- Berlin
- Verdrängung
Giovanna bleibt nicht
Einigung vor Gericht besiegelt Wohnungsverlust gegen Ausgleichszahlung
Etwa 30 Menschen stehen vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit einem Banner »Eigentum macht hässlich« und einigen Schildern. »Giovanna muss bleiben«, steht auf einem davon. Die Demonstrierenden sind an diesem Donnerstagvormittag zur Unterstützung von Giovanna zusammengekommen, weil der 67-jährige Rentnerin ihre Mietwohnung in Kreuzberg gekündigt wurde. Die meisten davon beobachten im Anschluss die Vergleichsverhandlung, in der sich Eigentümer und Mieterin schließlich auf den Auszug Giovannas bis Jahresende und eine Zahlung an sie von 30 000 Euro einigen.
»Ich will eigentlich dableiben, aber am Ende schmeißen sie mich so oder so raus«, sagt Giovanna »nd« nach der Verhandlung. Ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen. Schon seit 37 Jahren wohnt sie in der 50 Quadratmeter großen Wohnung in der Manteuffelstraße 51 zwischen Landwehrkanal, Kottbusser Tor und Görlitzer Park. Ihr Mietvertrag wurde im Sommer 2021 gekündigt, weil der neue Eigentümer seinen Sohn dort unterbringen will. Auf die Einigung vor Gericht habe sie sich eingelassen, weil sie das Geld dringend brauche, um eine neue Wohnung zu finden und umzuziehen.
»Wo soll Giovanna hin? Sie sucht verzweifelt, aber findet nichts in der Nachbarschaft«, so Carola Rönneburg von der Initiative Gloreiche Nachbarschaft zu »nd«. Die Initiative unterstütze Giovanna, aber bei Eigenbedarfsklagen hätten die gekündigten Mieter*innen kaum eine Chance, so Rönneburg. Das bestätigt auch Giovannas Anwalt Benjamin Hersch. »Es gelingt nur selten, Gerichte davon zu überzeugen, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben ist«, sagt er. Wenn das Gericht den Eigenbedarf als gültig anerkenne, könne der Wohnungsverlust von Mieter*innen rechtlich nicht verhindert werden. »Die Gesetzeslage ist diesbezüglich schlecht«, so Hersch.
Weil die Kündigung Giovannas nur wenige Monate nach dem Eigentümerwechsel stattgefunden habe, geht Rönneburg davon aus, dass der Eigenbedarf schon beim Kauf geplant gewesen sei. Dieses Vorgehen findet Rönneburg prinzipiell moralisch verwerflich. »Er hätte auch eine unbewohnte Wohnung für seinen Sohn kaufen können. Die finanziellen Mittel dafür dürfte er haben«, sagt sie.
Auf »nd«-Anfrage zeichnet der Vermieter, der seinen Namen nicht öffentlich machen will, ein anderes Bild. Er habe die Wohnung als Altersvorsorge gekauft und damals noch nicht gewusst, dass sein Sohn in Berlin studieren wollen würde. »Ich hatte damals guten Kontakt mit der Mieterin und ihr mitgeteilt, dass sie sich mit dem Auszug Zeit lassen könne, bis sie eine neue Wohnung gefunden habe«, so der Eigentümer. Er freue sich über die Einigung mit Giovanna. »Ich möchte wirklich, dass sie mit dieser Lösung auch zufrieden ist«, sagt er. Er fühle sich zu Unrecht durch die Nachbarschaftsinitiativen zu einem Sündenbock für die Berliner Wohnungskrise gemacht.
Giovanna ist derweil nicht die einzige Person in der Manteuffelstraße 51, die der Verdrängung durch Eigentümer*innen ausgesetzt ist. Einer ihrer Unterstützer, Matthias, erzählt, dass auch er vor kurzem ein Kündigungsschreiben der neuen Eigentümerin erhalten habe. »Sie hatte auch mir die Wohnung vorher zum Kauf angeboten, für 360 000 Euro«, sagt er »nd«. Das habe er nicht bezahlen können und so drohe auch ihm der Wohnungsverlust.
Rönneburg erzählt, dass ganze Familien von Kündigungen im selben Haus betroffen seien, immer durch unterschiedliche Eigentümer*innen. Wie zum Beispiel auch das Bündnis Zwangsräumung verhindern feststellt, sind in den vergangenen Jahren Eigenbedarfskündigungen in Berlin stark angestiegen. Die Zahlen an Umwandlungen von Miet- zu Eigentumswohnungen seien im ganzen Bezirk sehr hoch, so Rönneburg. Gloreiche Nachbarschaft habe vor kurzem aktuelle Mietpreise recherchiert und schockiert festgestellt, dass keins der Mitglieder eine Wohnung im Kiez finden würde, weil alles entweder Eigentum oder viel zu teuer sei, sagt sie. Noch sei die Gegend um das Kottbusser Tor und den Görlitzer Park zwar eher »laut und abgerockt«, sagt Rönneburg, aber das werde sich vermutlich rasant ändern, »in dem Maße, wie hier die Mieter*innen rausfliegen«.
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