Neue Therapien, wenig Prävention

Onkologie: Innovative Verfahren kosten viel und machen nur wenigen Patienten Hoffnung

An diesem Sonnabend wird international der Weltkrebstag begangen. Ziel ist es, Vorbeugung, Erforschung und Behandlung von Krebserkrankungen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Der Thementag wurde 2006 unter anderem von der Internationalen Union gegen Krebs und der Weltgesundheitsorganisation festgelegt. Angebracht war und ist das schon, denn kaum eine Krankheit fordert einerseits so viele Opfer und zeigt andererseits ein so unterschiedliches Erscheinungsbild.

In Deutschland erkranken jährlich eine halbe Million Menschen neu daran; 2020 war Krebs hierzulande für fast ein Viertel der Todesfälle ursächlich. Weltweit kosten onkologische Erkrankungen in jedem Jahr 250 Millionen Lebensjahre. Global ist Krebs der zweitgrößte Belastungsfaktor für die Gesundheit. Seit 2010 hat sich der jährliche Verlust an Lebensjahren um 16 Prozent erhöht.

Die Zahlen dürften steigen, denn insbesondere der immer größere Anteil alter Menschen schafft dem Krebs mehr Möglichkeiten. Im Alter ist unter anderem das Immunsystem beeinträchtigt, aber auch die Regenerierungsfähigkeiten des Körpers lassen nach. Nicht nur, dass unter diesen Bedingungen schneller ein Tumor entsteht und dann auch wächst. Ein höheres Lebensalter bringt außerdem mit sich, dass die beiden wichtigsten Organe zum Abbau giftiger Substanzen – wie auch aus der Chemotherapie – dann geschwächt sind.

Hinzu kommt: Zwar zeigen sich immer mehr Therapiemöglichkeiten, aber für die meisten Patienten gibt es keine Heilung auf Dauer. Die Behandlung von Krebs stand bislang auf den drei Säulen Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Besonders im letztgenannten Bereich wurde viel Forschung betrieben. Darüber hinaus gibt es völlig neue Ansätze. Einer davon ist die CAR-T-Zell-Therapie. Dabei wird das Immunsystem in die Lage versetzt, Krebszellen selbst zu bekämpfen, Immun-, Gen- und Zelltherapie werden vereint. 2018 wurde die erste dieser Therapien zugelassen, inzwischen gibt es sechs Varianten dieser Behandlungsmöglichkeit. Noch sind sie allerdings Patienten vorbehalten, bei denen bisherige Therapien nicht gewirkt haben. Der Ansatz hilft zudem nur bei Krebsformen des Blut- und Lymphsystems. Das zudem nicht auf Dauer und laut Herstellern auch nur bei der Hälfte der schwer erkrankten Patienten etwa mit bestimmten Leukämien, Lymphomen oder einem Multiplen Myelom.

Indessen wachsen die Kosten, die für neue und angebliche Innovationen in der Onkologie anfallen. Festgehalten wird das immer wieder neu unter anderem im Arzneimittelkompass. Diese Auswertung der Krankenkassenausgaben erfolgt jährlich durch das Wissenschaftliche Institut der AOK. Die aktuellsten Zahlen beziehen sich auf 2021. In den Blick genommen wird dabei die Verteilung von Umsätzen und Verordnungen der gesetzlichen Krankenkassen nach wichtigen Indikationsgruppen. Mehr als die Hälfte der Nettokosten entfiel 2021 auf nur drei dieser Indikationsgruppen; und, keine Überraschung, der mit 20,7 Prozent größte Posten war für medikamentöse Krebstherapien fällig. Damit sind aber nur 0,6 Prozent der insgesamt verordneten Tagesdosen abgedeckt. Im Vergleich: Arzneimittel gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursachen einen Nettokostenanteil von 15,1 Prozent, decken aber die Hälfte der Verordnungen ab. Ungünstig für die Krankenkassen ist die Entwicklung: Bei nahezu gleichem Versorgungsanteil lagen die Kosten der Krebsmedikamente 2011 noch bei 1,5 Milliarden Euro. 2021 waren dann netto 10,4 Milliarden Euro erreicht.

Dabei sind noch nicht die Kosten für weitere Ausgaben im Zusammenhang mit Krebs berücksichtigt: für Diagnostik, Bestrahlungen, Eingriffe, Krankschreibung und Rehabilitation oder Nachsorge. Insofern ist es naheliegend, der Vermeidung von onkologischen Erkrankungen mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Ein Aspekt ist die Früherkennung. Meist, aber nicht immer gilt, dass ein früh erkannter Tumor nachhaltiger zu behandeln ist. Jedoch ist auch in Deutschland die Begeisterung für dieses Thema nicht sehr ausgeprägt – während in ärmeren Ländern die Möglichkeiten dafür gar nicht existieren.

Zur Früherkennung zählen Untersuchungen wie Mammografie, Darmspiegelung oder Hautkrebs-Screening. Die Wahrnehmung dieser Diagnostikverfahren ging während der Covid-19-Pandemie insgesamt zurück. Der Darmkrebsvorsorge widmet sich in Deutschland unter anderem die Felix-Burda-Stiftung. Diese weist darauf hin, dass Darmkrebs bei Menschen in prekären Verhältnissen oft erst in einem späten Stadium diagnostiziert wird. Oft mangelt es gerade in diesen Gruppen an Gesundheitskompetenz. Unter anderem an deren Motivation und Beratung müsse gearbeitet werden.

Das betrifft offensichtlich ähnlich die Beteiligung von Männern an der Krebsvorsorge generell. Laut einer Analyse der Barmer ließ diese 2021 insbesondere in Berlin, Saarland, Bayern und Schleswig-Holstein deutlich nach. Begonnen hat der negative Trend schon früher: 2010 unterzog sich noch ein Viertel der Berliner Männer den Untersuchungen, bei den Frauen waren es in der Hauptstadt immer über 40 Prozent. Auch daran könnte es gelegen haben, dass die Kasse den Stuhlbluttest zur Früherkennung von Darmkrebs nun online zugänglich macht. Damit ist auch Versicherten unter 50 Jahren dieser Test zugänglich, ohne dass sie zuvor einen Arzt konsultieren müssen.

Vor der Früherkennung kommt jedoch die Primärprävention: also ein Lebensstil, der Krebserkrankungen nicht noch begünstigt. So sind bis zu 30 Prozent aller Todesfälle in diesem Zusammenhang auf das Rauchen zurückzuführen. Außerdem kann auch das Zellgift Alkohol viele Organe schädigen. Die Kombination beider Genussmittel erhöht das Krebsrisiko deutlich, um nur zwei Faktoren zu nennen. Primärprävention und Früherkennung zusammengenommen könnten die Krebssterblichkeit um bis zu 75 Prozent senken, so die optimistische Prognose von Gesundheitsforschern. Auch laut Forderungen internationaler Organisationen sollten die Staaten gezielt Steuern erhöhen und Werbung beschränken sowie Aufklärungsarbeit leisten.

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