Spuren des Unrechts

Knochen in der Zoologischen Sammlung stammen wahrscheinlich aus Kolonien

Ein Oberarm und ein Unterkiefer – die beiden Menschenknochen gehören wohl zu den eher unscheinbaren Objekten in der Zoologischen Sammlung des Instituts für Biologie an der Freien Universität, die auch Präparate zahlreicher exotischer Wildtiere umfasst. Es mehren sich aber die Zeichen, dass die zwei menschlichen Überreste eine dunkle Vorgeschichte haben: Mit großer Wahrscheinlichkeit stammen sie aus den deutschen Kolonien, von wo sie geraubt wurden. Das zeigen die ersten Ergebnisse eines Provenienzforschungsprojekts, die am Dienstagabend vorgestellt wurden.

»Biologie und Rassismus sind historisch eng verbunden«, sagt Vanessa Hava Schulmann zu Beginn der Veranstaltung. Die Masterstudentin und Tutorin hatte das Provenienzprojekt angeregt und leitet es heute. Provenienzforschung ist die Suche nach der Herkunft von in der Wissenschaft verwendeten Untersuchungsobjekten. Schulmann und ihr Team haben 20 menschliche Überreste in der Zoologischen Sammlung identifiziert. An Markern sei erkennbar, dass zwei von ihnen aus der »S-Sammlung« des Biologen und Anthropologen Felix von Luschan stammen. Von Luschan hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Überreste von etwa 5000 Menschen nach Berlin gebracht, ein Großteil stammte aus den deutschen Kolonien in Ostafrika und dem Pazifikraum.

Bei einem der zwei Knochen sei bereits zweifelsfrei geklärt, dass er nicht aus Europa stamme. Im Fall des zweiten ließe zumindest die Herkunft aus der »S-Sammlung« auf einen Unrechtskontext schließen. Auch bei den anderen 18 menschlichen Überresten sei nicht auszuschließen, dass sie aus Kolonien geraubt wurden. »Erst mal sollte jedes Objekt unter Verdacht stehen«, sagt Schulmann. Denn nur eine Minderheit der Knochen stamme gesichert von Menschen, die ihren Körper freiwillig der Wissenschaft zur Verfügung gestellt haben.

Die Zoologische Sammlung an der FU wurde 1949 gegründet. »Koloniale Einflüsse waren in der Nachkriegszeit noch sehr präsent«, so Schulmann. An den Überresten sei in der Vergangenheit geforscht worden, bevor sich die Humanbiologie von der Anatomie weg und hin zur Molekularebene orientierte. In der Lehre seien die Knochen bis 2021 weiter eingesetzt worden, etwa um Unterschiede zu anderen Primaten darzustellen.

Was soll nun mit den Knochen aus den Kolonien geschehen? Zunächst wurden sie dem Museum für Vor- und Frühgeschichte übergeben. Dort lagert auch die restliche »S-Sammlung«. Hier soll weitere Recherche die genaue Herkunft klären. Bevor aber invasive Untersuchungen etwa durch Probenentnahmen erfolgen, will das Projekt von Betroffenengruppen die Zustimmung einholen. »Am Ende sollte alles zurückgegeben werden«, sagt Isabelle Reimann. Die Ethnologin beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit geraubten Objekten. Dazu sei die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen ebenso wichtig wie der Dialog mit den Herkunftsländern. Auf keinen Fall, so der Zoologe Alexander Lieven aus dem Publikum, solle man die Gebeine auf eigene Faust beerdigen. So würde man sich die Möglichkeit verbauen, sie zurückzugeben. Bis dahin sollte man sie »ethisch vertretbar konservieren«.

Wie lang sich ein solcher Prozess ziehen kann, macht Mnyaka Sururu Mboro deutlich. Er engagiert sich bei der Initiative Berlin Dekolonial. In seiner Kindheit in Tansania habe ihm seine Großmutter häufig Geschichten aus der deutschen Kolonialzeit erzählt. Auch von einem großen Aufstand, der niedergeschlagen wurde. Die Anführer seien enthauptet worden. »Oma sagte, dass die Köpfe nach Deutschland gebracht wurden«, so Mboro. Als er selbst für ein Ingenieursstudium nach Deutschland kam, habe er angefangen, Nachforschungen anzustellen.

Gemeinsam mit Unterstützern habe er dann Anfragen an deutsche Institutionen gestellt, um die Gebeine und geraubten Gegenstände wieder überführen zu können. »Bei der Raubkunst hatten wir teilweise Erfolg, aber bei den Knochen war es viel schwieriger«, so Mboro. Erst habe es Probleme bei der Identifizierung gegeben, dann habe eine offizielle Anfrage der tansanischen Regierung gefehlt. Über Jahre ziehe sich der Prozess so schon hin.

Häufig fragten ihn Menschen, warum er sich so sehr mit den über hundert Jahre alten Knochen beschäftige, so Mboro. »Wir wollen unsere Toten nach unseren Traditionen begraben«, begründet er. In Tansania gebe es auf einem Friedhof sogar Gräber, die extra freigehalten werden. »Wir schulden ihnen eine Beerdigung«, so Mboro. Für Isabel Reimann geht es auch um das Selbstbild der Wissenschaft. Häufig werde die Geschichte der Wissenschaft als Abfolge von Erfolgen dargestellt. »Man muss eine andere Geschichte erzählen können, bei der es auch um Fehler und Selbstreflexion geht«, so Reimann.

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