- Politik
- Streit über Reform des Vergewaltigungsgesetzes
Spaniens Koalitionspartner im Zwist
Sozialdemokraten und Linkspartei entzweien sich im Wahljahr über Vergewaltigungsgesetz und Westsahara
Im Herbst 2023 stehen die Parlamentswahlen in Spanien an. Für die derzeit regierende Minderheitsregierung aus den Sozialdemokraten (PSOE) und dem Linksbündnis »Unidas Podemos« (UP) sind die Aussichten trübe. Seit vergangenem Herbst ist in Spanien das »Nur Ja heißt Ja«-Gesetz in Kraft und das hat wegen Mängeln zu unerwünschten Nebenwirkungen geführt. Bei knapp 300 Sexualstraftätern wurden wegen der neuen gesetzlichen Regelung inzwischen die Strafen gesenkt. Gut 20 wurden sogar freigelassen. Das sorgt nicht nur für Unmut in der Gesellschaft, sondern auch für neuen Zwist in der Koalitionsregierung in Madrid. Die PSOE will das Gesetz erneut reformieren, der Juniorpartner UP sträubt sich dagegen.
Irene Montero, Gleichstellungsministerin und UP-Führungsmitglied, will nicht einsehen, dass sie bei der Ausarbeitung Fehler gemacht hat. So fehlt unter anderem eine Übergangsklausel, um zu verhindern, dass die Neudefinition der Strafmaße auf frühere Urteile angewendet werden kann. Da half es wenig, dass Montero und ihr Umfeld noch kürzlich angesichts des Unmuts auf rechte Richter verwies, die das neue Gesetz »unkorrekt anwenden« würden. Dagegen verwahrten sich auch progressive Richterverbände und verwiesen auf die Verfassung.
Zur mangelnden Selbstkritik gesellt sich das starke Misstrauen gegen den Koalitionspartner. Das hat sich in drei Jahren aufgebaut, in denen der Juniorpartner UP blass blieb und kaum etwas durchbekam. So klammert man sich an einen Erfolg, dass Frauen bei einer Vergewaltigung nun keine Gewaltanwendung mehr nachweisen müssen. Montero und UP befürchten wegen der PSOE-Vorschläge, die nicht mit Montero abgesprochen sind, einen Rollback. Die PSOE hat eine Reform angekündigt, um »eine Lösung für die ungewollten Effekte« zu bieten, erklärte die PSOE-Sprecherin Pilar Alegría am Dienstag im spanischen Fernsehen. UP befürchtet, dass die Rückkehr zum alten Gesetz geplant ist. Denn das von den Sozialdemokraten geführte Justizministerium hat vorgeschlagen, die früheren Strafmaße für die verschiedenen Sexualstrafbestände anzuwenden. Alegría hält das für den »besten Weg«. Dass sich die rechte Volkspartei (PP) angeboten hat, diese Reform mit ihren Stimmen abzusegnen, damit die PSOE nicht auf linke Stimmen angewiesen ist, nährt Befürchtungen.
Das Misstrauen von UP gegenüber der PSOE beruht auch darauf, dass die PSOE sich in der Vergangenheit immer mal wieder auch auf Stimmen der Rechten gestützt hat, um Vorhaben von Podemos zu blockieren oder in der Koalition umstrittene Vorhaben durchzubringen. Podemos erklärt deshalb: »Es ist wichtig, jeden Versuch der Rechten zu stoppen, zum alten Modell zurückzukehren, das auf Gewalt und Einschüchterung basiert.« Montero argumentiert mit Bezug auf Experten, dass eine neue Reform die Strafmaß-Verringerungen gar nicht mehr stoppen könnte, weshalb die Reform unnötig sei. Sie schlägt einen Zehn-Punkte-Plan vor, um den Schutz der Frauen zu verbessern. Eine Entschuldigung für ihre Fehler, für die sie auch von Feministinnen scharf kritisiert wird, vermisst man aber weiter.
Die Koalitionsregierung hat ihre Gemeinsamkeiten offenbar ziemlich aufgebraucht. Die Angst davor, dass die PP mit Unterstützung der rechtsradikalen Vox bei Neuwahlen das Ruder übernehmen dürfte, ist das letzte verbliebene einigende Band. Konfliktfelder gibt es viele. So hatte die PSOE auch eine Streichung des repressiven Maulkorbgesetzes versprochen. Darüber hatte die PP-Vorgängerregierung die Meinungs- und Versammlungsfreiheit stark einschränkt. Es blieb beim Versprechen. Und in der UP selbst gärt es auch. Das neue linke Projekt »Sumar« der Vize-Regierungschefin Yolanda Díaz von der UP steckt noch in den Kinderschuhen.
Beim Maulkorbgesetz plant die PSOE wie bei der Arbeitsmarktreform aber nur leichte Veränderungen, was auch linksnationalistische Unterstützer aus dem Baskenland oder Katalonien verärgert. Der Kern bleibe bisher unangetastet, erklärte der baskische Parlamentarier Jon Iñarritu. Kein Problem würde gelöst. Er sprach vom »Maulkorbgesetz-light« und warf der PSOE im baskischen Rundfunk »fehlenden politischen Willen« vor, die sich in vielen Punkten an die PP angenähert habe. Die Linken fordern die Abschaffung von Gummigeschossen und heißen Abschiebungen. Dass man wegen eines Ansteckers oder T-Shirts ohne Richterbeschluss zu einer hohen Geldstrafe wegen Missachtung der Autorität verdonnert werden könne, sei absurd.
Festgefahren sind auch Verhandlungen zum Tierschutzgesetz. Die PSOE will Jagdhunde ausnehmen und lässt den Stierkampf außen vor. Zu Zwist führt auch der Schwenk des Regierungschefs Pedro Sánchez in der Westsahara-Frage. Im Alleingang sogar ohne Unterstützung durch Oppositionsparteien hat Sánchez faktisch die Souveränität Marokkos über die Westsahara gegen die Uno-Resolutionen zur Dekolonisierung anerkannt. Wie gespalten die Regierung auch ist, zeigte sich am marokkanisch-spanischen Gipfel in Rabat am Mittwoch und Donnerstag. Kein UP-Minister reiste mit Sánchez nach Rabat. Der wurde dort nicht einmal von König Mohammed VI. empfangen.
Sánchez will Marokko vor allem als Vorposten zur Abwehr von Flüchtlingen und Migranten ausbauen. Er will auch durchsetzen, dass in Zukunft Abschiebungen von Nicht-Marokkanern nach Marokko möglich werden, womit er auch auf Linie der PP liegt. »Marokko ist ein strategischer Partner«, erklärte der frühere PSOE-Minister Juan Fernando López Aguilar. »Wenn man Kröten schlucken muss, schluckt man sie«, erklärte der frühere Justizminister.
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