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»Lützerath ist überall«
Hunderte beteiligen sich an verschiedenen Blockadeaktionen
Eigentlich hatte das Bündnis »Lützerath unräumbar« damit gerechnet, dass Lützerath an diesem Dienstag noch besetzt und die polizeiliche Räumung in vollem Gang ist. Der Plan des Bündnisses war es, mit möglichst vielen Menschen in der Nähe des Orts aktiv zu sein und Unterstützer*innen für die Besetzung dorthin zu bringen. Nun ist Lützerath komplett geräumt, seit die beiden Tunnelbesetzer*innen »Pinky« und »Brain« am Montag ihre unterirdische Behausung verlassen haben.
»Lützerath unräumbar« musste also einen neuen Plan schmieden. Und das hat offenbar mehr als gut funktioniert. Das Bündnis aktivistischer Klimagruppen wie Ende Gelände, Extinction Rebellion und Letzte Generation, lokalen Gruppen aus dem Rheinland wie »Alle Dörfer bleiben«, »Die Kirche(n) im Dorf lassen« und linksradikalen Zusammenschlüssen wie der Interventionistischen Linken und Ums Ganze organisierte am Dienstag zahlreiche Blockadeaktionen.
Früh am Morgen, gegen sieben Uhr, drangen etwa 50 Aktivist*innen von Ende Gelände in den Tagebau Inden ein. Inden ist das kleinste der drei Kohlelöcher im Rheinischen Revier und liegt in der Nähe des Tagebaus Hambach bei Düren. Die Aktivist*innen besetzten einen Bagger im Tagebau und machten es sich dort gemütlich. Bis zum Mittag war zwar viel Polizei eingetroffen, eine Räumung hatte aber noch nicht begonnen.
Schneller geräumt wurde eine zweite Aktion von Ende Gelände. Nach Angaben der Initiative besetzten 150 Menschen die Schienen der sogenannten Nord-Süd-Bahn. Diese werkseigene Bahntrasse von RWE versorgt das Kraftwerk Neurath mit Kohle aus den Tagebauen. Bei der Räumung Neuraths griff die Polizei wieder einmal großzügig auf die Infrastruktur des Energiekonzerns zurück. Die Aktivist*innen wurden weggetragen und in einen Bahnwaggon des Kohlekonzerns gebracht. Darin wurden sie zu einer Stelle gebracht, an der die Polizei sie leichter von der steilen Bahntrasse abführen konnte.
Charly Dietz, Sprecherin von Ende Gelände, erklärte, der Aktionstag sei als »klare Ansage« zu verstehen. »Auch wenn ihr Lützerath zerstört: Wir kämpfen weiter, bis ihr aufhört, Kohle zu verbrennen, Fracking-Gas anzulanden und Autobahnen zu bauen«, so die Sprecherin. Man gehe bewusst an die »Orte der Zerstörung« und stelle sich »den Zerstörern entgegen«. Die Auseinandersetzung um Lützerath habe dazu geführt, dass »ein großer Zusammenhalt aller entstanden« sei, die »für Klimagerechtigkeit kämpfen«. Mit den Aktionen zeige man: »Ab jetzt ist Lützerath überall«, so Dietz.
Überall, das ist an diesem Dienstag auch im Norden von Lützerath bei Wanlo. Zwei größere Gruppen der Letzten Generation und »Kohle ersetzen« setzten sich auf Zufahrtsstraßen zum Tagebau Garzweiler II. »Wir sind heute hier, weil die Kohle unter Lützerath im Boden bleiben muss«, erklärte Johanna Inkermann, Pressesprecherin von »Kohle ersetzen«. Jede Tonne Kohle, die abgebaut werde, sei eine zu viel. »Deswegen blockieren wir mit unseren Körpern den Betrieb des zerstörerischen Tagebaus«, sagt Inkermann. Bei der Blockade habe man lange dafür sorgen können, dass keine Lkw mehr in den Tagebau fahren konnten.
Unschöne Szenen gab es im Westen von Lützerath. Teilnehmer*innen einer Demonstration die an dem ehemals besetzten Dorf vorbeiführte, brachen aus der angemeldeten Demonstrationsroute aus und versuchten, über Felder in Richtung Lützerath zu laufen. Die Polizei setzte Pfefferspray gegen die Aktivist*innen ein. Eine Kleingruppe die es bis in die Nähe der Abbruchkante des Tagebaus geschafft hatte wurde von der Polizei eingekesselt. Unter den Demonstrant*innen befand sich auch die bekannte schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Protestiert wurde an diesem Dienstag aber nicht nur im Rheinischen Revier. Am Morgen schütteten Mitglieder der Gruppen Scientist Rebellion und Extinction Rebellion Kohle vor der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin aus und blockierten kurzzeitig deren Eingang. Die Aktion in Berlin blieb nicht die einzige Blockade einer Einrichtung des Landes Nordrhein-Westfalen. In Düsseldorf blockierten 15 Mitglieder von Extinction Rebellion den Eingang des Innenministeriums. Drei von ihnen klebten sich an eine Eingangstür. Neben dem Erhalt von Lützerath forderten sie den Rücktritt von NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). Dieser sei für »Polizeigewalt gegen friedliche Aktivist*innen« während der Demonstration am vergangenen Samstag verantwortlich. Legitimer Protest sei von Reuls Polizei »auf brutale Weise« beendet worden.
Über den Polizeieinsatz am Samstag gibt es weiterhin eine politische Kontroverse. Während Reul sich bestätigt sieht, da kein Krankenhaus im Rheinland lebensgefährlich verletzte Demonstrant*innen meldete, hat die Gruppe »Lützerath lebt« neue Zahlen vorgelegt. Mindestens zehn Menschen hätten sich wegen Knochenbrüchen gemeldet. Über 115 seien getreten oder geschlagen worden. Vielfach sei der Schlagstock eingesetzt worden. »Lützerath lebt« geht davon aus, dass viel mehr Menschen Polizeigewalt erlitten haben. Man habe nur wenige Stunden lang Berichte erfassen können und viele Teilnehmende hätten von der Erfassung wohl nicht erfahren.
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