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Grün ist die Hoffnung
An der Volksbühne Berlin entstand ein künstlerischer Ort für Sinti und Roma
Auf der Couch oder Campingstühlen sitzen die Mitglieder der Familie Schwarz und erzählen von Vergangenheit und Gegenwart des Antiziganismus. In einzelnen, statischen Bildern rückt die Kamera an sie heran, während sie von ihren schmerzhaften Erinnerungen berichten. Viele ihrer Großeltern wurden im Nationalsozialismus deportiert. Während die Zeitzeug*innen schon verstorben oder nicht aus den Lagern zurückgekehrt sind, leben die traumatischen Erlebnisse in den Erzählungen fort und kehren in antiziganistischen Beleidigungen und Gewalt auf deutschen Schulhöfen wieder.
Der reduzierte Aufbau der Dokumentation »Auf Spurensuche – von Jever nach Auschwitz« verstärkt die Zeugnisse, die Michael Telkmann und Omid Mohadjeri in ihrem intensiven Kontakt mit der Familie Schwarz gesammelt haben. »Auschwitz ist unser Friedhof und wir gehen dorthin, um unsere Verstorbenen zu besuchen und zu ehren«, erzählt Christel Schwarz. Begleitet von den Filmemachern reist der Vorsitzende des Freundeskreises der Sinti und Roma in Oldenburg in das Vernichtungslager, um im Kreis seiner Familie der Ermordeten zu gedenken. In nur vierzig Minuten porträtieren Mohadjeri und Telkmann die in Deutschland lebenden Sinti*zze und zeichnen ein bewegendes und tiefschürfendes Porträt von drei Generationen. Die vierte und fünfte bleibt in sekundärer Zeugenschaft lebendig.
Das 6. Internationale Romafestival Ake Dikhea? (Na siehst du?) warf in der diesjährigen Ausgabe einen kritischen Blick auf die Erinnerungskultur in Deutschland. Anlass war das nach kurzem Bestehen wieder bedrohte Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti*zze und Rom*nja Europas, das 2020 einer S-Bahnlinie weichen sollte. Die Anerkennung des Pharrajmos (Genozid an den Sinti*zze und Rom*nja) muss immer wieder von Neuem erkämpft werden, so gelang es auch hier durch breiten Protest den kompletten Abriss zu verhindern. Umringt von Baugruben wird das von Dani Karavan entworfene Mahnmal nun dennoch in seiner Wirkung eingeschränkt.
Neben »Spurensuche – von Jever nach Auschwitz« blickt auch die Dokumentation »Zeit des Schweigens und der Dunkelheit« auf den Nationalsozialismus und den Umgang in der BRD mit diesem Erbe. Erst dieses Jahr durfte die Dokumentation, die sich mit Leni Riefenstahls Film »Tiefland« beschäftigt, in dem die Regisseurin Rom*nja und Sinti*zze als Zwangskomparsen einsetzte, gezeigt werden. Gegen die Aussage im Film, dass sie über Auschwitz Bescheid gewusst hätte, ging Riefenstahl juristisch gegen Filmemacherin Nina Gladitz vor. Der Satz wurde daraufhin gestrichen, gezeigt wird die Dokumentation, nachdem sie 40 Jahre im »WDR-Giftschrank« begraben lag, nun doch.
Seit sechs Jahren präsentiert das Festival Arbeiten von und mit Rom*nja und Sinti*zze und schafft so eine beständige Plattform für romane Filmkunst. In Europa bleibe diese Kontinuität eine Seltenheit, stellt Hamze Bytyçi fest. Der Vorstandsvorsitzende des RomaTrial e.V. und Künstlerischer Leiter von Ake Dikhea? arbeitet daran, nachhaltige Anlaufstellen für Menschen mit Resilienzerfahrung zu schaffen.
Ein neuer Ort entsteht nun im Grünen Salon der Volksbühne in Berlin, für jene, die nicht selbstverständlich überall dazugehören, für jene, deren Alltag von antiziganistischer, antisemitischer, sexistischer oder rassistischer Gewalt geprägt ist. »Das ist zuerst ein Safe Space, der erst mal etabliert und geschützt werden sollte«, erklärt der Künstlerische Leiter. »Es ist ein Communityort, an dem sich Menschen sicher fühlen sollen«, ergänzt Veronika Patočková, die mit Bytyçi den Verein RomaTrial e.V. vor zehn Jahren gründete.
