• Politik
  • Missbrauch in der katholischen Kirche

Erzbistum bewegt sich langsam

Beratungsstelle für Betroffene sexueller Gewalt berichtet von zahlreichen Anfragen

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein Jahr nach der Veröffentlichung des zweiten Gutachtens zu Fällen von sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising hat Kardinal Reinhard Marx am Dienstag in München eine Bilanz der kirchlichen Maßnahmen gezogen. Aufarbeitung und Vorbeugung blieben »zentrale Aufgaben der Kirche«, so der Erzbischof. In der seit Juli eingerichteten Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch sind seit Juli 2022 an die 100 Anrufe eingegangen, die Hälfte davon bezogen sich auf sexuellen Missbrauch in der Kirche. Betroffene hatten im Vorfeld der Pressekonferenz das Anerkennungsverfahren kritisiert. Für sie sei zudem völlig unklar, warum sie in welcher Höhe Entschädigungen erhielten, so Richard Kick, Sprecher des Betroffenenbeirats der Erzdiözese.

Das vor einem Jahr vorgestellte Gutachten hatte den Umgang der Verantwortlichen im Erzbistum München und Freising mit Fällen von Missbrauchsverdacht durch kirchliche Mitarbeiter seit 1945 zum Thema. Demnach hätten sich mehrere Verantwortliche in der Leitung des Erzbistums über Jahrzehnte im Umgang mit Missbrauchsfällen falsch verhalten und somit »Beihilfe zum sexuellen Missbrauch« geleistet. Namentlich genannt wurden Kardinal Marx sowie seine beiden Amtsvorgänger Friedrich Wetter und der jüngst verstorbene Joseph Ratzinger. Marx etwa habe in drei Fällen rechtsfehlerhaft oder zumindest unangemessen gehandelt, als ihm Missbrauchsverdachtsfälle bekannt wurden.

Der Kardinal bat nun auf der Pressekonferenz »nochmals um Entschuldigung«, das größte Defizit der Kirche sei, dass »die Perspektive der Betroffenen« zu wenig berücksichtigt worden sei. Die Verteidigung der eigenen Institution und das Vertuschen der Missbrauchsfälle war jahrzehntelange Praxis der katholischen Kirche, während den Opfern sexueller Gewalt kaum Gehör geschenkt wurde.

Eine der Konsequenzen aus diesen Vorfällen war die Einrichtung einer Anlauf- und Beratungsstelle für Betroffene von sexuellem Missbrauch in der Erzdiözese. Deren Leiter Pfarrer Kilian Semel ist selbst Betroffener von sexualisierter Gewalt, er wurde als Kind von seinem Heimatpfarrer missbraucht. Er berichtet über die Praxis der Anlaufstelle: Von den 100 Anrufern seit Juli vergangenen Jahres seien jeweils zur Hälfte Frauen und Männer, das Alter bewege sich vor allem zwischen Anfang 40 und Anfang 80 – viele Taten seien in den 1950er und 1960er Jahren geschehen. Nach dem alten Entschädigungsverfahren, das vor 2021 galt, zahlte die Erzdiözese in 53 Fällen Anerkennungsleistungen – in der Regel 5000 Euro, den Höchstbetrag. Nach dem neuen Verfahren wurden 54 Anträge gestellt, von denen 48 entschieden wurden. Die höchste Entschädigung betrug 50 000 Euro. Semel ist auch Mitglied im Betroffenenbeirat. Dort wünschen sich viele nach wie vor eine persönliche Entschuldigung durch Kardinal Marx, habe dieser nach der Veröffentlichung des Münchner Gutachtens doch betont, dass er sich in der institutionellen Verantwortung sehe.

Der Umgang der ehemaligen Münchner Erzbischöfe mit Missbrauchsfällen beschäftigt weiter die Justiz: So hat Andreas Perr, der nach eigener Aussage als Zwölfjähriger in Garching an der Alz von dem Priester Peter H. missbraucht wurde, eine Schadensfeststellungsklage beim Landgericht Traunstein eingereicht. Dabei geht es darum, ob die ehemaligen Münchner Erzbischöfe für den Schaden grundsätzlich haftbar zu machen sind, den ihre Priester durch sexuellen Missbrauch Minderjähriger angerichtet haben, auch wenn die Taten strafrechtlich verjährt sind. In der Pressekonferenz hieß es, man äußere sich nicht zu laufenden Verfahren.

Was hat die Erzdiözese neben der Einrichtung der Beratungsstelle noch für Konsequenzen gezogen? In mehreren Veranstaltungen wurden Betroffene angehört, es gab ein Kunstprojekt und einen Tag der Begegnung mit Betroffenen. In der Gemeinde Unterwössen, wo ein Priester vor Jahrzehnten Kinder und Jugendliche missbraucht hatte, wurde ein eigener Gedenkort eingerichtet, der an den Missbrauch und das Leid der Opfer erinnern soll. Zudem wurde der Bereich Vorbeugung weiter ausgebaut, es gibt ein für alle Priester und pastorale Mitarbeiter verpflichtendes E-Learning-Programm sowie Schulungen in den Kindertagesstätten und an Schulen.

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