Den Kanal voll mit Sediment

Sanierungsprogramm schützt das Oderbruch vor Binnenhochwasser

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

»Der Deich an der Oder, der ist sicher. Nur bröckelt uns langsam dahinter die Infrastruktur weg«, beklagt Detlef Schieberle. »Wir haben einen guten Deich, aber wir werden im Ernstfall nicht mehr herankommen«, beklagt der parteilose Bürgermeister von Reitwein den Zustand bestimmter Zufahrten. Sein Amtskollege Michael Böttcher aus Letschin, ebenfalls parteilos, erklärt: »Wir sind sehr sensibel, wenn unserer Landschaft Gefahr droht.«

In den Jahren 2008, 2010 und 2011 wurde das Oderbruch von Binnenhochwassern heimgesucht. Landwirte konnten ihre abgesoffenen Felder nicht beackern und das Wasser lief auch in Gehöfte hinein. Dabei ist die Trockenlegung des Oderbruchs in den Jahren 1747 bis 1753 eine gewaltige Leistung, mit der 32 500 Hektar Land urbar gemacht wurden und Platz für 33 neue Dörfer geschaffen wurde, in denen sich Kolonisten niederließen. »Hier habe ich im Frieden eine Provinz erobert«, rühmte sich der preußische König Friedrich II. für etwas, das tatsächlich allerdings 1600 Arbeiter unter Leitung des holländischen Experten Simon Leonhard von Haarlem vollbracht hatten. Das Oderbruch erhielt nicht umsonst kürzlich das Siegel als europäisches Kulturerbe.

Doch das Oderbruch trocken zu halten, fordert immer neue Anstrengungen. Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) informiert sich am Dienstagmorgen am Quappendorfer Kanal darüber, was seit 2009 im Rahmen eines Sonderprogramms am Grabensystem im Oderbruch schon geleistet wurde. 25,8 Millionen Euro kosteten die Maßnahmen insgesamt. In etlichen Kanälen hatte sich Sediment abgesetzt und emsige Biber beschädigten die Böschungen. Es entstanden Engstellen, an denen Regenwasser nicht schnell genug in die Oder abfließen konnte und über die Ufer trat. Um dem abzuhelfen, wurden Gräben ausgebaggert und ausgebessert, aber auch gegen neue Beschädigungen gesichert.

Allein am Quappendorfer Kanal seien 1200 Quadratmeter Biberschutzgitter verlegt worden, erläutert Katrin Blume vom Landesumweltamt. Nebenher gab es noch archäologische Grabungen wegen eines entdeckten Bodendenkmals. Gefunden wurden bei den Bauarbeiten jedoch auch 13 alte Granaten und vier Raketen. Bei ihrem Vormarsch auf Berlin waren im Zweiten Weltkrieg sowjetische Truppen durch das Oderbruch gezogen und hatten sich heftige Kämpfe mit der faschistischen Wehrmacht geliefert, die vergeblich versuchte, Berlin abzuriegeln und den Untergang des Naziregimes weiter hinauszuzögern.

Die 3,9 Millionen Euro teuren Bauarbeiten am Quappendorfer Kanal seien im Dezember abgeschlossen worden, berichtet Blume. »Aber wir müssen noch die Ersatzmaßnahmen machen.« Für gefällte Bäume und ausgerissene Sträucher werden anderswo neue gepflanzt – konkret sind es 210 Bäume und 1218 Sträucher.

»Der Quappendorfer Kanal ist bereits auf Schmettauschen Karten von Siebzehnhundertsoundsoviel eingezeichnet«, berichtet Frank Krüger, der sich als Referatsleiter im Landesumweltamt mit der Materie auskennt. Krüger zeigt über den Kanal hinweg auf den Kietzer See, der sich von hier aus nach Süden bis zum Flugplatz Neuhardenberg erstreckt. Dort waren, als der Ort noch Marxwalde hieß, die Regierungsstaffel der DDR und zwei Jagdfliegergeschwader stationiert. Dort diente in seinen jungen Jahren der Pilot Sigmund Jähn (1937-2019), der weltberühmt wurde, als er als Kosmonaut und erster Deutscher am 26. August 1978 mit dem sowjetischen Raumschiff Sojus 31 ins Weltall startete.

