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Brauchen wir Feminismus eigentlich noch?
Das Patriarchat ist zwar ein instabiles Konzept, hat sich aber noch nicht selbst abgeschafft
Neulich habe ich mit einigen Kolleg*innen in der Mittagspause über das Patriarchat diskutiert. Dabei stand die große Frage im Raum, ob es Feminismus überhaupt noch braucht und ob sich das Patriarchat als instabiles Konzept nicht schon längst selbst abgeschafft hat.
Kleiner Spoiler: Ich denke nicht. Ich habe sogar den Eindruck, dass Ungerechtigkeiten häufig gar nicht wahrgenommen werden, weil sie sich für die Betroffenen alltäglich anfühlen und die, die nicht betroffen sind, sowieso nicht an einer Veränderung interessiert sind. Ich selbst habe mit meinen zarten 21 Jahren bereits eine erzürnende Odyssee an Diskriminierung aufgrund meines Geschlechts hinter mir und häufig erst Jahre später bemerkt, dass es sich dabei tatsächlich um eben solche handelte.
Auch im Austausch mit anderen fiel mir auf, wie absurd es ist, dass Feminismus häufig so dargestellt wird, als bräuchten wir ihn gar nicht mehr. Dabei zeigt uns die Protestbewegung im Iran momentan mit einer bisher nie dagewesenen Vehemenz, dass wir noch längst nicht am Ziel sind. Die Hälfte der Weltbevölkerung wird unterdrückt oder strukturell benachteiligt. Das ist eben kein Schnee von gestern.
Leider erstreckt sich das Problem der fehlenden Geschlechtergerechtigkeit über jedes denkbare Feld des Privat- und Arbeitslebens. Ich bin als weiblich gelesene Person aufgewachsen und habe mich als Mädchen lange dagegen gewehrt, mit dem klassischen weiblichen Stereotyp assoziiert zu werden. Ich wollte kein Junge sein, aber es erschien mir eben die einzige Möglichkeit, unkommentiert Fußball spielen zu können, im Schmutz zu spielen und eine Kurzhaarfrisur zu tragen. Jetzt sehe ich das natürlich anders, aber wir wissen ja, wie das ist. Im Kindergarten denkt mensch in diesen zwei Kategorien – nicht zuletzt, weil wir sie so beigebracht bekommen.
Ich dachte lange, dass es nur mir so gehen würde. Die anderen weiblich gelesenen Personen in meiner Klasse wollten Prinzessinnen werden. Doch heute weiß ich, dass es vielen jungen Menschen ähnlich geht und dass daran nicht unser Geschlecht, sondern vielmehr das gesellschaftliche Stigma schuld ist. Nun erscheint es mir so, als hätte sich dies in den vergangenen Jahren nicht maßgeblich verändert. Oder eben nicht genug.
Es gibt enorm viele Missstände in Bezug auf die Gleichberechtigung der Geschlechter, über die wir kaum sprechen und die einfach so hingenommen werden. Wir akzeptieren sie, weil wir es nicht anders kennen und doch wissen wir genau, was gemeint ist, wenn uns jemand darüber aufklärt. Doch wer nicht weiß, was fehlt, der – oder vielmehr die – wird sich nicht wehren. Dabei ist es so: Wer sich wehrt, kann etwas verändern.
Mir sind beispielsweise bei jedem Besuch öffentlicher Frauen-Toiletten die endlosen Schlangen aufgefallen. Ich dachte immer, dass Menschen mit Vulva vielleicht länger auf der Toilette bräuchten. Tatsächlich wurden für Männer Pissoirs entwickelt, die so platzsparend nebeneinander passen, dass es für männlich gelesene Personen schon zahlenmäßig mehr Toiletten gibt. Auch Menschen mit Vulva könnten im Stehen pinkeln, doch jeder Versuch, ein Pendant zum Pissoir zu entwickeln, scheiterte durch angeblich fehlende Notwendigkeit.
Der weiße nicht-behinderte Mann gilt als Maßstab in fast allen Bereichen: Crash-Test Dummies, Sicherheitsgurte, Medikamente, Verkehrsinfrastrukturen, Sprachsteuerungen, ja sogar Klavier- und Computertastaturen sind auf ihn ausgelegt. Nicht zuletzt werden Autismus und Herzinfarkte bei Frauen seltener erkannt, weil sich die Medizin und auch die breite Öffentlichkeit auf die männliche Norm fokussiert. Dass sich einige Erkrankungen oder Störungen aber eben manchmal geschlechtsspezifisch unterscheiden, negieren wir damit bis aufs Äußerste.
Das führt tatsächlich dazu, dass das Leben eben sehr viel gefährlicher ist für alle Menschen, die keine weißen, mittelgroßen, nicht-behinderten Männer sind. Und das muss doch nun wirklich nicht so weitergehen.
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