- Wirtschaft und Umwelt
- Erneuerbare Energie
Kampf um den richtigen Stecker
Auch der Verband der Elektrotechnik will nun den Betrieb von Mini-Solaranlagen erleichtern
Einen sonnigen Standort auf dem Balkon gesucht, ein paar Schrauben festgedreht, Kabel in die Steckdose, fertig ist ein kleiner Beitrag zur Energiewende. Theoretisch ist der Anschluss einer Mini-Solaranlage auch für Laien ein Kinderspiel. Genau darin liegt der Vorteil sogenannter Balkonkraftwerke. Im Vergleich zu Photovoltaikanlagen für Dächer bestehen die Stecker-Solargeräte meist nur aus zwei Modulen, einem Wechselrichter und dem Anschlusskabel. Balkonkraftwerke könnten mit einem Preis von aktuell 600 bis 800 Euro eine bezahlbare Alternative für alle sein, die weder Platz noch Geld für eine ausgewachsene PV-Anlage haben. Immerhin lassen sich damit jährlich 400 bis 500 Kilowattstunden Strom für den eigenen Bedarf produzieren.
Allerdings ist der Betrieb eines Balkonkraftwerks bisher mit relativ hohen bürokratischen Hürden verbunden. Laut einer 2022 erschienenen Studie der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sind bundesweit rund 190 000 Anlagen installiert. Regelkonform laufen aber nur zehn bis maximal 20 Prozent davon, weshalb Nutzer*innen häufig scherzhaft von »Guerilla PV« sprechen.
Dabei weiß auch die Politik, dass die Mini-Anlagen ein Baustein der Energiewende sind. Immer mehr Bundesländer und Kommunen unterstützen die Anschaffung. Mitte Januar legte Schleswig-Holstein ein Förderprogramm neu auf und bezuschusst den Kauf einer Anlage mit 200 Euro, in Mecklenburg-Vorpommern gibt es sogar bis zu 500 Euro. Auch Berlin plant Zuschüsse.
Allerdings gilt es viele Vorschriften zu befolgen, bevor so ein Balkonkraftwerk in Betrieb gehen kann. Anders als in den meisten anderen EU-Staaten müssen Nutzer*innen die Geräte in Deutschland bei gleich zwei Institutionen melden. Erstens ist ein Eintrag ins Marktstammdatenregister der Bundesnetzagentur Pflicht. Und eine böse Überraschung droht mitunter, wenn die Anmeldung beim örtlichen Stromnetzbetreiber erfolgt. Mehr als 870 Verteilnetzbetreiber gibt es bundesweit, doch weder stellen alle die entsprechenden Formulare zur Verfügung noch erfolgt die Genehmigung überall unproblematisch.
Internetforen der eigentlich gar nicht so rebellischen »Guerilla PV«-Szene sind voll mit Berichten, laut denen es etliche Monate dauert, bis die Inbetriebnahme offiziell möglich ist. Eine Ursache: Ist im Haushalt ein alter Stromzähler installiert, der bei einer Einspeisung durch das Balkonkraftwerk rückwärts laufen könnte, sobald weniger Energie verbraucht wird, als durch die Solaranlage gerade zur Verfügung steht, muss der Zähler zuerst ausgetauscht werden. Zuständig: der örtliche Netzbetreiber. Seit Jahren wird zudem kritisiert, dass Balkonkraftwerke hierzulande nur maximal 600 Watt ins Hausnetz einspeisen dürfen, während laut einer EU-Richtlinie bis zu 800 Watt möglich sind.
Der Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik (VDE) hatte sich bisher gegen Vereinfachungen gestellt – gab aber Mitte Januar seinen Widerstand auf. Im Dezember hatte bereits der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, dafür plädiert, den Betrieb von Balkonkraftwerken deutlich zu erleichtern. Die vom VDE erarbeiteten Normen für den Betrieb von Elektrotechnik haben zwar keine Gesetzeskraft, doch orientieren sich etwa Gerichte oder im Schadensfall Versicherungen daran, ob eine technische Anlage der jeweiligen VDE-Norm entspricht, da diese als allgemein anerkannte Regeln der Technik gelten.
In einem Positionspapier kommt der VDE nun Kritiker*innen entgegen: Balkonkraftwerke sollen danach künftig bis zu 800 Watt ins Hausnetz einspeisen dürfen. Zudem plädiert der Verband dafür, dass die Anmeldung künftig nur noch bei der Bundesnetzagentur erfolgen muss. Auch ein Zählerwechsel soll, so die Fachleute, für die Inbetriebnahme nicht mehr zwingend vorgeschrieben werden. Einen großen Sprung Richtung Realität vollzieht der VDE beim Anlagenbetrieb: Forderte er bisher den Einsatz spezieller Einspeisesteckdosen, will er künftig die haushaltsübliche Schuko-Steckdose »dulden«.
Laut der Studie der Verbraucherzentrale werden in Deutschland ohnehin mehr als drei Viertel aller Balkonanlagen bereits mit diesem Anschluss verkauft. »Wir wollen mit den Vorschlägen zur Vereinfachung dazu beitragen, dass sich die Verwendung von Mini-Energieerzeugungsanlagen in der Zukunft flächendeckend durchsetzen kann, ohne dabei Abstriche bei der Sicherheit zu machen«, erklärt VDE-Chef Ansgar Hinz.
Allerdings: Mit Ausnahme der Vorgabe zum Schuko-Stecker handelt es sich lediglich um Empfehlungen des VDE. Die meisten Regeln müssten per Gesetzesnovelle geändert werden. Und der Weg zu Vereinfachungen, das betont auch Ralph Lenkert, energiepolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, ist kompliziert. Gegenüber »nd.derTag« plädiert er dafür, kommunale Netzbetreiber einzubeziehen. Denn diese verfügten über die notwendige Expertise etwa bei der Bewertung der Stabilität der Stromnetze. Lenkert hält es für »sinnvoll und nötig, die Inbetriebnahme von Anlagen zur Stromeinspeisung bei dem Netzbetreiber vorzunehmen, an dessen Netz angeschlossen wird«.
Auch die Zählerproblematik ist knifflig: Läuft ein Stromzähler aufgrund des Überschusses aus dem Balkonkraftwerk rückwärts, spart ein Haushalt rückwirkend Kosten, die durch vorherigen Verbrauch aus dem öffentlichen Netz jedoch bereits angefallen sind. Lenkert nennt als Beispiel das Netzentgelt, also jenen Teil des Strompreises für den Netzbetrieb. Eine Mini-PV-Anlage würde das Netzentgelt »zurückholen«, obwohl der Stromanschluss weiter mit voller Kapazität benötigt wird. »Das führt dazu, dass die Netzentgelte für alle anderen Stromverbraucher steigen, die selbst kein Balkonkraftwerk betreiben wollen oder können. Hier droht eine Entsolidarisierung«, warnt Lenkert. Daher müsse die Erhebung der Netzentgelte künftig anders organisiert werden.
Solar-Enthusiast*innen aus lokalen Initiativen überlegen derzeit, wie sie den Druck auf die Politik erhöhen können. Unter anderem planen sie eine Petition an den Bundestag.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.