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Wasserstoff oder Sprit
Algen und Bakterien können auch das gefragte Gas liefern. Effizienter allerdings ist bisher die Biomasseproduktion
Was 30 Jahre Diskussion über den drohenden Klimawandel nicht schafften, scheint nun der Krieg in der Ukraine in Gang zu bringen: Sonne, Wind und Energie aus Biomasse gelten plötzlich als »Freiheitsenergien«. Allerdings zeigt sich beim genaueren Hinsehen, dass selbst eine grüne Regierungsbeteiligung kurzfristig nur die geografische Herkunft fossiler Energieträger verändert: statt Erdgas aus Russland nun eben aus den USA oder Katar. Selbst die verpönte Braunkohle wird da plötzlich zum kleineren Übel. Und die neu zu bauenden Hafenanlagen für den Import von Flüssiggas auf dem Seeweg versucht man als Brückenschlag für künftigen grünen Wasserstoff aus Afrika und dem Nahen Osten anzupreisen. Denn Wasserstoff aus umweltfreundlichen Quellen soll künftig bei all jenen Anwendungen eingesetzt werden, für die Wind- und Solarstrom nicht verwendet werden können. Das Spektrum solcher Anwendungsfelder reicht von der chemischen Industrie über die Metallurgie bis hin zur Luftfahrt.
Aktuell jedoch stammt nur ein Bruchteil des in Deutschland produzierten Wasserstoffs tatsächlich aus solchen grünen Quellen. Der Löwenanteil ist faktisch fossil, er wird aus Erdgas hergestellt. Der sehr kleine grüne Rest wird mit Strom aus Solar- und Windkraftwerken durch elektrolytische Wasserspaltung erzeugt. Moderne Elektrolyseure setzen etwa 70 Prozent der Elektroenergie in Wasserstoff mit demselben Energiegehalt um. Wenn die Elektrolyse jeweils dann angefahren wird, wenn Wind und Sonne mehr Energie liefern, als im Netz gerade gebraucht wird, kann der Wasserstoff zugleich als Speicher für Flauten bei Nacht genutzt werden. Doch der Ausbau von Windkraft und Solaranlagen ist bislang viel zu langsam, um die geplante Treibhausgasneutralität Deutschlands bis zum Jahre 2045 zu schaffen. Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung kommen in einer im Fachblatt »Nature Energy« veröffentlichten Studie zu dem Ergebnis, dass grüner Wasserstoff bei dem derzeitigen Ausbautempo bis 2030 nur ein Prozent der Endenergie in der EU liefern würde. Um zu den beschlossenen Klimaneutralitätszielen für 2050 beizutragen, müssten die Elektrolysekapazitäten bis dahin weltweit um das 6000- bis 8000-fache wachsen.
Wasserspaltung bei der Fotosynthese
Woher also könnte noch grüner Wasserstoff kommen? Schon in den 30er Jahren hatte der deutsche Biochemiker Hans Gaffron (1902–1979) beobachtet, dass Grünalgen bei der Fotosynthese Wasser spalten und Wasserstoff abgeben können. Dabei spielt das Enzym Hydrogenase eine zentrale Rolle. Dumm nur, dass der bei der Wasserspaltung entstehende Sauerstoff das Enzym schnell lahmlegt. Wie ein Forscherteam um Anastasios Melis von der University of California, Berkeley, im Jahre 2000 herausfand, lässt sich die Menge an störendem Sauerstoff verringern, wenn die Algen nicht genug Schwefel bekommen. Allerdings reduziert die schwefelarme Diät auch die Fotosyntheseaktivität und die Algenzellen verhungern. Einen Ausweg könnte die Gentechnik bieten. So gelang es kürzlich einer interdisziplinären Forschungsgruppe um Thomas Happe, Lars Schäfer und Ulf-Peter Apfel von der Ruhr-Universität Bochum, eines dieser wasserstoffproduzierenden Enzyme gentechnisch so zu verändern, dass es vor Sauerstoff geschützt ist, wie die Gruppe in »ACS Catalysis« beschreibt.