Im Grünen Salon steht ihnen ein Raum zur Verfügung, an dem sie dies erproben können. »Von diesem einzigartigen Arrangement profitieren alle Beteiligten«, betont Bytyçi. Trotzdem bleibe es schwierig, finanzielle Förderungen für ihr Anliegen zu organisieren. Der gemeinnützige Verein kann die Spielstätte der Volksbühne ohne Vorgaben oder Miete nutzen; Geld vom staatlich subventionierten Haus jenseits der übernommenen Stromrechnung erhalten sie nicht. So die Abmachung. Auf sie zugekommen waren die Dramaturg*innen Alexander Karschnia und Vanessa Unzalu Troya, die den Ort wieder einer romanen Initiative überlassen wollten, nachdem das Rroma Aether Klub Theater, das von den Brüdern Slaviša und Nebojša Marković 2006 in Berlin gegründet wurde, ihn Mitte des Jahres bespielte.
Politisches Engagement, Bildungsarbeit und kulturelle Projekte bilden die drei Standbeine der transkulturellen Roma-Selbstorganisation, die so Theateraufführungen vom Romnja in Power Theaterkollektiv, aktivistischen Initiativen wie Deutsche Wohnen und Co. enteignen und Partys selbstverständlich zusammenbringt. Besonders letztere helfen, romane Jugendliche für den Grünen Salon zu begeistern, denn hier sind sie nicht mit einer antiziganistischen Türpolitik wie in vielen anderen Berliner Clubs konfrontiert. »Junge Menschen aus der Roma-Community entdecken hier einen Ort, das Staatstheater, an den sie sonst nie gehen würden. Das liegt daran, dass sie sich vorher so gefühlt haben, als hätten sie dort nichts zu suchen«, weiß Patočková. Jetzt merkten die Jugendlichen, dass dies ein Ort für sie sei. Aber auch das Theater weiß, dass es so ein ganz neues Publikum erreicht.
Durch die Begegnung verschiedener Geschichtenerzähler*innen knüpfen sich neue musische und politische Allianzen. Ob zur gemeinsamen Jam Session beim MikroHieJazz oder in der Diskussion im »Kafana Lab« über feministische und antirassistische Zukünfte, Möglichkeiten sich selbst einzubringen, gibt es viele. Das im Dezember begonnene Format trägt den Namen traditioneller Kaffeehäuser auf dem Balkan, in denen sich die Zivilgesellschaft trifft und Mokka trinkt. Begleitet von Musik und künstlerischen Beiträgen soll dort eine neue Gesellschaft imaginiert werden.
Im Grünen Salon vervielfältigen sich die Zuschauer*innen und die erzählten Geschichten. Einzelkünstler*innen, die am Gorki Theater, dem Ballhaus Naunynstraße oder dem Theater X in Berlin sporadisch eine Bühne finden, dürfen sich hier ausprobieren. So feierte die 19-jährige Estera Sara Stan, eine Nachwuchskünstlerin aus dem Verein, im November ihr Regie-Debüt mit dem von ihr verfassten Stück »Erzählungen. Zwei Welten«. Gemeinsam mit ihrer Schwester Naomi Stan engagiert sich die in Rumänien geborene Romni in der Forumtheatergruppe »Wir sind hier!«, die mit ihrer interaktiven Stückentwicklung über Verfolgung und Diskriminierung zum Theatertreffen der Jugend eingeladen wurde. Außerdem klärt sie als Peertrainerin, ausgebildet im gleichnamigen Jugendprojekt »Wir sind hier!« des RomaTrial e.V., Gleichaltrige über Antiziganismus auf und leitet Workshops. Als Jugendliche in eigenen Projekten Verantwortung zu übernehmen, ist wichtig für sie, denn »Viele brauchen zur Motivation erst mal ein Vorbild«, sagte sie in einem Interview mit dem »kubi – Magazin für kulturelle Bildung«.
Straßensozialarbeiter, Fotograf und Filmemacher Olad Aden begleitete die jugendlichen Aktivist*innen von »Wir sind hier!«. »Amaro Film« (auf Romanes: »Unser Film«), der am 20. Januar 2023 Premiere im Grünen Salon feiert, hört seinen Protagonist*innen zu: »Wie sehen wir uns? Wie werden wir von anderen gesehen?«, fragen sich die Protagonist*innen, während sie ihren Zusammenhalt gegen räumliche Verdrängung und Antiziganismus behaupten müssen. Selbstbewusst fordern die jungen Rom*nja ihren Platz in der Gesellschaft ein. Sich Gehör zu verschaffen, bleibt eine beständige Anstrengung für sie und viele andere Aktivist*innen und Künstler*innen. Der Grüne Salon öffnet einen Raum, in dem Debatten weitergeführt und über das gemeinsame Leben diskutiert wird. Auch hier gibt es Differenzen und Unstimmigkeiten, aber alle sollen mitreden können.
Infos zu allen Projekten unter: http://romatrial.org/
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