Rechtsruck in Italien kommt schleichend

Regierungschefin Giorgia Meloni präsentiert sich in den ersten Monaten moderat

  • Wolf H. Wagner, Florenz
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem Rücktritt der Interimsregierung unter dem Neoliberalen Mario Draghi hatte nicht nur Italien mit einem Rechtsruck gerechnet, sondern auch die europäischen Partner. Giorgia Meloni, Führerin der postfaschistischen Fratelli d’Italia (FdI), stand in den Augen der Beobachter für ein Wiederbeleben der Vergangenheit. Ihre Regierung ist die am weitesten rechts stehende seit 1946 in Italien. Stellvertretende Regierungschefs sind Matteo Salvini und Antonio Tajani. Salvini von der rechtsnationalen Lega-Partei ist nun auch Verkehrsminister, Tajani von der konservativen Forza Italia (FI), ehemaliger Präsident des Europaparlaments, hat das Amt des Außenministers inne.

Nun, nach 100 Tagen an der Regierung, hat sich gezeigt, dass Meloni deutlich moderater agieren kann, als man es nach den teils aggressiven Wahlkampfveranstaltungen erwartet hat. Nicht nur, dass sie nach Amtsantritt sowohl den Partnern in der EU als auch im transatlantischen Verteidigungsbündnis die Loyalität ihrer Regierung versicherte, bislang hielt Italien auch alle Verpflichtungen ein.

Von einem eventuell ins Auge gefassten »Italexit« ist nicht die Rede. Rom will die vom EU-Wiederaufbaufonds gestellten 191 Milliarden Euro nicht aufs Spiel setzen. Und so gab sich Giorgia Meloni auch beim Antrittsbesuch bei EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen freundlich und moderat, das Treffen konnte geradewegs herzlich genannt werden.

Auch innenpolitisch setzte Meloni den Kurs ihres Vorgängers fort, zielgerichtete Unterstützungen entlasteten die Italiener in der Energiekrise. So tankte man zur großen Überraschung über lange Zeit erstmals billiger als im europäischen Ausland – für viele Pendler ein wichtiges Argument, der Regierungspolitik beizupflichten.

Aktuellen Umfragen zufolge zeigen sich denn auch 46 Prozent der Italiener zufrieden mit der Bilanz der ersten 100 Tage. 40 Prozent sehen eine eher negative Entwicklung, die übrigen 14 Prozent wollten sich nicht äußern. Und die Fratelli d’Italia, stärkste der Regierungsparteien, konnte ihren Vorsprung nochmals auf 30 Prozent der Wählergunst ausbauen.

Giorgia Meloni selbst erntet nach dem Staatspräsidenten Sergio Mattarella, der die Sympathieliste mit 63 Prozent anführt, einen Bonus von 44 Prozent. An dritter Position steht der Fünf-Sterne-Chef Giuseppe Conte mit 37 Prozent, erst dann folgt Matteo Salvini mit 28 Prozent. Die Politiker der immer noch heillos in sich zerstrittenen Mitte-links-Opposition liegen ebenso wie deren Parteien abgeschlagen.

Meloni, deren politische Quellen im militanten und durchaus neofaschistischen Movimento Sociale Italiano liegen, gibt sich derzeit als Politikerin einer moderaten bürgerlichen Rechten. Zwar bedient sie hin und wieder noch die Nostalgiker ihrer Partei, so mit dem Festhalten an der Tricolore-Flamme im Parteisymbol, doch kommt die Rechtsausrichtung eher schleichend in der Gesellschaft an. Gern spricht die Regierungs- und FdI-Chefin von »unserer Nation«, die im Vordergrund stehen müsse. Nicht nur Migranten, sondern auch sozial Schwache müssen sich beim Verteilungsprozess hinten anstellen. Das von der Sternebewegung eingeführte Bürgergeld wird drastisch gekürzt. Und Ausländer – so es nicht reiche Europäer oder Spezialisten sind – möchte man so weit wie möglich zurückdrängen.

Meloni betreibt zwar nicht die Politik der »geschlossenen Häfen« wie einst Lega-Chef Salvini, doch die zugewiesenen Ports liegen alle im Norden des Landes: Ancona und Ravenna, La Spezia, Livorno und Genua. Das Kalkül der römischen Administration dabei: Lange Reisewege verteuern die Seerettung und zwingen die NGOs zur Aufgabe ihrer Projekte. Einige Organisationen haben bereits angekündigt, ihre Aktivitäten einschränken zu müssen. Meloni verkauft dies als Erfolg ihrer Politik und erntet dabei nicht geringen Beifall der Italiener, die sich infolge der aktuellen Krisenzeiten ohnehin bedrängt fühlen.

»Italien steht deutlich stabiler da, als es manche uns glauben machen wollten«, konstatierte die Regierungschefin die Bilanz ihrer ersten 100 Tage. Wirtschaftsdaten scheinen dies zu bestätigen: Der Spread – der Zinsunterschied zwischen bundesdeutschen und italienischen Staatsanleihen, stets verlässliches Barometer für den wirtschaftlichen Zustand des Landes – ist in den vergangenen Wochen von 236 auf 175 Punkte gesunken. (Zur Zeit der schwersten Wirtschaftskrisen unter Berlusconi lag er bei über 300 Punkten.) Und die Banca d’Italia sagt für 2024 und 2025 eine wirtschaftliche Erholung mit einer »Inflation im erträglichen Maß« voraus. Gründe für Giorgia Meloni, zu frohlocken.

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