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Breaking als olympisches Battlefield
Ein Eklat in einem Breaking-Wettbewerb verschärft die angespannte Lage in Taiwan und China
Breakdance, die Tanzkunst aus der Hip-Hop-Kultur, ist in Taiwan ein großes Ding – aber bekannt ist sie hier nur unter dem Namen Breaking. »Der Begriff Breakdance ist eine Erfindung westlicher Medien«, erklärt Emma Chen, die selbst Tänzerin ist, an einem Abend in einem Hörsaal der National Taiwan Normal University in Taipeh, der taiwanischen Hauptstadt. Chen, die hier ihre Doktorarbeit über die Bedeutung des Breaking außerhalb des Ursprungslands USA schreibt, hält einen Vortrag über ihre neuesten Arbeitsfortschritte. Und berichtet nebenbei von einem kürzlichen Eklat.
»In Okinawa, in Japan, geriet das Breaking im Dezember leider an seine Grenzen«, berichtet die junge Frau. Bei der »Battle Of The Year«, so etwas wie der Weltmeisterschaft im Breaking, verließ die chinesische Mannschaft plötzlich die Halle. Denn die Vertreter aus Taiwan hatten etwas getan, das sie in den Augen ihrer chinesischen Mitbewerber niemals hätten tun dürfen: Sie hatten ihre Nationalflagge geschwenkt. »Im Breaken geht es um Respekt und Fairness«, sagt Emma Chen. Eine Tugend, die dann wohl beide Seiten, die taiwanische wie die chinesische, verletzt sahen.
Nach Auffassung des von Peking aus regierten Festlandchinas existiert Taiwan nicht als eigenständiger Staat, sondern gehört zum Territorium Chinas. Die Insel vor der chinesischen Südküste, auf der 24 Millionen Menschen leben, wird zwar eigenständig und demokratisch regiert. Aus Peking aber kommt in den vergangenen Jahren regelmäßig die Ankündigung, man werde Taiwan mit dem Festland vereinen – notfalls unter Zwang. Immer wieder patrouillieren chinesische Kriegsschiffe vor der taiwanischen Küste, Flugzeuge dringen in den Luftraum ein.
Diese angespannte politische Lage macht sich auch im Sport bemerkbar. »Privat sind die B-Boys Freunde«, sagt Emma Chen. »Die chinesischen Breaker wollten das auch nicht. Aber zwischen Freunden und Vaterland müssen sie sich für das Vaterland und Politik entscheiden. Sonst hätten sie daheim wohl große Probleme bekommen.« Breaking, was einst als Straßenkultur im New Yorker Stadtteil Bronx begann, ist zum Politikum geworden.
Denn bei der Battle of the Year, einem seit den 1990er Jahren bestehenden Turnier, schwenkten die Taiwaner jedes Jahr ihre Flagge. »Man weiß auch nicht, warum es ausgerechnet in diesem Jahr so ein Problem für China wurde. Aber die Sache mit Taiwan und China ist hier ein großes Thema«, sagt Chen. »Die Regierung Taiwans nutzt die Sache auch populistisch, so kann sie die Spannungen mit China für ihre Politik nutzen. Medien spitzen das in ihren Berichten noch zu.«
Schließlich fühlt sich Taiwan von Festlandchina bedroht. Im Jahr 1949 hatten die chinesischen Nationalisten um ihren Anführer Chiang Kai-shek den chinesischen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten verloren und flohen auf die Insel Taiwan, die sie offiziell »Republik China« nannten. International galt zunächst Taiwan als anerkannte Vertreterin Chinas – hatte den ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat inne, vertrat China bei Olympischen Spielen.
Als aber die USA ab 1972 begannen, statt Taiwan fortan Festlandchina als das »wahre China« anzuerkennen, sah sich Taiwan international isoliert. Sport galt dem zunächst diktatorisch regierten Taiwan als Ausweg. »Über die letzten Jahrzehnte wurde Sport wiederholt eingesetzt, um Taiwan auf die internationale Bühne zu bringen«, sagt Li-Hong Hsu, Professor an der National Taiwan University of Sport. »Aber China blockiert natürlich alles, solange wir uns nicht an das Ein-China-Prinzip halten, das besagt, es könne nur ein China geben. Derzeit sind wir am Tiefpunkt.«
Ab den späten 1970er Jahren, als dies anderswo weitgehend vernachlässigt wurde, veranstaltete die Insel viermal ein Fußballturnier für Frauen, lud auch Deutschland und Frankreich ein. Zuletzt sorgen Spieler im E-Sport für Aufsehen, gelten als Konkurrenten der oft führenden Südkoreaner. Bei Olympia ist Taiwan nicht im Ansatz so erfolgreich wie das größere Festlandchina, holt aber immer wieder Medaillen. Andererseits: Wegen Widerstand aus Peking kann Taiwan international weder als »Taiwan« noch als »Republik China« antreten. Seit 1984 lautet der Olympianame »Chinese Taipei.«
Alles, was mit diesem Konsens bricht, gilt als Skandal. So sagte der in China bekannte Influencer Jeddy nach dem Wettbewerb im Dezember: »Während der Probe entdeckte die chinesische Truppe plötzlich, dass eine falsche Flagge auftauchen sollte. Das chinesische Team verhandelte sofort mit den Organisatoren. Aber der anderen Seite war das egal. Und das chinesische Team zog sich entschieden zurück.« Mit der »falschen Flagge« meint der Influencer die Nationalflagge Taiwans.
Das Ganze ist umso heißer, da Breaking bei den Sommerspielen in Paris 2024 zur olympischen Disziplin wird. So forderte Huang Chih-hsiung, Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees, in einem Statement: »Die Regierung muss unbedingt mehr Mittel bereitstellen für beliebte Sportarten, die bisher zu wenig Geld haben, bei denen aber Potenzial bei Olympia besteht.« Der Vorsitzende der taiwanischen Breaking-Vereinigung hält einen Medaillengewinn in Paris für realistisch.
Im vergangenen Jahr gewann ein taiwanisches Team ein internationales Turnier in Frankreich, an dem mehr als 50 Länder teilgenommen hatten. Bei den Youth Olympic Games 2018, wie auch bei der »Battle Of The Year« im Dezember, scheiterte Taiwan kurz vorm Halbfinale. »Sie sind gut, sehr gut«, sagt Emma Chen. »Ob sie eine Medaille gewinnen, wird auch vom Bewertungssystem abhängen. Das ist noch nicht veröffentlicht worden.«
Chen betont, dass viele B-Boys und Girls den Gedanken, von Juroren bewertet zu werden, eigentlich ablehnen, weil Breaking ursprünglich kein Sport sei, der sich in Punkten messen lasse. Auch hätten viele der Taiwaner eben privat gute Beziehungen zu den Chinesen. Aber jetzt, wo das Ganze olympisch wird, ist es eben auch politisch. So wird für den Wettbewerb 2024 in Paris nicht nur in Taiwan intensiv trainiert. Auch Medien vom chinesischen Festland spekulieren darüber, wie die Chancen auf eine Medaille aussehen. Und auf eine Revanche für die jüngste Schmach von Okinawa.
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