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Am Rand der Fiskalklippe
Der Konflikt um die Anhebung der Schuldenobergrenze in den USA könnte auch die Weltwirtschaft belasten
Die US-Wirtschaft steht am Rande einer Rezession. Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Vereinigten Staaten im Schlussquartal 2022 mit 2,9 Prozent noch kräftig gewachsen, nach 3,2 Prozent im Vierteljahr davor. Doch dies dürfte für eine Weile das letzte starke Quartal gewesen sein. Ökonomen erwarten einen deutlichen Wachstumsrückgang, ja sogar ein Schrumpfen der noch immer mit Abstand größten Volkswirtschaft der Welt.
Ein gewichtiger Grund könnte der Streit in Washington um die Anhebung der Schuldenobergrenze werden. Diese liegt bislang bei 31,4 Billionen Dollar, umgerechnet rund 29 Billionen Euro. Das ist etwa sechsmal so viel wie noch vor 20 Jahren. Bereits vor einer Woche hatte der Schuldenstand der US-Bundesregierung diese gesetzliche Obergrenze erreicht. Finanzministerin Janet Yellen hatte dies dem Kongress kurz vorher per Brief angekündigt und eine zügige Anhebung angemahnt, damit der Staat weiter Kredite aufnehmen kann.
Noch sind die Kassen gefüllt, doch in absehbarer Zeit droht Präsident Joe Biden und seiner demokratischen Regierung die Zahlungsunfähigkeit und damit ein »Shutdown«. Zu einem solchen Stillstand des Staatsapparates war es zuletzt während der Präsidentschaft von Donald Trump gekommen. Bereits einmal, nämlich 2011, hatte die Lösung des Konfliktes sogar so lange gedauert, dass die Ratingagentur Standard & Poor’s die Bonität der USA herabstufte, was die Schulden des Staates erheblich verteuerte. Das Finanzministerium hat jetzt bereits Maßnahmen eingeleitet, damit Regierung, öffentliche Verwaltungen und Militär im Falle leerer Kassen zumindest grundlegende Aufgaben wahrnehmen können. Doch Ausgabenkürzungen an anderer Stelle würden die Volkswirtschaft insgesamt belasten.
Seit dem Zweiten Weltkrieg kann die Bundesregierung ohne spezielle Zustimmung des Kongresses Kredite aufnehmen. Allerdings nur bis zu jener Schuldenobergrenze, die im jährlichen Haushaltsgesetz festgeschrieben wird, dem beide Kammern des Kongresses zustimmen müssen. Dabei spielte in jüngerer Zeit eine Rolle, dass die Opposition entweder aus politischen oder wie im Falle der rechten Republikaner aus ideologischen »neoliberalen« Gründen das Wachstum der Staatsausgaben zu bremsen versuchte.
Im vergangenen Jahr musste sich die US-Regierung, um ihr Sechs-Billionen-Budget zu finanzieren, laut Finanzministerium 1,4 Billionen Dollar leihen, damit sie die beschlossenen Ausgaben tatsächlich tätigen konnte. Was 5,8 Prozent des BIPs entspricht (EU: 3,3 Prozent). Der Schuldenstand insgesamt beträgt danach 129 Prozent des BIPs (EU: 85,1 Prozent) – und dürfte 2023 weiter zulegen. Schließlich müssen üppige Subventionsprogramme für die heimische Wirtschaft wie der in Europa mit Sorge betrachtete »Inflation Reduction Act« finanziert werden.
Der Streit um die Schuldenobergrenze ist ein alljährlich grüßendes Murmeltier in Washington. Um den Deckel anzuheben, bedarf es der Zustimmung von Teilen der Nicht-Präsidenten-Partei. Seit Januar haben die Republikaner eine knappe Mehrheit im Repräsentantenhaus. »Es steht zu erwarten, dass sie das nutzen werden, um der Regierung für die Zustimmung zu einer höheren Schuldengrenze Zugeständnisse abzuringen«, schreiben die Analysten der Commerzbank. Die von einigen ultrarechten Abgeordneten geforderten Kürzungen bei den Renten- oder Krankenversicherungszahlungen werden Bidens Demokraten aber kaum hinnehmen können. Somit ist wieder einmal die Bühne bereitet für einen medienwirksamen Showdown und für nächtelange Verhandlungen der Politiker kurz vor der Deadline für den Staatsstillstand.
Wann diese erreicht sein wird, hängt wesentlich von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, um die es aktuell eher schlecht bestellt ist. Zusätzlich konnte die Übernahme des US-Repräsentantenhauses durch die Republikaner das Wirtschaftswachstum bremsen. Das legt eine historische Analyse des Ifo-Instituts in München nahe. In Zeiten, in denen der Kongress nicht geschlossen hinter dem Präsidenten stand, betrug das Wachstum ein Drittel weniger, als wenn der Präsident und die Mehrheit der Abgeordneten in beiden Kammern des Kongresses der gleichen Partei angehörten. Aus solch historischen Vergleichen erwächst freilich noch keine Kausalität.
Allerdings erwarten Ökonomen eine mehr oder weniger tiefe Rezession in den USA. Dies wäre für die Weltwirtschaft insgesamt und auch für deutsche und europäische Exporteure keine gute Nachricht. Schließlich sind die USA neben China – wo sich der Konjunkturhorizont aktuell etwas aufhellt – deren wichtigster Auslandsmarkt.
Noch brummt in den USA aber der Arbeitsmarktmotor und die Verwerfungen der Energiekrise spüren Verbraucher in Nordamerika weit weniger als in Europa. Allerdings hat die US-Notenbank ihre Leitzinsen seit Anfang 2022 um 4,25 Prozentpunkte gewaltig angehoben und weitere Zinsschritte sind zu erwarten. Die Erfahrung zeigt, dass diese erst mit Verzögerung auf die Wirtschaft bremsend wirken. Der größte Teil des Effekts der Geldpolitik steht also wohl noch aus. Dieses verschlechterte Umfeld hat vielen Unternehmen bereits die Stimmung verdorben. Aktuelle Umfragen weisen steil nach unten.
Die erwartete Rezession könnte indes weniger stark ausfallen als in der Finanzkrise ab 2007, die Folge einer geplatzten Immobilienblase in den USA war. Diesmal sehen Beobachter keine grundlegenden Fehlentwicklungen. Und angesichts der Knappheit an Arbeitskräften dürften die Unternehmen anders als seinerzeit vergleichsweise wenig Personal abbauen.
Damit, dass »Uncle Sam« pleitegeht, rechnet kaum jemand. Spätestens dann, wenn erste Regierungsbehörden schließen müssen, dürfte der Druck auf die beiden großen politischen Parteien groß genug werden, sich wie üblich auf eine Anhebung der Schuldenobergrenze zu einigen. Ob und wie stark das zulasten der Sozialausgaben gehen wird, bleibt abzuwarten. Den Sprung von der fiskalischen Klippe wird die Mehrheit aber nicht riskieren.
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