• Kultur
  • Ausstellung »William Eggleston: Mystery of the Ordinary«

Die Lichter gehen aus

Eine große Berliner Ausstellung der Fotografien von William Eggleston beginnt mit einem Schock und endet mit einer Enttäuschung

  • Stefan Ripplinger
  • Lesedauer: 5 Min.
Untergang mit Stil bzw. Müll unterm Chevrolet: »Untitled«, circa 1971–1974
Untergang mit Stil bzw. Müll unterm Chevrolet: »Untitled«, circa 1971–1974

William Eggleston, seit letztem Wochenende bei C/O Berlin zu sehen, ist ein Künstler, der mein Leben verändert hat. Das gelang ihm mit einer Fotografie von einem Haufen grüner Müllsäcke. Die Müllsäcke sind durchsichtig, darin stecken rote, weiße, blaue Verpackungen, links neben den Säcken alte Kartons, unten, im Schmutz, aus einem Sack gepurzelte Trinkbecher und über allem ein eisiges Licht.

Schön ist das nicht, und doch kann ich mich an dem Foto kaum sattsehen. Gewiss, wenn ich vor den Müllsäcken selbst gestanden hätte, hätte ich die Nase gerümpft, doch Bilder von Müllsäcken stinken nicht. Hier hat sich, wie in aller Kunst, etwas verwandelt, aber ich wusste vorher nicht, dass sich auch Müllsäcke verwandeln können. Damit verändert sich der Blick auf die Welt, damit verschieben sich die Kriterien.

Egglestons Werk wirft die Frage auf, welche Motive der künstlerischen Darstellung würdig sind. Die Kunstgeschichte kennt, was das betrifft, verblüffende Umorientierungen. Die radikalste vollzog sich im 17. und 18. Jahrhundert, als die niederländische und flämische Genremalerei aufkam. Die Reformation hatte sakrale Darstellungen zurückgedrängt, wenn nicht verboten, und auf einmal sah man statt Heiligen und Engeln Säufer in einer Spelunke oder Fischverkäuferinnen.

Mit der bloßen Motivwahl ist die Sache aber nicht entschieden. Es kann einer wie Wolfgang Tillmans banale Sujets fotografieren, und sie bleiben banal. Das ist erkennbar nicht die Absicht von Eggleston, der die Banalität unserer Epoche transzendiert, ohne je in die Nähe der Sentimentalität eines Edward Hopper oder Wim Wenders zu kommen. Er bleibt hart, wenn nicht sogar gewalttätig.

Gut nachzuvollziehen ist das in der aktuellen Ausstellung. Sie beginnt mit einem Schock und endet mit einer Enttäuschung. Der Schock sind die Schwarz-Weiß-Bilder im ersten Raum. Farbfotografien kannte man zunächst nur aus Mode und Werbung. Dass Eggleston, der in den Siebzigern mit seinen bunten Bildern einen Skandal hervorrief, zunächst schwarz-weiß fotografiert hat, ist allgemein bekannt. Aber so viele schwarz-weiße Fotos auf einmal! Dieser Teil der Ausstellung ist der interessanteste überhaupt, denn er zeigt, dass der Fotograf seine Motive keineswegs allein nach Farben wählt.

Eine seiner bekanntesten, intensivsten, ja schwülsten Fotografien ist die von der grellrot lackierten Decke in einem Bordell (»Greenwood, Mississippi«, 1973). In der Mitte eine nackte Glühbirne, von der Fassung gehen drei weiße Kabel ab. Ein ganz ähnliches Motiv kehrt 1990 wieder, diesmal ist die Birne weiß wie die Decke und von Ventilatorflügeln umgeben wie eine Blüte von ihren Blättern. Eine solche Ventilatorleuchte hat Eggleston aber auch schon in seiner Schwarz-Weiß-Phase aufgenommen. Es ist also nicht nur das Rot oder das Weiß, das ihn anzieht, sondern auch die Idee eines nicht leuchtenden Leuchtmittels – so wie überhaupt überall bei ihm die Lichter ausgehen.

Egglestons Prinzip ist Beiläufigkeit. Er kommt an Objekten vorbei, hält sie, ohne durch den Sucher zu schauen, fest und macht prinzipiell nur ein einziges Foto. Manches gelingt, manches nicht. Aber nichts wird arrangiert, weder vor der Aufnahme noch danach. Das gilt jedenfalls für seine Meisterwerke der 70er bis 90er Jahre; es gilt noch nicht für die schwarz-weiße Reihe. Ein schwarz-weißes Bild der Ausstellung zeigt eine Cola-Flasche in einer ansonsten unscharf gehaltenen Küche. Das verleiht der Flasche etwas Schwebendes, ein starker Effekt, aber einer aus der Dunkelkammer. Es wird nachgeholfen, und das widerspricht dem Prinzip der Beiläufigkeit.

Damit komme ich zu der erwähnten Enttäuschung: Im letzten Saal ist die Serie »The Outlands« zu sehen. Die Fotografien aus den Jahren 1969 bis 1974 schließen an Motivik, Farbigkeit und Perspektive der Meisterwerke an, aber die Formate, Inkjet-Prints, sind nun riesig. Und das funktioniert nicht. Ein kleines Format von Jeff Wall oder von Andreas Gursky wäre verloren. Eggleston dagegen ist monumental, ohne je groß zu sein. Seine Sachen vertragen das Aufplustern nicht.

Wo er trocken und cool bleibt wie bei den Arbeiten aus der zwischen 1966 und 1974 entstandenen Serie »Los Alamos«, reicht keine andere Fotografin, kein anderer Fotograf des Jahrhunderts an ihn heran. Diese Bilder sind bekannt, aber sie wiederzusehen, ist eine große Freude, weil es ein Riesenunterschied ist, ob man sie in einem Buch oder auf brillanten Dye-Transfer-Abzügen vor sich hat.

Eggleston reist, aber gedanklich und emotional bleibt er in den Südstaaten der USA. Es sind die Südstaaten von Jerry Lee Lewis oder Little Richard. Der Südstaatler, so stellt man es sich wenigstens vor, hat selbst in der Armut seinen Stolz und verlässt das Haus selten ohne Knarre. Das mag uns befremden, aber es besitzt Stil. Und dieser Stil erhält sich in der Verrottet-, Verwittert- und Verrostetheit der Dinge, die Eggleston, oft im Anschnitt, fotografiert: alte Werbetafeln, kaputte Reklamen, eine übrig gebliebene Jukebox. Es ist, als sagte alles: Hier war früher die Hölle los. Rock ’n’ Roll!

Eher selten sind Menschen zu sehen, und wenn, wirken sie wie angebunden: Hinter dem Herrn steht in exakt derselben Pose sein afroamerikanischer Diener; neben einem Pfosten, um die eine Kette gewunden ist, eine dürre Dame; ein Junge mit Tolle schiebt für ein paar Cents eilig Einkaufswagen zusammen. Autos sind sehr häufig, doch obwohl manche der riesigen Limousinen glänzen, liegt Verwesung in der Luft: ein Einschussloch im Türfenster eines Schrottautos; Müll unter dem Kotflügel eines Chevrolet; auf dem Asphalt neben einem geparkten Wagen breite Spuren von ausgelaufenem Kühlwasser. Wer mit Stil untergehen will, nehme sich ein Vorbild nicht an Joseph Biden, sondern an William Eggleston.

»William Eggleston: Mystery of the Ordinary«, bis zum 4. Mai, C/O Berlin.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.