Für die weitere Arbeit haben sich die Bochumer mit Wissenschaftlern der Universität Osaka verbündet. In einem gemeinsamen Projekt »verfolgen wir einen neuartigen Ansatz für die biologische H2-Produktion, indem wir den H2-Stoffwechsel, der natürlicherweise in den Chloroplasten bestimmter Mikroalgen vorkommt, auf deren Mitochondrien übertragen wollen«, erläutert Happe. Damit werde die Wasserstoffproduktion von der Fotosynthese getrennt. Die Idee dabei: Tagsüber können die Zellen fotosynthetisch wachsen und in der Nacht gespeicherten Kohlenstoff für eine anhaltende Wasserstoffproduktion nutzen. Die Forschenden hoffen, mit diesem Konzept besser eine biologische Wasserstofferzeugung in industriellem Maßstab zu erreichen.
Wirkungsgrad bislang gering
Bis dahin aber dürfte es noch ein weiter Weg sein. Zwar haben sich sowohl die Wasserstoffausbeute als auch die Dauer der Zeit, in der die Algen Wasserstoff produzieren, seit dem Jahr 2000 deutlich vergrößert, dennoch ist man noch weit vom theoretischen Wirkungsgrad der Umwandlung entfernt. Und selbst der läge maximal bei 13,5 Prozent der eingestrahlten Sonnenenergie.
Hinzu kommt die notwendige Reaktortechnik. Anders als bei der bloßen Biomasseproduktion, die auch in offenen Gewässern stattfinden kann, braucht die Wasserstoffproduktion geschlossene Kulturgefäße für die Mikroalgen. Denn das entstehende Gas muss aufgefangen werden. Und da bei der Fotosynthese normalerweise auch Sauerstoff frei wird, müssen die abgeleiteten Gase auch noch getrennt werden.
Überdies sind die nötigen Flächen recht groß. Anastasios Melis, einer der Pioniere der Algenwasserstoffforschung, schätzte 2006, dass Solarwasserstofffarmen auf 25 000 Quadratkilometern nötig wären, um soviel Wasserstoff zu erzeugen, dass der Benzinbedarf der USA ersetzt werden könnte. Diese Fläche wäre etwas größer als Mecklenburg-Vorpommern, entsprach in den USA damals aber nur etwa zehn Prozent der Anbaufläche für Soja.
Biosprit ist einfacher zu gewinnen
Der Wasserstoffexperte Christian Sattler, Direktor des Instituts für Future Fuels des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) hält den notwendigen technischen Aufwand sowohl verfahrenstechnisch als auch energetisch für ausgesprochen herausfordernd. Eine Wasserstoffstudie des DLR aus dem Jahre 2020 gibt zudem zu bedenken, dass in dem von Algen produzierten Wasserstoff noch Schwefelanteile enthalten sein können. Bei einigen Anwendungen würde daher noch eine Reinigung notwendig.
Biotechnologieprofessor und Algenexperte Thomas Brück von der Technischen Universität München rechnet in der nächsten Zukunft nicht mit einem großtechnischen Einsatz von Algen für die Wasserstoffproduktion. Anders als bei der Herstellung von Biokraftstoffen, die Brück im Grunde für startbereit hält, seien für eine großtechnische Wasserstoffproduktion mit Algen noch etliche Probleme zu lösen.
Der große Vorteil der Algen, dass sie nicht unbedingt in Süßwasser leben müssen und derartige Anlagen daher auch in landwirtschaftlich ungenutzten Gebieten aufgebaut werden könnten, käme auch einer Nutzung zur Produktion flüssiger Biokraftstoffe zugute. Die Biomassenutzung hält auch DLR-Fachmann Sattler für schneller einsatzbereit. Sattler verweist allerdings darauf, dass bei Salzwasseralgen die Salze ein Problem für die Anlagen darstellten, da die enthaltenen Halogenide (Chlorid, Bromid, Iodid) sehr korrosiv seien.
Der Biotechnologe Clemens Posten, der bis 2021 den Bereich Bioverfahrenstechnik am Karlsruher Institut für Technologie leitete, sagte auf »nd«-Anfrage: »Grundsätzlich kann ich mir nicht vorstellen, dass es größere technische Anlagen zur Energieproduktion (mit Algen – d. Red.) in näherer Zukunft geben wird. Mit vielen Kollegen bin ich einig, dass es jetzt einen Durchbruch im Bereich Lebensmittel geben muss.« Ein Großteil der Menschen auf der Welt leide an Proteinmangel, da könnten Algenkulturen massiv helfen.
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