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KI und Klassenpolitik
Jeja nervt: Wie politisch sind die Unterhaltungen mit einer Künstlichen Intelligenz?
Seit November vergangenen Jahres ist die Künstliche Intelligenz »Chat GPT« öffentlich verfügbar. Das heißt: Wenn die Server gerade nicht mal wieder überlastet sind – was häufig vorkommt, denn die Eingabemaske mit den smarten Antworten ist ein Hit. Tatsächlich können die Unterhaltungen mit der Assistenz verblüffende Ergebnisse liefern. Genauso kann die Gute jedoch auch bemerkenswerten Müll labern. Die Bemühungen der Entwickler*innen, der KI gewisse moralische Richtlinien anzutrainieren, sind in sich stets wiederholenden Betonungen anwesend – darüber, was »Chat GPT« bei einem bestimmten Thema für »wichtig« erachtet. Und tatsächlich mischen sich in meine Faszination für das Tool auch Fragen nach den klassenpolitischen Implikationen der kommenden KI-Revolution.
Werden die Kids von Arbeiter*innen auf dem Land in Zukunft in ihrem Zimmer psychosozial-diagnostische Gespräche mit der KI führen, die einfach innerhalb eines Augenblicks in die Rolle medizinischen Personals schlüpft? Der Umfang gelesener Lehrbücher dürfte bei ihr jedenfalls größer sein. Aber was dann? Vergibt die KI einen wöchentlichen Termin, an dem sie dann auch noch die Stunde Psychotherapie durchführt? Ist das mangels therapeutischer Beziehung zu einem echten Menschen mit Verantwortung überhaupt möglich? Oder anders gefragt: Drängt der Kapitalismus das System Psychotherapie, das es doch schon jetzt vor allem auf das Funktionieren im Produktionsapparat statt auf die Erkenntnis höherer Wahrheiten abgesehen hat, zu dieser extrem kostensparenden Variante der Behandlung? Und wird dann am Ende aus dem Lifehack schlauer Klassenaufsteiger*innen von Morgen im Übermorgen eine implizite oder gar explizite Verpflichtung? Wird an das sokratische »Erkenne dich selbst« vom Anfang westlicher Zivilisation an ihrem Ende ein »du Opfer!« angehängt?
Tatsächlich kann die KI bestimmt Fähigkeiten von Lehrkräften prima ersetzen. Schon jetzt spricht die Gute Antworten auf Fragen nach bestimmten Spezifika der türkischen Grammatik ohne Murren und schön in Tabellen durchgestylt aus, wie sie auch mal eben einfache Dialoge aus dem Schulkontext generiert – ich muss ihr nur sagen, ob auf Deutsch, Türkisch oder Japanisch. Bei der Anpassung an ein bestimmtes Sprachniveau, etwa A1, kann »Chat GPT« aber nichts versprechen. Ähnlich finster sieht es aus, wenn man sie danach fragt, von wo sie eine bestimmte Behauptung eigentlich her hat. Kürzlich assistierte sie mir etwa bei einer Recherche und tickerte im Brustton vollster Überzeugung, dass sich ein bestimmter Gedanke im 10. Kapitel von »Mein Kampf« befinde. Nun: Am Ende musste ich die Scheiße selber lesen, denn »Chat GPT« hatte bei der Antwort eher auf ihre dichterischen Kompetenzen zurückgegriffen, mir diesen Umstand aber vorenthalten. Produzieren unsere KIs also in Zukunft statt Aussagen, die Überprüfungen standhalten, eine Lyrik des kapitalistischen Patriarchats, künstlich-intelligente Ideologie, gefährliches Halbwissen sozusagen?
Und was ist mit dem Ökonomischen? Danach gefragt, ob sich mit Marx’ Theorem des tendenziellen Falls der Profitrate nicht eine ökonomische Krise voraussehen lässt, wenn immer weniger Arbeitskraft, aber immer mehr KI in der Wirtschaft tätig ist, referiert sie das Problem zunächst kurz. Und dann: »Es ist schwierig zu sagen, ob der Einsatz von KI in einzelnen Branchen zu einer fundamentalen ökonomischen Krise führen wird, da es von vielen Faktoren abhängt, wie z.B. der Art des Einsatzes und der Regulierungen.« Good Point, Smartie! Wie sieht es zum Beispiel mit dem Einsatz von extrem günstigen Arbeiter*innen in Kenia aus, die »Chat GPT« das Laufen beibrachten und dafür ein dialogisches Hin und Her mit traumatisierenden Antworten absolvieren mussten? Vielleicht liefern KIs die Ökonomie der Mehrwertproduktion ja endlich zugunsten der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse den Geschichtsbüchern aus! Vielleicht aber auch nicht und alles wird nur noch schlimmer. Das kommt auf uns an.
Dies war die letzte Kolumne von »Jeja nervt«. Wir bedanken uns sehr herzlich bei Jeja Klein!
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