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Kampf um Kampfpanzer
Was folgt, wenn Olaf Scholz der Lieferung der Angriffswaffen an Kiew zustimmt?
Während US-Verteidigungsminister Lloyd Austin noch über dem Atlantik schwebte, um pünktlich zum Treffen mit seinem gerade vereidigten deutschen Amtskollegen Boris Pistorius (SPD) in Berlin zu sein, überschlugen sich dort die Ereignisse. Bundeskanzler Olaf Scholz, hieß es, habe bei einem Telefonat mit US-Präsident Joe Biden die Bereitschaft signalisiert, Leopard-2-Panzer in die Ukraine zu senden oder zumindest Lieferungen Dritter nicht mehr im Wege zu stehen. Allerdings nur, wenn die Vereinigten Staaten ihre Abrams-Tanks in den Krieg schickten.
Beim Versuch, den Westen und vor allem Deutschland nicht als Kriegspartei erscheinen zu lassen, hat Scholz so seine wohl letzte »Verteidigungslinie« bezogen. Er hofft vor dem Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein an diesem Freitag auf Washingtons Ablehnung. Denn der Einsatz von Abrams-M1-Panzern ergibt militärisch keinen Sinn. Schon jetzt ist die Ukraine mit Waffensystemen verschiedenster Herkunft vollgestopft. Nachdem der Westen nahezu alles, was an Material aus sowjetischer Produktion zu erlangen war, geliefert hat, versucht die Nato nun, bei der weiteren Aufrüstung mit westlichem Gerät halbwegs Ordnung reinzubringen.
America First, Deutschland dann vielleicht
Die Kalkulation von Scholz könnte aufgehen. Ned Price, Sprecher des US-Außenamts, erklärte am Mittwochabend: »Wir wollen unseren ukrainischen Partnern keine Systeme aufbürden, die sie nicht nutzen können.« Und Verteidigungsstaatssekretär Colin Kahl sekundierte: Der Abrams-M1 sei teuer und es sei schwer, Besatzungen für seinen Einsatz zu schulen. Außerdem fresse sein Triebwerk »etwa drei Gallonen Kerosin pro Meile«.
Die USA werden indes in Ramstein ein neues Waffenpaket für die Ukraine vorstellen. Es enthält zusätzliche Artilleriesysteme sowie Munition. Das ist eine US-Domäne. Taktische Raketensysteme, die bis tief hinter die russischen Linien auf der Krim oder im Donbass wirken können, sind dem Vernehmen nach nicht dabei. Statt der 60 Tonnen schweren Abrams-Kolosse will man 100 schnelle »Stryker«-Radpanzer schicken.
Der ukrainische Präsident bescheinigt dem Westen derweil immer häufiger Zögerlichkeit bei Waffenlieferungen. Aktuell gehe es darum, einer neuen russischen Mobilmachung zuvorzukommen, sagte Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch. Auch die US-Regierung glaubt, dass die Ukraine demnächst versuchen wird, »die Dynamik auf dem Schlachtfeld zu ändern«. Dafür geeignet und im Grunde auch verfügbar sind die »Leos«. Sie lassen sich mit den 40 versprochenen deutschen Marder- und den 50 US-amerikanischen Bradley-Schützenpanzern in kampfstarken mechanisierten Brigaden zusammenfassen.
Kiew beklagt westliches Zögern
Noch am Mittwoch hatte Kanzler Scholz beim Weltwirtschaftsforum in Davos zum Panzerthema geschwiegen, als er über die umfangreiche deutsche Hilfe für die Ukraine referierte. Damit brachte der SPD-Mann das Blut vieler westlicher Kollegen wieder einmal in Wallung. Auch das von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der verkündete umgehend, was er vom Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe in Ramstein erwarte: »mehr schwerere Waffen und mehr moderne Waffen« für Kiew.
In Davos saß neben Stoltenberg Andrzej Duda auf dem Podium. Polens Präsident hatte bereits vor Tagen verkündet, sein Land wolle der Ukraine eine komplette Kompanie Leopard-2-Panzer liefern, wenn das Herstellerland Bundesrepublik endlich grünes Licht gebe. Für den Fall haben auch andere Nato-Staaten wie Finnland und Dänemark Lieferbereitschaft angekündigt.
Großbritannien, nach den USA und Deutschland drittgrößter Waffenlieferant der Ukraine, hatte vor Wochenfrist verkündet, 14 Challanger-2-Kampfpanzer zu schicken. Militärisch ist das kaum relevant. Politisch jedoch war die Nachricht als eine Art »Türöffner« für Deutschland gedacht. Der Trick hatte schon einmal funktioniert, als Frankreich der Ukraine Anfang Januar die Lieferung von AMX-Panzern zusagte. Danach gab Berlin über Nacht bekannt, man werde Kiew »etwa 40« Marder-Schützenpanzer bereitstellen.
Der Druck auf Scholz wird größer
Beim Thema Leopard ging Scholz bislang nicht auf die lauter werdenden Forderungen ein. Doch der Druck auf ihn wächst, nicht nur vonseiten der Opposition, sondern auch von den Koalitionspartnern Grüne und FDP. Selbst in den Reihen der SPD gibt es mittlerweile etliche Befürworter. Und Experten, von denen man eigentlich Ideen für politische Lösungen zur Eindämmung des Krieges erwartet, stimmen ein. So kritisierte Christoph Heusgen, Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz: »Wenn wir sehen, welches schreckliche Leid die Russen anrichten in den besetzten Gebieten, dann besteht beim Thema Kampfpanzer auch eine moralische Verpflichtung.« Denn Präsident Wladimir Putin verstehe »leider nur die Sprache der Härte«.
Putin wie auch sein Außenminister Sergej Lawrow stimmten die eigene Bevölkerung derweil ihrerseits auf noch größere Opfer ein. Der Kremlchef bereitet die »russische Seele« auf einen neuen »Vaterländischen Krieg« vor. Am Mittwoch besuchte Putin bei St. Petersburg den Almas-Antei-Konzern, um die Herstellung neuer Raketen anzukurbeln. Vor allem aber erinnerte er auf einer Gedenkveranstaltung daran, dass die Rote Armee vor genau 80 Jahren den faschistischen Blockadering um seine Heimatstadt Leningrad sprengen konnte. Zuvor waren eine Million Menschen, unter ihnen Putins älterer Bruder, elend gestorben, die meisten verhungerten.
Putin und Lawrow setzen ihre Propaganda fort
Und während Putin Blumen niederlegte, öffnete Lawrow in Moskau propagandistische Abgründe, indem er Aktionen der USA zur Bildung einer Koalition gegen Russland mit der Politik Adolf Hitlers verglich. Der habe versucht, die »jüdische Frage« endgültig zu lösen, und nun wollten Washington und die EU die »russische Frage« endgültig lösen.
Vor dem Treffen der wichtigsten Unterstützer Kiews in Ramstein tagte in Brüssel zwei Tage lang der Nato-Militärausschuss. Dort räumte Stoltenbergs Vize Mircea Geoană ein, dass auch das nordatlantische Bündnis nicht mit einem baldigen Ende des russischen Angriffskrieges rechnet. 2023 werde deshalb ein »schwieriges Jahr«. Glaubt man Dmitri Medwedew, könnte das Jahr auf wenige Augenblicke zusammendampfen. Denn, so drohte der Vizechef des russischen Sicherheitsrates auf seinem Telegram-Kanal mit Blick auf die erwarteten Kampfpanzerlieferungen des Westens an Kiew: »Die Niederlage einer Atommacht in einem konventionellen Krieg kann den Beginn eines Atomkriegs nach sich ziehen.«
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