eltern in die Berge gefahren ist, der Vater viel von ihm erzählt hat. Bruno antwortet: Nein.
Dann eben nicht. Dann wird weiter an der zerfallenen Hütte gebaut, die Pietros Vater seinem Sohn vermacht hat. Zwei im Herzen einsame Männer hauen gemeinsam vor fantastischem Bergpanorama auf ein paar Dachbalken ein. Dann kommt eine Frau dazwischen, die will erst den einen, nimmt dann den anderen, aber deren Beziehung scheitert an der stoischen Einsilbigkeit des Eigenbrödlers Bruno. Pietro, ewig auf der Suche nach sich selbst, landet in Nepal und dort endlich bei sich selbst, womit ungefähr die letzten zwei Stunden des Films zusammengefasst wären.
Statt im Klischee hängen zu bleiben, wäre es spannender gewesen zu erfahren, warum es zwischen den beiden Männern eigentlich keine Eifersucht gibt. Dabei wird der eine, Bruno, doch fast nebenbei zum Ersatzsohn des Vaters, weil dessen eigener Sohn, Pietro, beginnt, mit den Bergen zu fremdeln. Genauso hätte die Vater-Sohn-Beziehung der beiden Hauptfiguren einiges an Stoff geboten. Beide Väter wurden von einer selbst verleugnenden Pflichterfüllung getrieben, pflegten aber ein sehr unterschiedliches Verhältnis zu ihren Söhnen.
So ist »Acht Berge« ein anfangs sensibel erzähltes Doppelporträt zweier Männer, das sich mit zunehmender Filmlänge in Stereotypen verheddert und damit den Figuren am Ende wirkliche Tiefe raubt.
»Acht Berge«, Italien/Belgien 2022. Regie und Drehbuch: Felix van Groeningen und Charlotte Vandermeersch. Mit: Alessandro Borghi, Luca Marinelli, Filippo Timi, Elena Lietti. 147 Min. Start: 12.1.
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