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Marokko unter Verdacht
Der Korruptionsskandal im EU-Parlament zieht immer weitere Kreise
Die Angst geht um bei EU-Abgeordneten, die es mit den Regeln des Parlaments bislang nicht sehr genau genommen haben, seit die belgische Polizei Anfang Dezember zum großen Schlag gegen ein korruptes Netzwerk um den ehemaligen Parlamentarier Pier Antonio Panzeri ausholte. Nachdem der Skandal, der unter dem Namen »Katargate« bekannt wurde, an die Öffentlichkeit drang, ist es vorbei mit der Nachsichtigkeit in Sachen Transparenz. Der Sozialdemokrat Panzeri hatte jahrelang im Auftrag Katars und Marokkos Abgeordnete bestochen und mit der von ihm gegründeten NGO »Fight Impunity« selbst abkassiert. In Brüssel munkelt man, dass demnächst weitere Abgeordnete auffliegen könnten. Ein zentralasiatischer Staat soll ebenfalls Abgeordnete geschmiert haben. Erst vor wenigen Tagen gab die belgische EU-Abgeordnete Marie Arena den Vorsitz des Ausschusses für Menschenrechte ab und entging so einem förmlichen Abwahlverfahren. Arena, ebenfalls Sozialdemokratin, hatte 2019 den Vorsitz des Unterausschusses übernommen – ausgerechnet von Panzeri, der den Wiedereinzug ins Parlament verpasst hatte.
Die Nerven liegen blank, auch bei der konservativen Parlamentspräsidentin Roberta Metsola, die in den vergangenen Tagen mehr als 140 Geschenke nachmeldete, wie das Magazin »Politico« berichtet, darunter Goldmünzen, Champagner und eine getrocknete Wurst. Dies belegt, wie lax der Umgang mit bestehenden Vorschriften ist – selbst in der Führungsspitze. Denn laut Verhaltenskodex für Parlamentsmitglieder müssen Geschenke spätestens nach zwei Monaten gemeldet werden. »Doch bei 125 dieser Geschenke kamen Metsolas Erklärungen erst nach Ablauf der Frist«, schreibt das Magazin »Politico«.
Vier Beschuldigte im Fall »Katargate« sitzen weiter in Untersuchungshaft, unter ihnen Panzeri selbst und die ehemalige Vize-Präsidentin Eva Kaili, in deren Brüsseler Wohnung die Ermittler 600 000 Euro in bar sicherstellten. Ebenfalls inhaftiert bleibt ihr Lebensgefährte, der ehemalige Parlamentsmitarbeiter Francesco Giorgi. Der Italiener verwaltete nach eigener Aussage die Bestechungsgelder, die aus Katar und Marokko kamen. Nach Aussage Giorgis soll ein Teil der Gelder an den italienischen EU-Abgeordneten Andrea Cozzolino und den Belgier Marc Tarabella geflossen sein. Die beiden Sozialdemokraten bestreiten die Vorwürfe. Dabei wird vor allem für Tarabella die Luft immer dünner. Denn der Hauptbeschuldigte Panzeri hat sich auf einen Deal mit der belgischen Staatsanwaltschaft eingelassen und ist geständig. Demnach habe Tarabella 120 000 Euro erhalten, berichtet die belgische Zeitung »L’Echo«. Das erklärt vielleicht, warum der Belgier noch Ende November Katars »Fortschritte bei den Arbeitnehmerrechten« lobte. Cozzolino hingegen muss sich Ende des Monats vor dem Rechtsausschuss des Parlaments verantworten, wo über die Aufhebung seiner Immunität entschieden wird. Der Italiener trat vor einer Woche als Vorsitzender der Parlamentsdelegation für die Maghreb-Region zurück, zu der auch Marokko gehört. Der marokkanische Geheimdienst DGED soll Kontakt zu Cozzolino gehabt haben, wie aus Dokumenten hervorgeht, die den Zeitungen »Le Soir« und »La Repubblica« zugespielt wurden. Ob dabei auch Geld floss, wird derzeit noch untersucht. Cozzolino saß auch im Untersuchungsausschuss, der die Verwendung von Pegasus-Spyware durch Drittländer untersucht. Marokko zählt hier zum Kreis der Verdächtigen.
Warum das Königreich in die Bestechung von EU-Abgeordneten investiert, zeigte sich exemplarisch am Donnerstag, als sich das Parlament mit der Lage der verfolgten Journalisten im Land beschäftigte. In einer gemeinsamen Entschließung werden die marokkanischen Behörden »aufgefordert, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit zu respektieren«. Zudem drängen die Abgeordneten auf die »Freilassung aller politischen Gefangenen«. Das ist schlecht für das Image eines Landes, das der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell noch vor wenigen Tagen »einen zuverlässigen Freund« nannte. Dabei sei Marokko »seit Jahren in ein organisiertes Netzwerk zur Beeinflussung europäischer Entscheidungen durch Bestechungsgelder verwickelt«, wie der EU-Abgeordnete Miguel Urban von der Linksfraktion kritisiert. »Das Europäische Parlament sollte gegenüber Marokko die gleichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, wie es sie gegenüber Katar ergriffen hat«, fordert der Linke in einem offenen Brief. Tatsächlich deuten viele Indizien darauf hin, dass der nordafrikanische Staat einige Entscheidungen des Parlaments beeinflusst hat.
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