Krüger erklärt, der Kietzer See sei ursprünglich ein Altarm der Oder gewesen. Heute bereitet ihm das Gewässer Kopfschmerzen, weil der Wasserspiegel höher liegt als der Quappendorfer Kanal, was nicht zu übersehen ist. Der Damm zum Kanal hin sei nicht im besten Zustand, bedauert Krüger. Auch hier machen sich immer wieder Biber zu schaffen. Bricht der Damm, würde eine Million Kubikmeter Wasser aus dem See strömen – »mit erheblichen Auswirkungen für das Oderbruch«. Der Pegelstand des Kanals betrage vier Meter über Normalnull, der Pegel der Oder im Moment 8,30 Meter. »Das zeigt, wie brisant die Situation ist. Ohne unsere Hochwasserschutzmaßnahmen hätte man hier keine großen Siedlungsmöglichkeiten.« Die Oder ist 14 Kilometer Luftlinie entfernt, die Mündung des deutsch-polnischen Grenzflusses in die Ostsee rund 200 Kilometer. Dass das hiesige Gelände so tief liege, sei das nicht zu beseitigende Hauptproblem des Oderbruchs, erläutert der Referatsleiter. Am Rückstau aus der Ostsee lasse sich kaum etwas ändern. Dabei werde sich die Lage mit dem Klimawandel noch verschärfen. Sicher sei, dass wegen der globalen Erderwärmung Eis an den Polkappen schmelze und die Meeresspiegel stiegen. Davon sei auch die Ostsee betroffen. Man wisse nur noch nicht genau, in welchem Maße. In diesem Lichte sei über Maßnahmen zum Hochwasserschutz noch einmal nachzudenken.

Die Deiche an der Oder sind für ein Hochwasser ausgelegt, wie es statistisch nur alle 200 Jahre vorkommt. Die Deiche an der Schwarzen Elster in Südbrandenburg reichten vielleicht nicht einmal überall für eine Flut pro Jahrhundert, erzählt Umweltminister Vogel. Diese Situation an der Schwarzen Elster sei auch der Grund, warum 2019 noch unter seinem Amtsvorgänger Jörg Vogelsänger (SPD) eine neue Wasserrahmenrichtline erlassen worden sei, versucht Vogel dem Misstrauen im Oderbruch zu begegnen. Für Oder und Elbe hätte es der Richtlinie nicht bedurft. Da hätte der Hinweis genügt, dass die lange bekannte Norm für die Dimensionierung beispielsweise der Deiche gelte. »Es ist eins zu eins eine DIN-Norm, nicht mehr und nicht weniger«, beteuert Vogel.

Das beruhigt die Gemüter etwas. Enstünden neue Zweifel, könnte es wieder Mahnwachen geben, warnt Letschins Bürgermeister Böttcher. Gegenwärtig genügen die Mittel des Landes für die Gewässerunterhaltung. Es kam zuletzt sogar vor, dass nicht alles ausgegeben wurde. Ein einziger Graben, um die Ortschaft Manschnow, müsse noch gemacht werden, bilanziert der Golzower Bürgermeister Frank Schütz (CDU). Das wirft aber auch die neue Sorge auf, was wird, wenn das Sonderprogramm ausläuft. Die ehrenamtlichen Bürgermeister wünschen sich Kontinuität bei der Instandsetzung. Sie wünschen sich einen Oberbruchbeauftragten als Ansprechpartner, eine Fachperson, die ihre Nöte versteht. Gern könnte dazu Referatsleiter Thomas Krüger ernannt werden, schlagen sie vor.

Der Minister nimmt die Anregung mit. Er muss nun los zur Sitzung des rot-schwarz-grünen Kabinetts in Altlandsberg. Die Sonne bricht durch dunkle Wolken hervor, aber später regnet es auch noch. Aus dem Kietzer See strömt Wasser kontrolliert durch zwei Betonröhren in den Quappendorfer Kanal.

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