Erbitterte Schlacht um Salzstollen

Die Lage in der ostukrainischen Bergbaustadt Soledar bleibt weiter unklar

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.

»Die Situation ist schwierig. Wir halten die Stellung bis zum Ende«, zitiert der US-amerikanische Fernsehsender CNN einen ukrainischen Soldaten, der in Soledar gegen die anrückenden Russen kämpft. Seit August 2022 versuchen Moskaus Truppen die Bergbaustadt, die zu Sowjetzeiten Karlo-Libknechtiwsk hieß, zu erobern und verwandelten den Ort mit einst 10 000 Einwohnern in einen »Fleischwolf«. »In Soledar zählt niemand die Toten«, sagt der ukrainische Soldat. Von der Stadt sei nicht mehr viel übrig, berichtet eine ältere Frau, die aus Soledar fliehen konnte.

Am Dienstagabend verkündete der Gründer der Wagner-Gruppe, Jewgenij Prigoschin, die Einnahme Soledars und veröffentlichte auf Telegram ein Video, das ihn und einige seiner Söldner in den ausgedehnten Salzstollen unter der Stadt zeigen soll, mitsamt erbeuteter ukrainischer Munition. Man habe »das gesamte Gebiet von Soledar unter unsere Kontrolle gebracht«, teilte Wagner in sozialen Medien mit und bestand darauf, dass ausschließlich die eigenen Söldner, von denen viele in russischen Gefängnissen rekrutiert wurden, Soledar erobert hätten. Für die Wagner-Gruppe wäre die Eroberung der Bergbaustadt der erste nennenswerte Erfolg im Ukraine-Krieg. Überprüfen lässt sich die Behauptung nicht, Zweifel sind jedoch angebracht. Die Lage ist sehr unübersichtlich. Kurz vor Prigoschin hatte bereits der Leiter der selbst ernannten Volksrepublik Donezk die Einnahme des Stadtzentrums verkündet.

Kiew und Moskau widersprechen Prigoschin

Kiew dementierte Prigoschins Behauptung umgehend: »Die Russen sagen, dass Soledar unter ihrer Kontrolle sei. Das stimmt nicht«, sagte der Sprecher der Ostgruppe der ukrainischen Streitkräfte, Serhij Tscherewatyj, am Mittwoch in der ukrainischen Hauptstadt und verwies auf Berichte, die der Generalstab veröffentlichen wolle. Der hatte Soledar in seinem Morgenbriefing allerdings mit keinem Wort erwähnt, was Spekulationen anheizte, Kiew könnte die Kontrolle über den Ort verloren haben. Mehrere ukrainische Quellen, darunter auch der stellvertretende Vorsitzende des Komitees für Sicherheit und Verteidigung des Ukrainischen Parlaments, Jurij Mysjahin, veröffentlichten am Mittwoch Videos ukrainischer Soldaten, die sich noch in Soledar befinden sollen.

Auch in Moskau, wo man nach Monaten voller Niederlagen und Stillstand an der Front jede Erfolgsnachricht gebrauchen kann, will niemand die Eroberung Soledars bestätigen. Aus dem Verteidigungsministerium hieß es, Luftlandeeinheiten hätten die Stadt von Norden und Süden blockiert. Das Haus von Sergej Schoigu räumte ein, dass die Kampfhandlungen in der Stadt weiter andauerten. Selbst Prigoschin sprach in einer weiteren Mitteilung davon, dass Soledar eingekesselt sei, und präsentierte eine Karte, die die vermeintliche Stoßrichtung seiner Söldner zeigt. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow wollte sich in einem Radiointerview nicht zu Aussagen hinreißen lassen. »Lassen Sie uns nichts überstürzen und die offiziellen Erklärungen abwarten«, sagte Peskow und sprach zugleich von einer »positiven Dynamik«.

Soledar ist strategisch bedeutsam

Wie die Nachbarstadt Bachmut hat auch Soledar für beide Seiten eine gewisse strategische Bedeutung. Gelangt Soledar wirklich in russische Hände, könnten die Angriffe auf Bachmut abermals intensiviert werden. Insbesondere die gut 200 Kilometer langen Salzstollen könnten nach britischen Geheimdienstangaben für die Attacke auf Bachmut genutzt werden. Eine Eroberung der Stadt bedeutet dies jedoch nicht, glauben Analysten und verweisen auf die bergige Topografie sowie darauf, dass Moskaus Truppen die ukrainischen Nachschubrouten nicht abschneiden können.

In den USA und Großbritannien hatten Geheimdienste und Medien in den vergangenen Tagen wieder spekuliert, Prigoschin würde in Soledar in erster Linie wirtschaftliche Interessen verfolgen und die Salzminen sowie Gipsvorkommen ausbeuten wollen. Der kommentierte die Berichte mit einer Packung Salz, die er demonstrativ im Bergwerk liegen ließ.

Russische Quellen sprechen hingegen davon, dass Prigoschin sich und die Wagner-Gruppe in Soledar als zuverlässigen Partner profilieren wollte, um seine Position gegenüber Kreml und Verteidigungsministerium zu stärken. Dafür habe er bis zu 30 000 Söldner geopfert, die Moskau ihm ersetzen könnte. Verifizieren lassen sich die Angaben nicht.

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